Dies ist kein Jahresrückblick

Aschenbecher
Foto: Sindre-Wimberger unter (Creative Commons by-sa)

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Was jetzt nicht nur gern auf allen Televisionkanälen ausgestrahlt und in allen Gazetten gedruckt erscheint, sind Jahresrückblicke. Ich möchte mir und meinen Lesern einen solchen aber gern ersparen und will stattdessen in die Zukunft blicken. Was bringt uns 2008? Ja, klar: Schleichwerbungsskandale, gescheiterte Politikerehen, eine Hyperinflation und neue Castingshows. Das kennen wir alle bereits, aber was wird sich im kommenden Jahr wirklich ändern? Richtig, das Rauchverbot in Kneipen, Cafés und Restaurants kommt. Hierzu das folgende kleine Gedicht:

Ich sitze in der Kneipe,
und blick durch Rauch zur Seite.
Gern würd‘ ich eine rauchen,
und nicht bloß immer saufen.

Im nächsten Jahr wird’s lichter,
dann seh ich die Gesichter.
Kein Qualm ist mehr zu riechen,
doch plötzlich: Menschen miefen!

Ein anderer Gestank
verbreitet sich im Land.
Ich rieche nur noch Schweiß
und denk: Was soll der Scheiß?

Es bringt das Rauchverbot
den Nasen andre Not.
Der Wirt, der stinkt nach Bier
der Zoowärter nach Tier.

Der Trinker riecht nach Schnaps,
Der Bauer stinkt nach Raps.
Der Tankwart riecht nach Diesel,
Der Jäger stinkt nach Wiesel.

Wie schön es damals war,
noch im vergangnen Jahr.
Der Duft von Tabakwaren,
er lag in Kleid und Haaren.

Langsam wird mir bewusst,
Nichtrauchen, das macht Frust.
Denn heute stinkt’s viel mehr –
wer ahnte das vorher?

Wie gern zündete ich mir jetzt noch eine letzte Zigarette an, aber ich bin ja Nichtraucher. Stattdessen werde ich mir ein Reimlexikon kaufen, um Assonanzen künftig zu vermeiden. Dann gibt es im kommenden Jahr nicht nur rauchfreie Kneipen, sondern auch reine Reime.

Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern einen geschmeidigen Übergang in das neue Jahr, alles Gute und Rauchfreiheit für 2008.

Viel Lärm um nichts – eine Hammer-Weihnachtsgeschichte

Es war noch früh am Morgen als der Lärm begann, etwa gefühlte sechs Uhr. Tatsächlich war es aber bereits halb neun, als es anfing, im Treppenhaus zu krachen, zu hämmern und zu bohren. Noch leicht umnachtet frug ich mich, ob ein in der Nachbarschaft wirkender Philosoph aus seinem Winterschlaf erwacht sei, um die neue Schule des aktiven Dekonstruktivismus am Beispiel einer Hauswand in die Praxis umzusetzen oder ob einfach nur ein Abbruchunternhemen versehentlich damit beauftragt wurde, unser schönes Haus abzureißen.

Beim Verlassen der Wohnung stelle ich jedoch fest, dass offenbar nichts dergleichen eingetreten ist. Die einzige Veränderung, die ich bemerken kann, ist, dass nun eine Pinnwand im Erdgeschoss des Treppenhauses angebracht wurde. Wie praktisch, denke ich, eine Pinnwand; während gleichzeitig in mir die Frage keimt, welchem Zweck dieselbige wohl dienen mag. Seit nun über sieben Jahren wohne ich in diesem Haus, und noch nie hatten wir so eine Pinnwand. Mir hat eine solche auch nie gefehlt, aber nun hängt sie da, als sei es nie anders gewesen, und ich weiß nicht, warum.

Wird dort demnächst vielleicht die Hausordnung, von deren Existenz ich über sieben Jahre nichts geahnt habe, gut sichtbar für alle potenziellen Störenfriede im Hause ausgehängt? Oder noch schlimmer, vielleicht ein Putzplan für das Treppenhaus?

