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Wo man singt

Straßenmusiker
Foto: urbanlegend

Wo man singt, da lass dich ruhig nieder – böse Menschen haben keine Lieder. So sagte jedenfalls meine Großmutter immer.

Meine Oma wies darüber hinaus mit großer Beharrlichkeit darauf hin, dass früher alles besser gewesen sei. Auch das stimmt natürlich. Was die alte Dame kleinstädterhorizontbedingt selbstredend nicht ahnen konnte, ist, dass sich der in früheren Zeiten vereinzelt auftretende Straßenmusiker vom gaukelnden Dienstleister unserer vormals idyllischen H&M-freien Fußgängerzonen irgendwann in mafiaähnlich strukturierten Organisationen von Beschallungswegelagerern zusammenschließen würde.

Vor ein paar Jahren haben wir die Gruppen kleiner Südamerikaner mit ihren viel zu großen Ponchos noch mit dem Wohlwollen des exotisch Neuen betrachtet. Auf ihren Panflöten stimmten sie uns immer wieder das lieblichklingende El Condor Pasa an. Irgendwann aber war selbst in Lateinamerika die Industriealisierung nicht mehr aufzuhalten. Nach eingehender Analyse durch eine namhafte Unternehmensberatung ging man verstärkt dazu über, im Zuge eines optimierten Produktionsprozesses, Arbeit durch Kapital zu ersetzen. Es wurde in Verstärkeranlagen, mannshohe Lautsprecher, Drumcomputer und Playbacks investiert, während überzählige Begleitmusiker kurzerhand freigesetzt und in das über Hartz IV weit hinausgehende Elend der dritten Welt zurückgeschickt wurden. Nach dieser Konsolidierung gestärkt, vertrieben die sombrerotragenden Musikanten daraufhin sämtliche Chinesen mit singenden Sägen, afroamerikanische Gospelsänger und bachtoccatenspielende russische Knopfakkordeonspieler aus unseren Innenstädten. Als der Markt vollständig bereinigt war, gingen die verbleibenden Monopolisten dazu über, auch ihre Panflötenklänge vom Band abzuspielen, um sich ausschließlich auf das Einsammeln der Kollekte sowie die Veräußerung von Tonträgern mit mauleselbebilderten Covers zu konzentrieren.

Was soll daran nun gut oder gar besser gewesen sein? Ganz einfach. Gut war, dass diese Form von Straßenmusiker immobil war. Equipmentbedingt waren sie an ihrem Platz fest verankert. Wer eine musikalische Reise in die Anden unternehmen wollte, verweilte ein bisschen und wer keinen Sinn für romantische Panflötenbeschallung hatte, ging einfach seines Weges. Heute jedoch gibt es kein Entkommen mehr, denn die globalisierte Welt hat auch im Segment der Straßenmusikerei neue Wettbewerber angespült, die darauf erpicht sind, den deutschen Markt zu erschließen.

Während die Citys nach wie vor fest in der Hand der Peruaner, Bolivianer und Chilenen sind, macht sich in den szenigeren Quartieren der Großstädte fortschreitend bemerkbar, dass der Deutsche zunehmend dem Dönerkonsum huldigt, während die in früheren Jahren geschätzten Balkan-Grille weitestgehend vom Aussterben bedroht sind, was zur Folge hat, dass mit freundlicher Unterstützung der zuständigen Arbeitsagenturen immer mehr südosteuropäisches Ex-Küchenpersonal, anstatt einem gemeinnützigen Ein-Euro-Job nachzugehen, auf musikalische Ich-AGs, bevorzugt in der gängigen Triobesetzung Akkordeon (bei besonderer Begabung in Kombination mit Gesang), Trompete (wahlweise Saxophon) und Tamburin (gern auch in Verbindung mit Klingelbeutel), umgeschult werden.

