Ruckelnder Regionalzug im Ruhrgebiet

Ruhrgebietsidylle
Foto: Helder da Rocha (CC by-sa)

Mit dem ruckelnden Regionalzug fahre ich durch das Grau des Ruhrgebiets. Mehrere Heranwachsende verströmen im Hintergrund aus ihren mitgebrachten Transistorradios lautstark rhythmische Rapmusik, zu der sie sich angeregt mit fremdländischer Sprachfärbung unterhalten. Trotz aller angestrengten Versuche erlangen sie nicht die erwartete Aufmerksamkeit der ihnen schräg gegenüber plazierten, wasserstoffblondierten und solariumgebräunten Vorstadtpomeranzen. Die stark vom Bergbau geprägten Orte heißen Dortmund und Rheinhausen. Die Strecke führt vorbei an brachliegenden Industrieruinen vergangener Jahrhunderte und ein paar verbleibenden, ruhig vor sich hinrauchenden, hoch hinausragenden Schornsteinen. Der übrige Raum wird von grau verputzten Mehrfamilienhäusern mit grenzenloser Tristesse verziert.

Aktionstage

Am Valentinstag bedenken sich die Liebenden einander bekanntlich mit Blumenpräsenten, das weiß jedes Kind, das mal an einem Blumenladen vorbeigelaufen ist. Heute ist Weltfrauentag – und niemand weiß, was dieser uns sagen soll. Zu verdanken haben wir diesen Gedenktag der linkssozialistischen Politikerin Clara Zetkin, die einst im Jahre 1910 auf einer sozialistischen Frauenkonferenz die Einführung eines Frauentages vorschlug. Wann dieser Tag zelebriert werden sollte, war ihr egal. Hauptsache, es gibt einen Frauentag, denn schließlich hat das schwache Geschlecht einen eigenen Gedenktag verdient. Dass sich dieser nun jeweils am 8. März jährt, haben wir dem berühmten russischen Frauenrechtler Lenin zu verdanken, der ein paar Jahre später in Gedenken an Arbeiter- und Soldatenfrauen, die die Februarrevolution auslösten, dieses Datum fixierte.

Das alles liegt lange Zeit zurück. Das geschätzte Internetnachschlagewerk Wikipedia klärt uns über jüngere Geschichte des Weltfrauentages allerdings genau auf:

Zum Internationalen Frauentag 2003 war ein von der UNICEF propagiertes Motto „bessere Bildung für Mädchen“ mit dem Ziel, Mädchen besser vor Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung zu schützen. Ferner wendeten sich Aufrufe gegen jede Diskriminierung von Frauen und Mädchen, gegen weibliche Genitalverstümmelung und gegen Kinderheirat. 2004 hatten einige Initiativen in Europa Schwerpunkte zum Thema Nepal. Im Jahr 2005 lautete das Motto: „Frauenrechte sind Menschenrechte – überall“.

Aber was ist mit den Jahren danach? 2006 ist längst verjährt. Wer sich allerdings über das Motto des diesjährigen Internationalen Weltfrauentages auf der Internetseite des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen informieren möchte, erfährt dort ausschließlich, dass UNICEF-Botschafter Blacky Fuchsberger am 11. März seinen 80. Geburtstag feiert. Das ist zwar schön, aber den benachteiligten Frauen auf der Welt hilft das wenig. Weil UNICEF vor lauter Feierei mit illustren Gästen wie Harry Belafonte und Sabine Christiansen vergessen hat, auf seiner Homepage einen dem heutigen Aktionstag angemessenen Content zu generieren und ein wohlfeiles Motto vorzugeben, ist Eigenintiative gefragt. So kämpft der Deutsche Gewerkschaftsbund Saar unter dem vielsagenden Motto „Weitergehen! Zwei Schritte vor. Keinen zurück.“, während sich die Stadt Lüdenscheid mit dem weniger kämpferischen „Gesund und schön“ zufrieden gibt. Wer gesund und schön genug ist, kann sich in Bad Oldesloe bei Bauchtanz und russischer Musik vergnügen.

Kännchen

Sie sitzen sich im Café gegenüber und teilen sich ein Kännchen Kaffee Hag. Er ist Ende dreißig, hat schütteres Haar und ist mittlerer Beamter auf Lebenszeit. Vermutlich arbeitet er im Finanzamt. Sie ist drei Jahre, zwei Monate und fünf Tage jünger als er, hat ihren neuen Faltenrock im Klingel-Katalog bestellt und bestreitet ihr Einkommen als Hauswirtschaftslehrerin. Ihr einziger Luxus ist das Gala-Abonemment, das ihrem tristen Alltag ein wenig Glanz verleiht.

Alltagsphilosoph Toni Mahoni singt in Hamburg

Toni Mahoni im Nachtasyl, 01.03.2007
Toni Mahoni im Nachasyl. Leider etwas unterbelichtet. Dies lag
aber nicht am Sänger, sondern an der schwachen Beleuchtung.

In Hamburg gibt es zwei Lokalitäten, in denen selbst Jarvis Cocker mit seiner massiven Brille als rahmenlos durchgehen würde. Das eine ist die von Nachwuchstheaterregisseuren bewohnte Kantine des Deutschen Schauspielhauses, und die weitaus schönere ist das meist mehrheitlich von Nachwuchsfeuilletonjournalisten belagerte Nachtasyl, die Bar des Thalia Theaters. Letztere beherbergte gestern den monatlich stattfindenden Toten Salon.