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Winterfrische auf Rügen – Teil 3: Prora

KdF-Seebad Prora, Rügen

Binz ist der wahrgewordene Aufbau Ost. In weiße Farbe getauchte Strandvillen versprühen hier noch immer den Badeortcharme vergangener Jahrhunderte. Einzig der Ortsteil Prora vermag die Ostseeidylle zu stören. Prora, allein schon dieser Name. Sozialistisch klingt er irgendwie, wenn nicht sogar nationalsozialistisch. Dabei handelt es sich tatsächlich gar nicht um die Wortneuschöpfung eines diktatorischen Regimes, sondern ganz harmlos um die Bezeichnung der umgebenden Landschaft.

Bekannt ist Prora vor allem für eine gespenstische Ruine, die auch „der Koloss von Prora“ genannt wird: eine 4,5 km lange Gebäudekette mit sechs Stockwerken, welche die Köpfe der nationalsozialistischen Freizeitorganisation „Kraft durch Freude (KdF)“ ersannen. Vom Strand aus betrachtet ist die größte bauliche Hinterlassenschaft des „Dritten Reiches“ von Bäumen verdeckt und wirkt unscheinbarer, als man es sich der Beschreibung nach vielleicht vorstellt. Dennoch geht von diesem Gebäude etwas Bedrückendes aus, sodass nicht einmal die wohlwollende Tourismuszentrale es wagte, Prora als Ortsteil mit „sprödem Charme“ anzupreisen.

Im „Seebad der Zwanzigtausend“ sollten 20.000 Menschen gleichzeitig für einen geringen Preis jeweils zwei Wochen in Zimmern von 2,5 mal 5 Metern Größe mit Seeblick Urlaub machen. Nachdem das NS-Regime die Organisationen und Parteien der Arbeiter 1933 zerschlagen hatte, versuchte es, die Arbeiterklasse für seine Kriegs-, Lebensraum- und Rassenpolitik einzunehmen. KdF-Führer Robert Ley hatte also weniger die Erholung im Blick als Gleichschaltung und Kontrolle. Die Tagesabläufe der Urlauber sollten streng geregelt werden: von der gemeinsamen Einnahme der Mahlzeiten über organisierte Schwimmkurse und Leibesertüchtigung bis hin zum uniformen Strohhut für die Damen wollten die Nationalsozialisten nichts der individuellen Gestaltung des Urlaubers überlassen. Zur Bekanntgabe der Uhrzeiten der jeweiligen Aktivitäten war die Anbringung von Lautsprechern in allen Zimmern geplant.

Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen: Im „KdF-Bad“ hat nie jemand seinen Urlaub verbracht, da die Bauarbeiten mit Kriegsbeginn 1939 eingestellt wurden. Die am Bau beteiligten Arbeiter wurden zur Kriegsmittelproduktion herangezogen, und Prora blieb das einzige von fünf in dieser Dimension geplanten Seebädern an der Ostsee, das zumindest in Teilen realisiert wurde. Zu sehen ist heute ein zunehmend verfallendes bauliches Ungetüm, das noch immer deutlich erahnen lässt, dass die Nationalsozialisten ihren Machtanspruch nicht nur durch Gleichschaltung der Bevölkerung, sondern auch architektonisch deutlich zum Ausdruck bringen wollte.

Prora

Während des Krieges wurden in der Anlage Luftwaffenhelferinnen ausgebildet und ein Polizeibattaillon untergebracht. Ab 1945 diente das Gebäude zur Unterbringung von Heimatvertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten und schließlich zur Zeit der DDR als Kaserne und war militärisches Sperrgebiet. Erst nach der Wende wurde das Gelände für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Vorübergehend befand sich hier die größte Jugendherberge Europas. Heute ist das Gebäude mit Blick auf seine bau- und sozialhistorische Bedeutung denkmalgeschützt, was jedoch das zuständige Bundesvermögensverwaltung nicht daran hindert, das ungeliebte Gebäude stückweise an private Investoren zu geringen Preisen zu verschleudern.

Derzeit befinden sich in einem Gebäudetrakt die KulturKunststatt Prora mit diversen Museen (u. a. KdF-Museeum, NVA-Museeum, Rügen-Museum, Motorradwelt der DDR) sowie das engagierte Dokumentationszentrum Prora mit der sehr informativen Dauerausstellung MACHTUrlaub. Dessen Zukunft ist jedoch ungewiss. Einer der Investoren plant, an dieser Stelle ein modernes Sporthotel zu errichten. Bürgerproteste gegen eine touristische Nutzung konnten dies nicht verhindern, jedoch vermochte eine geschütze Fledermausart, die sich an diesem unwirtlichen Ort heimisch fühlt, dieses Ansinnen zunächst zu stoppen. Somit ist die künftige Nutzung des Gebäudes erneut unklar.