Florian Gerster, der Vorgänger von Frank J. Weise, hat seinerzeit als erste Amtshandlung in seiner Funktion als Leiter der Bundesanstalt für Arbeit und somit als oberster Zuständiger für die berufliche Qualifikation der Arbeitssuchenden entschieden, dass den angehenden Musikern nur ein einziges Lied beigebracht werden soll. Gründe hierfür waren, neben der möglichst raschen Überführung der Betroffenen in den ersten Arbeitsmarkt auch die Bereinigung der Arbeitslosenstatistik sowie die massive Kürzung des Umschulungsbudgets für Musiker aus den Balkanstaaten zugunsten von nichtausgeschriebenen Beraterverträgen im Zusammenhang mit der geplanten Umorganisation der später als Bundesagentur für Arbeit bekannten Behörde.

Weil Herr Gerster sich von allen Seiten, seines Erachtens selbstredend vollkommen zu unrecht, ungeliebt fühlte und weil es darüber hinaus sein Lieblingslied war, können wir alle seit Jahren in keinem Straßencafé dieses Landes mehr unseren Cappuccino genießen, ohne dass dazu aus irgendeiner Ecke Besame Mucho ertönt. Die aktierenden Gesellen versuchen mangelnde musikalische Begabung durch einen entsprechenden Fleiß auszugleichen. Immer und immer wieder spielen diese sogenannten Musiker deshalb Besame Mucho. Ist das eine Ensemble gerade fertig mit seiner schallenden Darbietung und reicht mit einer selbst von Rosenverkäufern und Vertriebsmitarbeitern der örtlichen Obdachlosenzeitung nicht zu überbietenden Penetranz den Hut herum, um mit treuherzigem Dackelblick einen Obolus für die erbrachten, aber weitgehend ungebetenen Dienste einzufordern, steht schon die nächste Gruppe bereit, um zu ihren klanglichen Küssen anzusetzen. „Besame, besame mucho …“

Immer wieder finden sich in der Audienz naive Zeitgenossen, die, sei es aus purer Gutmütigkeit oder in dem Glauben, die bettelnden Krachmacher auf diesem Wege möglichst schnell loszuwerden, ein paar Münzen in den Hut werfen. Ihnen sei an dieser Stelle gesagt, dass es sich genau wie mit den Tauben verhält: Fängt man einmal damit an, die Ratten der Lüfte zu füttern, wird man sie nie wieder los.

Straßenmusiker, küsst mich nie wieder. Und üben könnt ihr auch zuhause. Na gut, von mir aus könnt ihr wiederkommen, wenn euer Repertoire mindestens fünf Lieder umfasst.

Anm. d. Red. (bevor es wieder kritische Kommentare hagelt): Ja, ich weiß, dass auf dem Bild keine ponchotrangenden Südamerikaner zu sehen sind, sondern vermutlich Straßenmusiker indianischer Abstammung. Der Text war allerdings vor dem erFlickrten Bild da. Ich bitte die Ungenauigkeit vielmals zu entschuldigen.

19 Antworten auf „Wo man singt“

Die gabs in der Hamburger City auch immer. Und egal was alle sagen: Ich finds nervig. Diese Gepfiepe, diese fiesen hohen Töne, dieses Zeug ist so nervig, dass ich sofort Kopfscherzen bekomme. Hatte das falsch verstanden, denen Geld zu geben, ist nicht dafür, dass sie aufhören zu spielen. Mist!

Das sind Indianerkostüme tragende Südamerikaner, und zwar ziemlich genau die, die fünf Jahre vorher noch Poncho trugen.
Und am allerschlimmsten sind die, die davor stehenbleiben und das noch unter „Kultur“ verbuchen. Eine schlimme Welt.

