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Hamburg

Café unter den Linden

flickr: Café unter den Linden

Etwas abseits der belebten Schanzenpiazza, wo Mädchen mit tellergroßen Sonnenbrillen bekleidet Milchkaffee aus Gläsern trinken, den sie Galão nennen, liegt an einer ruhigen kopfsteingepflasterten Straßenkreuzung das Café unter den Linden. Dort, wo ich in meiner Jugend den ersten Milchkaffee aus der Schale trank und den Übergang vom Speiseeis zum Kuchen meisterte, bin ich bis heute hängengeblieben. Am exzellenten Service kann es nicht liegen. Fast glücklich darf sich schätzen, wer die Gelegenheit erhält, eine Bestellung aufzugeben; eine Audienz beim Papst dürfte einfacher zu erlangen sein. Die Betreiber haben es geschafft, ausschließlich charmant-verpeilte Leute für ihre Servicecrew zu rekrutieren, denen man es allerdings kaum übelnehmen kann, übersehen zu werden oder genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich bestellt hat, geliefert zu bekommen. Ganz sicher hat dies System, andernfalls wäre eine solche Homogenität und die Tatsache, dass sich auch der Servicenachwuchs perfekt in das Servicekonzept einpasst, nicht zu erklären. Ebenfalls zu monieren wäre, dass es dem Personal gelingt, den Innenraum, der sich im vorderen Teil durch einen 50er-Jahre-Eisdielen-Stil und im hinteren Teil durch gemütliche Lederbänke gekennzeichnet auszeichnet, meist mit nervraubender und unpassender Musik, oft elektronischer Art, zu beschallen.

Das Publikum stört dies alles nicht. Seit den achtziger Jahren ist es seinem Kaffeehaus in Treue verbunden. Viele Stammgäste kommen sogar jeden Tag, sei es zu einer Partie Schach oder zum Studium der linken Monatszeitschrift Konkret. Die Auswahl an bereitliegenden Zeitungen und Magazinen ist phänomenal. Es gibt kaum ein deutschsprachiges Printerzeugnis, das hier während des Cafébesuches nicht eingesehen werden kann; selbstverständlich liegen auch eine Reihe von ausländischen Tageszeitungen zur Lektüre bereit. Das Publikum ist ebenso breit gefächert und reicht von der Titanic lesenden Kaberettistin über Jungle World überfliegende Ex-Terroristen bis hin zu in der Spex blätternden Musikern der Hamburger Schule. Das Gros der Besucher hetzt allerdings meist der einizigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung hinterher.

Erkämpft man sich an sonnigen Tagen einen der begehrten Plätze im Freien, so kommt dies einem kleinen Urlaub gleich. Der Kaffee ist hervorragend und es gibt selbstverständlich zum Espresso unaufgefordert ein Gläschen Leitungswasser dazu. Auf der Tageskarte stehen täglich wechselnde Gerichte, darunter diverse köstliche Pastavariationen und leckere Salate. So richtig glücklich allerdings macht der Kuchen. Es ist mittlerweile kein Geheimnis mehr, dass die Kuchen zu den besten Stadt gehören und der Käsekuchen völlig verdient eine Berühmtheit erlangt hat, die weit über die Grenzen Hamburgs hinaus geht. Hier wird der perfekte Käsekuchen gebacken, mit Mürbeteigrand, locker, aber nicht zu locker, perfekte Abstimmung zwischen Süße und Säure. Ich will so weit gehen und vom Referenzkäsekuchen sprechen. Jeder, der vorhat, einen Käsekuchen zu backen, sollte sich das Backwerk des Cafés unter den Linden zum Beispiel nehmen. Meiner Mutter würde ich mich dies so allerdings nie zu sagen trauen. Schließlich ist ihr Käsekuchen auch ganz ordentlich und ich möchte der Gefahr einer möglichen Enterbung entgehen.

20 Antworten auf „Café unter den Linden“

Eine große Sonnenbrille allein macht noch keine Schanzenschnitte, sage ich als Freundin großer Sechziger-Jahre(!)-Sonnenbrillen.

Und froh bin ich, dass mein Käsekuchen an die Referenzausgabe annähernd heranreicht, hehe.

@lady-kinkling: Das ist wohl wahr. Auch gelegentliches Sitzen auf der falschen Seite des Schulterblatts macht noch keinen schlechten Menschen.

Dein Käsekuchen ist der des Cafés unter den Linden selbstverständlich ebenbürtig. Wie konnte ich dies nur unerwähnt lassen?

Mir macht es wirklich Spass Deine Einträge zu lesen.
Bei meinem nächsten HH Besuch werde ich mir mein Brüderchen schnappen und mich von ihm in diesem Café zu einem Stück Kuchen einladen lassen. Bin gespannt, ob er leckerer ist als der unglaublich tolle Schokokuchen im Café May.

Abseits vom Café: Gott, diese Tellerbrillen sind so hässlich! Warum die Frauen und Mädels sich immer entstellen müssen – ick wees dat nich‘. Verbergen die etwas? Haben sie ein Gesicht, das man nur noch verbergen muss? *seufz* :-(

ad bosch: Oha. Da seht Ihr’s. Ich bin gerührt.
ad Nils: Ich steh halt auf 60er-Jahre-Sonnenbrillen und
ad alle: Ein entscheidender Vorteil ist zudem: Sie lassen einfach an der Seite keine Sonne durch. Das ist super.

Ceterum: Das Café unter den Linden ist auch super. Da hab ich auch schon einiges erlebt. Z.B. die Spinatsuppe. Und den Kuchen.

@Bosch: Nene, ich finde diese Klobrillen-Brillen sehr unansehnlich. Und zu Deinem „kleine Sonnenbrillen“-Beispiel: Die Sonnenbrille ist da a) nur ein Aufsatz und b) sehr schön. Dass die arme Brille in so einer besoffenen Umgebung hockt, dafür kann sie ja nichts. ;-)

Sonnenbrillen erwähnte ich im Kommentar zu „Sitzblockade“. Genau
die meinte ich.
Wer darf sie tragen ? Auf jeden Fall habe ich es Hildegard Knef nicht
nachgetragen. Paris H. und Victoria Beckham sind auch so jenseits von
gut und böse, dass ich ihnen auch nicht böse bin.
Aber abgrundtief häßlich sind diese Brillen meistens schon. Ja, meistens,
wie gesagt, man wird ja abgehärtet…

Ich war vor zwei Wochen mal nen Tag in HH. Abends John Casavetes „Gloria“ im Metropolis und vorher Russischen Zupfkuchen im Cafe unter den Linden.
Service war auf zack und der Kuchen super. Nur die Plattenläden im Schanzenviertel waren schlechter sortiert als der eine den es hier in Hannover gibt (ging um Vinyl). Seltsam.

Es war wolkig, keiner trug ne Sonnenbrille

Das hört sich total gemütlich an.Ich liebe solche Cafes!Dann muss ich wohl mal darauf warten ,dass mich jemand nach Hamburg einlädt..oder ich gehe halt alleine …und werde in Kuchen und gutem Kaffee schwelgen…Ich darf das….

ein wichtiges auswahlkriterium für die servicekräfte ist natürlich auch die frisur oder besser gesagt deren vollständiges fehlen trotz vorhandener haarpracht. :)

Kaffee…

Foto: wortmeer
Nachdem ich mich gestern ausführlich dem Bier gewidmet habe, komme ich heute nun zu dem anderen Lieblingsgetränk der Deutschen: Dem Kaffee.
Wie die Süddeutsche Zeitug heute unter der etwas holprigen Überschrift “Der letzte Ca…

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