An dem NS-Monumentalbau in Prora wird die gefährliche Faszination des Nationalsozialismus spürbar. Und eben an diesem Ort können die politischen Hintergründe aufgedeckt, das nationalsozialistische Gesellschaftssystem in seiner Komplexität beschrieben und Mythen entzaubert werden. Zeigt nicht die Anlage mit ihren endlosen Reihen und Massierungen, die vorgesehene zentrale Festhalle für Massenveranstaltungen, der Mangel an privater Rückzugsmöglichkeit eine strukturelle Gewalt, die nicht zufällig an Kasernen erinnert?

Es ist kein Abstrich an der Authentizität des Ortes, dass Prora als „KdF-Bad“ nicht in Betrieb gegangen ist, sondern Folge der expansionistischen und rassistischen Politik des „Dritten Reiches“, die eine viel größere Dynamik entwickelte als die Bemühungen um die „Deutsche Volksgemeinschaft“ und die innere Befriedung. Die Anlage ist ein Beleg des Scheiterns der nationalsozialistischen Sozialpolitik, ein Scheitern als Konsequenz der Politik des „Dritten Reiches“, zu der genauso Völkermord, Massengräber und Zivilisationsbruch gehörten.

(Quelle: Informationstext des Dokumentationszentrums Prora (pdf))

Wünschenswert wäre eine Erhaltung des Gesamtcharakters des Gebäudekomplexes vor weiterem Verfall als historisches Zeugnis.

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Weiterführende Links:

Die anderen Folgen meines Reiseberichtes finden sich hier.

12 Antworten auf „Winterfrische auf Rügen – Teil 3: Prora“

Wunderbar aufbereitet! Genau passend für diesen seltsamen Ort.
Ich war auch schon 2x da und habe mehrere Stunden in der Ausstellung MACHTUrlaub verbracht. Ob das allerdings tatsächlich die größte JH war, wage ich zu bezweifeln. Wir wollten da mal an (zugegebenermaßen an Pfingsten) reservieren und es war nix mehr frei.

Heute lese ich auf boschblog mal wieder einen eher ernsten Text. Ich dachte immer der Flughafen Tempelhof wäre die größte bauliche Hinterlassenschaft des Nationalsozialismus, aber dort steht der Nationalsozialismus nicht so sehr im Vordergrund (zumindest laut Wiki).

Ich weiß nicht… ich hab immer so Bauchschmerzen bei diesen ganzen Nazibauten was die Erhaltung angeht. Nicht, wiel sie aus der Zeit des gefährlichen Stumpfsinns stammen, aber weil sie einfach mal verdammt hässlich sind.

Genau so wie der Flughafen Tempelhof „überzeugen“ sie ja im wesentlichen nur durch ihre Größe, was ja auch der Plan war. Geradlinige Architektur monumentalen Ausmaßes – damit kriegt man sie heute noch.

Ich finde, abreißen und wirklich schöne Kulturstätten, Parks und Spielplätze auf die riesige Fläche zu bauen, hätte mehr Sinn. Aber ich war noch nie konservativ (im ursprgl. Sinne des Wortes) genug, um zu verstehen, warum man Gebäude, die klar verfallen mittels etwas künstlichem wie Denkmalschutz erhalten muss. Noch dazu in einer solch schönen Gegend. Die Zeit, aus der Prora und Tempelhof stammen macht dieses Gefühl auch nicht gerade schwächer.

Auf der einen Seite denke ich wie Robert, andererseits hat es schon was, wenn man, wie beispielsweise in Nürnberg sehen kann, was aus dem Nazi-Aufmarschgelände inklusive Monumentalbau werden kann: ein Festivalgelände für Open-Air-Veranstaltungen (u. a. „Rock im Park“).
Der Begriff „innerer Reichsparteitag“ bekommt da eine ganz besondere Bedeutung ;-)

@Robert
volle zustimmung, das Gebeude hat doch nur noch Museumreife und keinen praktischen Nutzen. Wer möchte schon in einem klitzekleinem Zimmer eines riesigen Betonblocks seinen Urlaub verbringen.

Bei Tempelhof ist es eventuell noch etwas anderes, es hat zumindest einen praktischen Nutzen. Sonst wehren nicht so viele Fluglinien vor Gericht geganzen um sich gegen die schließung zu wehren.

Vielen Dank für diesen sehr klugen und – wie von Bosch nicht anders zu erwarten – in gutem Deutsch geschriebenen Artikel. Nachdem ich heute bei einem Amtsgang in Berlin die brutale Straßenarchitektur der Nazis sowie ein unglaublich häßliches Figurenpaar von Breker bestaunen durfte, freut es mich besonders, wenn auch andere Leute für die aussagekräftige Häßlichkeit der Naziarchitektur sensibel sind.

Die Gebäude sehen teilweise aus wie die amerikanischen Kasernen bei uns in Schwäbisch Gmünd die nach dem 2. Weltkrieg gebaut wurden, da in der Nähe die Pershing II Raketen stationiert waren.

Letztes Jahr war ich bei der BBAL (Bundesverband der Betrieber der allgemeinen Luftfahrt) Konferenz in Berlin und da wurde das Thema Tempelhof auch angesprochen. Es ist jedoch so, dass vor allem Privatflieger und kleine Business-Jets nicht auf den Flughafen verzichen wollen (können).

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