Der weiße Mann beging mindestens zwei Kardinalverbrechern an den mittel- und südamerikanischen Ureinwohnern. Erstens brachte er ihnen das Feuerwasser (und meuchelte die Wehrlosen auf grässliche Weise), weit später brachte er ihnen Hallgeräte und Synthesizer, auf dass nur mehr einer zum Panflöten und einer zum Tanzen/Singen nötig sei und sie ihre Fußgängerzonenpräsenz exponentiell vergrößern konnten…

(Politische Unkorrektheiten sind hier nur der Argumentation geschuldet und entsprechen nicht den Ansichten des Autors)

Ich finde ja diese Russen hier in Hannover in der Fußgängerzone schon ein bißchen faszinierend. Ultra Musiker. Die Urban Legend sagt ja: alles studierte Musiker vom Konservatorium. Andererseits: Musiker die Noten lesen können finde ich sowieso langweilig. Ich warte immer noch auf den Straßenmusiker der Fredl Fesl covert – dem würde ich nen Euro geben.

Ich habe was gegen Dauerbeschallung, ganz gleich welcher Art. Ich bin Musikgenießer und kein Musikkonsumierer. Im Kaufhaus wird man mit Musik penetriert, im Fahrstuhl, im Supermarkt und in Einkausstraßen. Wenn ich Musik hören will, lege ich mir eine CD ein und das ganz bewußt. Permanentes Rumgefiedel, ganz gleich welcher Art, geht mir auf den Keks. Da können die ponchotragenden Indianer noch so viel Equipment auffahren, ich bezahl das nicht.

Die Lösung, nach der ihr alle sucht ist diese: Jever! Hier gibt es zwei Balkan-Grillrestaurants, aber nur einen Döner-Laden. Desweiteren sind hier niemals irgendwelche Straßenmusiker anzutreffen. Ich sage: Es ist das Paradies!

Dafür liegt in Jever aber ansonsten auch weitgehend der Hund begraben. Außer ein wenig durch die Stadt zu tapern, das Schloss zu besuchen und vielleicht einmal vor den Toren der Stadt die Brauerei zu besichtigen, kann man so wirklich viel dort ja auch nicht anfangen. Finde ich. :)

Vielen Dank auch – hatte die indianertragenden Ponchos erfolgreich verdrängt. Und dann lese ich diesen Beitrag und erinnere mich voller Schrecken an zuckersüße Panflöten, die mir in zubetonierten „Einkaufsstraßen“ mit ihren widerwärtigen Klängen den Weg versperren.

@schnitzel: An der Wunderschönheit der Stadt wollte ich auch in keiner Hinsicht rütteln. Ich sprach nur davon, dass in Jever – gerade unter der Woche – nachts nicht mehr wirklich viel los ist. Das ist in meiner heißgeliebten Heimatstadt, Leer (Ostfriesland), ja nunmal auch keine Bohne anders. Und was ist das dann für’n riesiges Glasdingen, wenn Du reinkommst, links, wo Jever dransteht? Ich hatte das immer für die Brauerei gehalten… :)

@ Ole: Das ist richtig. Unter der Woche gibt es in Jever nachts nicht viel zu holen. Das würde mich allerdings auch um meinen Nachtschlaf bringen. ;) Das riesige Glasdings ist in der Tat die Brauerei, allerdings ist die nicht vor der Toren der Stadt sondern dort beginnt bereits mittendrin. :P

Vor dem MERCADO in Ottensen jedoch tummelt sich manch wirklich begabter Musikus. Ich habe dort schon sehr gute Musik vernommen. Möglicherweise sind die beschriebenen Zustände an gewisse Örtlichekeiten gebunden …

@404: Na ja, es gibt immer sonne und sonne. Die in der Schanze können übrigens auch nur „Besame mucho“, obwohl sie keine Ponchos tragen.

Den Link habe ich korrigiert. Danke für den Hinweis.

Alle Achtung – bachtoccatenspielend – das ist aber ein
wunderprächtiger Neologismus.

Der gefällt mir. Ich bin auch ein Freund der
unkonventionellen Züchtung neuer Wortlebewesen.

Weiter so!

Ihr müßt doch nicht stehenbleiben. Laßt Sie Ihr Geld verdienen. Sind mir tausendmal lieber als Schnorrer.Ich jedenfalls habe respekt, denn sein Geld auf der Straße zu verdienen ist mit sicherheit sehr schwer.

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