Ja, Panik auf Kampnagel 11.08.2014

Ja, Panik

Kampnagel Sommerfestival, ein kleinerer Raum. Die Gästeliste dünner als ein Telefonbuch, im Publikum Hornbrillen und Jutebeutel. Beim Vorprogramm erst etwas peinlich berührt sein, als da eine junge Frau zum Halbplayback etwas ungelenk tanzt. Das durfte früher nur Jochen Distelmeyer, wenn er zu 1000 Tränen tief an seiner Zigarette zog. Nach ein paar Songs jedoch fängt man ungewollt an, Sophia Kennedy und ihren plüschigen, von Erobique produzierten Disco-Pop ganz gut zu finden. Die Weintrinker an den Stehtischen beginnen zaghaft mit dem Bein zu wippen. Sie tanzt, saugt an ihrer Wasserflasche, spielt auf zwei Blockflöten gleichzeitig. Zu gern hätte man ihr noch eine Weile zugehört.

Umbaupause, Flasche Beck’s zu teuer, fahrstuhlartige Pausenmusik. Schlimm. Test Nebelmaschine. Funktioniert leider. Dann ein nicht endenwollendes Intro vom Band. Wo wir nicht sind, woll’n wir nicht hin. Ein Satz, der sich von selber singt. Ja, Panik sind stark auf der Bühne. Viel besser als im Studio. Kurze Ansagen, lange Gitarrensoli, Krachen, Rückkoppunlungen. Ja, Panik sind eine gute Liveband. Hätte man so gar nicht erwartet, wenn man nur ihre Studioalben kennt. Rocken können sie schon.

Andreas Spechtl ist so dünn, dass droht unter der Last seiner Gitarre zusammenzubrechen. Man möchte ihn füttern. Erfreulicherweise keine Antikapitalismuskritik zwischen den Songs, nur die Marken der Musikinstrumentehersteller sind abgeklebt. Viele neue Songs, keine alten Hits. Muss ja auch nicht und wiener Schmäh hilft, wenn man mal den Einsatz verpasst. Nach zwei Zugaben ist es gefühlt auch schon zu schnell vorbei. Applaus, der mitsingende Luftschlagzeugspieler neben mir wünscht sich lautstark sein Lieblingslied Nevermind. Das Licht machen sie nicht an, aber eine weitere Zugabe wollen sie auch nicht spielen. Sei’s drum. Es war gut und das reicht.

Im Abseits fangen Topjobs an. Fans von Falco und Tocotronic würden auch Ja, Panik mögen.


Das Kampnagel Sommerfestival dauert bis zum 24. August und wartet noch mit zahlreichen Highlights wie Andreas Dorau, Phantom/Ghost, Kid Koala, Die Sterne, Die Goldenen Zitronen u. v. a. m. auf. Toll.

Sibylle Berg liest: Vielen Dank für das Leben

Man muss sich schon etwas einfallen lassen heutzutage. Während Frau Berg liest, springt zeitgleich irgendwo ein Fallschirmspringer aus über 36.000 Metern Höhe herunter, ohne dass ihm ein koffeinhaltiges Erfrischungsgetränk dabei Flügel verleiht. Weltrekord. Die dieses Ereignis im Internet verfolgt habenden Menschen werden später zu Protokoll geben, dass sie sich dabei gefühlt haben, wie einst ihre Eltern, als sie am Schwarz-Weiß-Fernseher die Übertragung der Mondlandung sahen.

In einer ehemaligen Kranfabrik in Hamburg sitzt Sibylle Berg und liest aus ihrem neuen Buch „Vielen Dank für das Leben“ und sie liest natürlich nicht einfach nur Seite für Seite vor, denn das könnte man ja auch selbst machen, ohne dafür 18,- Euro Eintritt bezahlen zu müssen, sondern sie bietet einen sogenannten Mehrwert in Form eines Gesamtkunstwerks: Szenische Lesung trifft Filmkunst trifft Musik. In verteilten Rollen liest die Autorin, die, so sie, mit Antibiotika vollgepumpt ist, gemeinsam mit den Schauspielern Katja Riemann und Matthias Brandt, und das ist gut, denn so ermüden weder Sprecher noch Publikum. Auch wenn man den Roman bereits kennt, ist das Zuhören ein Vergnügen, denn der gekonnte Vortrag ist natürlich auch eine Kunst, von der mich lediglich meine Sitznachbarin, die auf ihrem Telefon unablässig „Snake“ spielt, abzulenken vermag. Zwischendurch immer wieder großartig verstörende Filmeinspieler in schwarz-weiß, aufgenommen mit einer ruckelnden Handkamera, die das soeben Gehörte noch einmal rekapitulieren. Und wunderbare Musik von Mary Ocher, die das Klavier genauso unbeholfen bearbeitet wie die Gitarre, und die mit ihrer Stimme, über die meistens ein blecherner Filter gelegt ist, mal sanft haucht und mal kraftvoll brüllt. Finale mit Streichquartett, das so anrührend ist, dass mir die Tränen kommen. Toll.

