Halt auf freier Strecke

Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.
(Thomas Bernhard)

Wo früher das Lieblingskino meiner Jugend stand, befinden sich heute die zumeist ungenutzten Gesellschaftsräume eines Hotels. Statt des Verzehrkinos mit kleinen Tischen und Klingeln, mit denen man während der Vorstellung die Bedienung zu sich bitten konnte, um Eiskonfekt und Bier zu bestellen, und der Bar, an der man zigaretterauchend einen Film genießen konnte, gibt es an dieser Stelle nur noch Schnaps und Butterkuchen zu traurigen Anlässen: Beerdigungen und Hochzeiten. Von den ursprünglich drei Kinos in der Kleinstadt hat nur eines überlebt; das Siechtum dominiert die Vitalität jedoch merklich. Einmal wöchentlich gibt es „Kino für Kenner“, zu diesem Anlass werden einmal im Monat Qualitätsfilme gezeigt.

Kinokarte
Kinokarte

Ich investiere weniger als die Hälfte des großstadtüblichen Eintrittspreises, um mir Andreas Dresens „Halt auf freier Strecke“ anzusehen, den mir ein Freund bereits vor über vier Monaten empfohlen hat, als der Film in der Hauptstadt anlief. Damals, mit ihr, war ich oft im Kino; im letzten Jahr nicht ein einziges Mal, denke ich, während ein Werbefilm für die örtliche Autowaschstraße präsentiert wird. Dann wird es hell im Saal, die Eisverkäuferin kommt und es beginnt der Vorspann. Plötzlich merke ich, dass ich im falschen Film bin. Dies ist zwar ein durchaus vertrautes Gefühl, aber eher metaphorisch. Irgendwie hatte ich mir nicht vorstellen können, dass hier einen zweiten, noch kleineren Kinosaal für die Qualitätsfilme gibt. Vor lauter Schreck gieße ich etwas Bier über meinen Schal und meine Jacke als ich die Treppe hinauf eile. Kleines Kino, das.

Ich habe Bier, Eiskonfekt und Taschentücher, aber niemanden zum Händehalten. Sei’s drum. Der Film beginnt mit einer schrecklichen Diagnose (hier im Trailer zu sehen): Frank, Ehemann und Vater von zwei Kindern, hat einen Gehirntumor. Er wird sterben, wie naturgemäß alle Menschen sterben werden. Nur wird ihm eine Lebenserwartung von nur noch wenigen Monaten prognostiziert. Alles wird ungeschönt gezeigt: wie er es seinen Kindern sagt, der letzte Sex und die Inkontinenzwindel. Während Frank körperlich und geistig zunehmend verfällt, sind Familie und Freunde damit häufig überfordert. Traurige Momente überwiegen und es ist gut, dass ich Taschentücher eingepackt habe, denn natürlich muss ich weinen. Aber der Film hat auch immer wieder absurd-komische Szenen. Es ist ein guter Film, der zeigt, dass das Sterben gar nicht so schlimm sein muss, wenn jemand für einen da ist.

Nach dem Kino gehe ich in die Bar. Ich sitze allein an der Theke und trinke ein Glas Lebenswasser.