Das Fort-Fort-Fort-Bleiben

Bereits am Sonntag blättere ich das erst am folgenden Tag erscheinende Nachrichtenmagazin durch. Wie so oft bin ich dabei eher gelangweilt. Dass dessen Leser mehr wissen, ist ein Werbespruch vergangener Zeiten.

Lediglich eine Randnotiz (diese) in der Kultur lässt mich aufmerken: Ein Gericht verbietet die Auslieferung eines Romans, weil sich jemand in einer Figur zu erkennen glaubte, und darauf hin einen Verkaufsstopp erwirkte. Bereits bei Billers Esra wähnte man ähnliche „Fälle“ auf uns zukommen. Die Leiden des Jungen Werthers und Buddenbrooks wären so nicht möglich gewesen. Auf welche Werke der Literatur hätten wir mit dieser Rechtsauffassung noch verzichten müssen?

Der Autor ist ein flüchtiger Bekannter. Vor Kurzem trafen wir uns am Rande eines Konzertes. Er erzählte von einer ersten Einladung zu einer Lesung in einer Provinzbuchhandlung und wir fragten uns, ob man danach denn wirklich zum Griechen gehen müsse. Die Frage ist nun erst einmal obsolet geworden. Das ist schade, auch weil man Fleischberge ja eigentlich mag.

Im Übrigen gehört dieses Weblog natürlich auch verboten.

Kontrabassklarinette

Ein Mann bläst in ein Ungetüm. Es handelt sich um eine Kontrabassklarinette. Von diesem Instrument gibt es in Deutschland angeblich nur drei Exemplare. Heraus kommen Geräusche. Es klingt wie eine Mischung aus Nebelhorn und Didgeridoo. Kein Rhythmus, keine Melodie. Einfach nur Sound. Es ist weniger konzertante Aufführung, es ist eine Performance. – Hurz und Krawehl. (Es wundert wenig, dass dieses Holzblasinstrument es nicht mit der Popularität von Wandergitarren aufnehmen konnte.)

Wir befinden uns auf einer Ausstellungseröffnung in einem Autoladen in Berlin-Mitte: „Wovon Maschinen träumen“. Zu sehen sind ein lichtdurchflutetes waberndes Lattenrost, ein sprechendes Klavier, ein beleuchtetes Kleid und eine Kussmaschine etc. Alles ist Kunst und es gibt reichlich Schnittchen und Wein. Schnittchen und Wein sind das Wichtigste auf Vernissagen. Wenn eines von beiden aus ist, verlassen die Besucher den Ort. So auch wir.

Berlin-Mitte. Sorgfältig geschminkte Mädchen in Abendkleidern und hochhackigen Schuhen (und einige Jungs in ebendiesem Aufzug) stehen auf dem Kopfsteinpflaster vor der Kneipe, von der man nicht weiß, ob ihre Eröffnung oder Schließung zelebriert wird. Massenweise Menschen stehen auf der Straße herum, Autos haben es schwer, die Straße zu passieren. Wir sitzen auf den Treppenstufen des Eingangs der Kirche gegenüber und trinken Bier aus Flaschen. Es wäre alles gar nicht so schlimm, wenn all diese Leute nicht da wären.

Kunst und Negerkussbrötchen

Die Kunst ist das Höchste und
das Widerwärtigste gleichzeitig.

(Thomas BernhardAlte Meister)

Es ist keine richtige Verabredung. Sie sagt ihm, dass sie da sein werde, und er geht zur genannten Zeit in die kleine Galerie im Lichthof des Universitätsgebäudes. Sie, die Kunsthistorikerin, führt durch die Ausstellung und zieht an diesem Abend den Säbel dem Florett vor. Er, der Trottel, erkennt weder die Duchamp-Referenz noch hat er Walter Benjamin gelesen. Dafür verfügt er, so sagt sie, über ein provinzielles und längst überholtes Kunstverständnis. Zum Abschied diskutiert man auf einer Straßenkreuzung, was eigentlich Kunst ist – eine Fragestellung, die sie überhaupt nicht interessiert. Dann geht man getrennte Wege.

Am folgenden Tag gibt es im Büro Negerkussbrötchen. Er erinnert sich an seine Kindheit in der Provinz und wie er damals auf dem Weg zur Schule heimlich mit Mohrenköpfen belegte Rundstücke erwarb. Die Bäckereifachverkäuferin wusste darum, dass diese Art des Pausenbrotes bei Eltern und Lehrern gleichermaßen ernährungsphysiologisch verpönt war. Aus diesem Grunde zwinkerte ihm die Bäckersfrau stets konspirativ zu. Die in der früheren DDR sozialisierten Kollegen kennen keine Negerkussbrötchen und wundern sich über diese eigentümliche Konstellation. Ihn wiederum wundert, dass es über zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch kleine Entdeckungen gibt, die daran erinnern, dass das Land vormals geteilt war.

Ob die Kunsthistorikerin sich für Negerkussbrötchen interessiert, weiß er nicht. Wohl aber, dass sie immerzu Salat isst.

Außeninstallation

Bons-Ai Wax, "2 x 7 Zwerge", Installation im öffentlichen Raum (2011)

„Alles ist richtig, auch das Gegenteil.
Nur »zwar – aber«, das ist nie richtig.“

(Kurt Tucholsky)

transmediale.11, eine Außeninstallation hinter der Kongresshalle: Vierzehn Bäumchen in stoffumhüllten Kübeln, drei Hydrantenhinweisschilder, ein Klappfenster, gegenüber die Spree. Mehr nicht.

„Der japanische Aktionskünstler Bons-Ai Wax experimentiert bereits seit Ende der siebziger Jahre mit floralen Elementen im urbanen Raum. Für sein neuestes Werk »2 x 7 Zwerge« nimmt er Bezug auf das Brüder-Grimm-Märchen »Schneewittchen« unter Berücksichtigung der zentralisierten Wasserversorgung der Großstadt“, so der Katalog zur Ausstellung. „Das Wasser symbolisiert nicht nur die Quelle allen Lebens, sondern führt zwangsläufig zu einem unkontrollierten Wuchern der Pflanzen, das mittels Zeitrafferkamera stündlich festgehalten wird. Einerseits werden die strengen Gestaltungsrichtlinen der asiatischen Gartenbaukunst gesprengt, andererseits werden Aspekte des Grimm-Märchens durch die ebenhölzernen Baumstämme formal aufgegriffen. Allen Widersprüchen zum Trotz unterstreicht die gegenüberliegende Spree, dass alles im Fluss ist (vgl. Heraklit). Die filmische Umsetzung dieses radikalen Langzeitprojekts wird erstmals auf der Berlinale 2011 als Slow-Motion-Film in umgekehrter Reihenfolge einem breiteren Publikum vorgestellt. Im Anschluss wird die Dokumentation im Rahmen der Weiterbildung von japanischen Gartenbaumeistern ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt.“

Vielleicht ist es aber auch ganz anders.