Und dabei wollte ich erst gar nicht kommen, weil Lesungen mich zunehmend langweilen, aber Frau Berg rief, das heißt, eigentlich schrieb sie, dass ich kommen solle, und dass es doch schön wäre usw. Und natürlich war es das dann auch. Artig stehe ich im Anschluss der Veranstaltung in der Schlange, um mir mein Buch signieren zu lassen. Warum mir ständig die Frauen wegliefen, fragt Frau Berg ohne Umschweife und mit strengem Blick, aber zum Glück bin ich nicht der Letzte in der Autogrammwunschschlange und habe deshalb keine ausreichende Gelgenheit, eine ausführliche Antwort geben zu müssen. Nachdem sie bei unserer letzten Zusammenkunft zum Auswandern nach Island riet, schreibt mir Frau Berg ins Buch, dass ich nach Schweden gehen solle, weil dieses Berlin, wie sich gezeigt habe, auch keine Lösung sei, und weil in Schweden alle so schön seien usw. Dann Bier aus Flaschen mit Menschen und nicht losgehen wollen, aber irgendwann doch müssen. Vielen Dank für den Abend.

Angela Richter: Assassinate Assange

Vor dem Besuch des Theaterstückes keine der vernichtenden Kritiken lesen, wie man überhaupt das Feuilleton vermeiden muss, weil es einen immerzu, mehr noch als der Politikteil, aufzuregen vermag. Kalenderwoche 39, Kampnagel, ehemalige Kranfabrik, Hamburg-Barmbek: Angela Richter ist Regisseurin und Theaterautorin. Sie interessiert sich für Julian Assange und Wikileaks. Letzteres braucht Geld, um seine Arbeit fortzuführen, zu diesem Zweck wird ein Abendessen mit Assange versteigert, Richter nimmt 1.600 Euro in die Hand und trifft ihn, auch danach noch mehrere Male.

Hunderte von Interviewfragen, hunderte von Antworten, Protokolle, Briefe, Dokumente, all diese fließen hinein in das Theaterstück. Realität und Fiktion vermischen sich, dass einem schwindelig wird. Collage. Drei Aspekte: Die Enthüllungen auf Wikileaks, der Starkult um die Person Assange, die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Assange. Alles spielt hier irgendwie eine Rolle, alles wird vermengt, alles bleibt unklar. Zum Schluss berichtet Assange von seinem Traum, in dem Saddam Husseins Gehirn in seine, Assanges, Gebärmutter transplantiert wird.

Nach der Aufführung treffe ich Malakoff Kowalski, der die dargestellte Wirrness mit wunderbarer Musik begleitete. Er fragt mich, wie ich es fand, ich bin ratlos, wir trinken ein Bier. Es bleiben Fragen, aber keine Antworten. „Theater ist kein Dokumentarfilm“, sage ich. Dann trinken wir noch ein Bier.

Jochen Distelmeyer solo

Jochen Distelmeyer am 30.08.2009 auf Kampnagel, Hamburg

Das Warten hat ein Ende. Seit dem allerletzten Blumfeld-Konzert am 25. Mai 2007, fragten sich alle Anhänger der Gruppe, wie es wohl weitergehen würde. Nun endlich meldet sich Jochen Distelmeyer solo und mit neuer Band zurück. Einen ersten Liveeindruck gab es gestern auf Kampnagel, Hamburg. Es war ein wunderbares Konzert.

Jochen Distelmeyer brachte natürlich auch die guten alten Lieder zu Gehör. Viele davon klangen überraschend frisch. Vor allem aber die neuen Songs lassen hoffen. Ich jedenfalls bin voller Vorfreude auf seine erste Solo-Platte. „Heavy“ erscheint am 25.09.2009.

Weitere Links:

  • Homepage von Jochen Distelmeyer
  • Video zu „Wohin mit dem Hass“ auf spreeblick.com
  • Blogbeitrag von Johannes Waechter (SZ Magazin)
  • Artikel aus dem Hamburger Abendblatt vom 28.08.2009
  • Konzertbericht vom Melt-Festival auf Monarchie & Alltag (taz)
  • Konzertbericht aus Essen auf rp-
  • Bericht über das Hamburger Konzert auf eskalaparty.de