BILDblogger für einen Tag

Mitten in der Nacht klingelt das Telefon und weckt mich jäh aus meinen süßesten Bloggerträumen.

boschblog (noch sehr verschlafen): „Redaktion boschblog, ich höre.“
BILDblog: „Redaktion BILDblog, guten Morgen, Herr Kollege. Wir brauchen dringend Ihre Unterstützung. Harald Martenstein wollte heute einen Beitrag für uns schreiben. Nun ist der aber leider krank geworden.“
boschblog (noch immer verschlafen): „Und was soll ich dagegen machen?“
BILDblog: „Sie müssen für ihn einspringen, bitte. Sie können uns jetzt nicht hängen lassen.“

Ganz so war es natürlich nicht. Gestern suchte das BILDblog allerdings tatsächlich im Rahmen seiner Adventsaktion nach einer Vertretung für den verhinderten ZEIT-Kolumnisten. Da auch ich Bild-Chefredakteur Kai Diekmann am liebsten von hinten sehe, fühlte ich mich natürlich berufen. Zu meiner großen Überraschung wurde ich schließlich als einer von drei Kandidaten unter über 70 Bewerbern ausgewählt, heute einen Gastbeitrag für das BILDblog zu verfassen, was mir nicht nur großes Vergnügen, sondern auch die Qual einer mehr als einstündigen Lektüre der Bild bescherte. Was für einen Großteil der Bevölkerung wie Homöopathie klingt, war für mich nah an der letalen Dosis.

Harald Martenstein wünsche ich auf diesem Wege noch einmal baldige Genesung – und mir ab morgen wieder die gewohnte Qualitätszeitung auf dem Frühstückstisch.

Utz, Kapitel 2

Eine Geschlechtsumwandlung vornehmen zu lassen oder einen landwirtschaftlichen Betrieb zu erwerben, nur um einmal im Privatfernsehen in Erscheinung zu treten? Geistesgegenwärtig schloss Utz diese Optionen aus, während er, unter der Dusche stehend, mit ganzer Kraft die letzten Tropfen der Milch- und Honigseife aus dem Spender pumpte. Seine große Liebe ist nicht irgendeine dahergelaufende wasserstoffblondierte Nagelstudiobetreiberin, die bereits im Alter von 21 Jahren drei Kinder von vier Männern empfangen hat, und nun durch den ersehnten Umzug aufs Land ihrem Dasein beim allmorgendlichen Kühemelken und Hühnerfüttern einen neuen Sinn zu geben versucht. Verständnis hat Utz zwar dafür, dass diese Damen nicht tagein, tagaus Strasssteinchen auf Plastiknägel anbringen möchte, aber warum sollte ausgerechnet er einen Bauernhof erwerben, nur, um diesen Typ Frau aus ihren selbstgewählten Kunstnagelgestaltungsvorhöllen zu befreien? Auch ist Utz kein siebenundvierzigjähriger gutmütiger Genmaiszüchter, der noch mit seiner Mutter, die ihm morgens täglich eine Milchsuppe kocht und abends eine heiße Zitrone zubereitet, unter dem Dach eines heruntergekommenen Resthofes wohnt, und dessen einzige Erfahrung im Umgang mit weiblichen Lebewesen, die nicht mit ihm verwandt sind, auf den Kontakt mit den von ihm gezüchteten Suppenhühnern beschränkt ist.

Utz hat jetzt wichtigeres zu tun als über seine nichtzustandekommende Bewerbung für Bauer sucht Frau zu sinnieren, denn seine wirklich wahre große Liebe, der Verein zur Pflege der Schirmmützenkultur Deutschlands e. V. steckt gerade in der größten Krise seit seiner Gründung vor 37 Jahren, 11 Monaten und 3 Tagen. Und so geschah es, dass Utz sich auf die beschwerliche Busreise in das Vereinshaus machte, welches sich seit vielen Jahren im Keller des Lokals Zum Frühaufsteher (ehemals bekannt als Zur schmutzigen Gardine), das aber von den Vereinsbrüdern nur noch liebevoll Zur blutigen Rosa genannt wird – in Andenken an die vor drei Jahren von ihrem Lebensgefährten, einem jähzornigen ehemaligen Ex-Knacki, niedergestochene kettenrauchende und einbeinige Exwirtin.

——————————————————-

Lesen Sie auch in der nächsten Folge weiter, wenn es heißt: Warum muss der Protagonist ausgerechnet mit dem Omnibus in das Vereinslokal fahren und wieso steckt die Schirmmützenkultur in der Krise?