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Kleinstadt

Die Stadt hat jetzt auch einen Pop-up-Store. Es ist keiner von diesen hippen temporären Läden, wie wir sie aus Berlin-Mitte kennen. Hier gibt es keine ausgewählten Teile von angesagten Nachwuchsdesignern, sondern im Erdgeschoss der seit langem leerstehenden Warenhaus-Filiale werden Kleidungsstücke der vorletzten Kik-Kollektion mit einem Rabatt von 20% verwertet. Wo sich früher die Kurzwarenabteiltung befand, ist heute eine Resterampe. Es riecht nach Chemielabor.

Wie Krebs frisst sich der Leerstand durch die Einkaufsstraße. Aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung: Immerhin scheinen 1-Euro-Shops und Billigfriseure zu florieren.

Fußgängerzone, Itzehoe

When you’re growing up in a small town,
You know you’ll grow down in a small town.
There is only one good use for a small town,
You hate it and you’ll know you have to leave.

(Lou Reed)

Die Stadt hat jetzt auch einen Pop-up-Store. Es ist keiner von diesen hippen temporären Läden, wie wir sie aus Berlin-Mitte kennen. Hier gibt es keine ausgewählten Teile von angesagten Nachwuchsdesignern, sondern im Erdgeschoss der seit langem leerstehenden Warenhaus-Filiale werden Kleidungsstücke der vorletzten Kik-Kollektion mit einem Rabatt von 20% verwertet. Wo sich früher die Kurzwarenabteiltung befand, ist heute eine Resterampe. Es riecht nach Chemielabor.

Wie Krebs frisst sich der Leerstand durch die Einkaufsstraße. Aber es gibt auch Zeichen der Hoffnung: Immerhin scheinen 1-Euro-Shops und Billigfriseure zu florieren. Der wiedereröffnete Jeansladen gegenüber dem Wurst-Pavillon nennt sich voller verzweifelter Ironie „Comeback“, aber die einsam vor dem laden stehende zigarettenrauchende Verkäuferin deutet bereits darauf hin, dass das Comeback nur von kurzer Dauer sein wird. Früher gab es ein paar Eisdielen, in denen Cappuccino mit Sahne serviert wurde. Heute trifft man sich in einem der vielen Bäckereicafés zu aufgebackenen Teiglingen, die vorzugsweise mit fettiger Salami belegt werden, und Bohnenkaffee aus großen Bechern.

Das Einkaufszentrum der Stadt begeht in diesem Jahr sein vierzigjähriges Jubiläum. Von feiern mag niemand sprechen. Auch den solariumgebräunten pummeligen Mädchen mit blonden Strähnen ist nicht nach Party zumute. Dicht gedrängt belegen sie die Sitzgelegenheiten vor der offenen Küche der Filiale der amerikanischen Burgerbratkette und kratzen mit ihren glitzersteinverzierten aufgeklebten Fingernägeln auf den winzigen Displays ihrer Smartphones herum. Die Plakate in den Schaufenstern der Mobilfunkläden werben indes für Seniorenhandys. Es gibt nichts, was den demographischen Wandel in dieser Region besser aufzeigt.

Das Traurigste sind immer die Buchläden, also besuche ich beide. Es gibt hier kaum Bücher abseits der Taschenbuch-Bestseller-Liste. Routinemäßig schaue ich bei Thomas Bernhard und Arno Schmidt und blicke erwartungsgemäß ins Leere. Nicht, dass ich je ein Buch von Arno Schmidt mehr als nur interessiert durchgeblättert hätte, aber irgendwann wird der Tag kommen, an dem ich eines erwerben möchte, um es zu lesen. In diesem Fall wäre es gut, wenn die Buchhandlung vor Ort ein Exemplar bereithielte. Die größte Gemeinheit, die der sogenannte Literaturbetrieb einem Nobelpreisträger zuteil werden lassen kann, ist, sein lyrisches Werk in der Geschenkbuchecke neben der gesamten Dümmlichkeitscomedy dieses Landes zu positionieren. Überhaupt der Kulturbetrieb: Im Stadttheater kann man zu Ticketpreisen, die höher sind als im Hamburger Thalia-Theater oder der Berliner Volksbühne, Operngastspiele des Nordharzer Städtebundtheaters und 80-Jahre-Schlager-Galas besuchen. Das letzte verbleibende Kino zeigt erst in sechs Wochen wieder einen halbwegs brauchbaren Film; diesen aber auch nur zwei Mal. Hätte die regionale Tageszeitung ein Feuilleton, wären dies die hässlichsten Seiten der Stadt.

Ich gehe in eine Kneipe, die heißt wie ein griechischer Weingott. Allein sitze ich am Tresen und unterhalte mich mit dem Barkeeper. Er klagt ein wenig darüber, dass noch weniger los sei, nachdem auch die letzte Kaserne in der Gegend geschlossen wurde. Ein wenig fühle ich mich wie Moritz von Uslar in der brandenburgischen Provinz, nur ohne Boxclub. Nach einer Stunde haben wir einander nichts mehr zu erzählen. Ich zahle meine zwei großen Pils vom Fass und einen Laphroaig: 8,90 Euro. Das ist ein fairer Kurs, denke ich. Und während ich mich noch frage, ob hier wirklich alles schlecht ist, überlege ich, ob es hier überhaupt einen Boxclub gibt.

26 Antworten auf „Kleinstadt“

Die da wo den Mittelstand stützen durch arbeiten, die trinken Bohnenkaffee aus großen Bechern und dazu gibts gerne auch ein Wurstbrot in der Aufbackfiliale an der Ecke. Schlimm wird erst, wenn es da zu wenig von gibt.

Lieber bosch,
Danke für den Denkzettel. Die deutschen Kleinstädte samt Fußgängerzone sehen alle gleich aus. Das Bild könnte auch in Neustadt, Bielefeld oder Gütersloh geknipst worden sein. Das prangere ich an!

Es grüßt Sie

B. U. Mat / @buntomat

Dass es in meiner ehemaligen Heimat mittlerweile so aussieht wusste ich ja eigentlich – aber wenn man es schwarz auf weiß liest, merkt man erst richtig, wie schlimm das wirklich ist. Schade! Ich denke, viele Kleinstädte könnten viel mehr aus sich machen, Potenzial haben die meisten allemal.

vllt sollte man großstädte platt machen, oder die medien die die städte groß machen, um die „provinz“ zu beleben. wenn das so weiter geht, sieht es bei uns auf dem land bald so aus wie in kirgisien oder china. traurig.

Das traurigste steckt in den EXIF-Daten dieses Fotos: Das wurde am einem Dienstag kurz vor 19 Uhr aufgenommen. Wie man hier und da erkennen kann, haben die Läden noch auf. Aber… Da ist NIEMAND!

Und wenn ich hier in die Städtchen drumherum (Winsen/Luhe etwa) fahre, sieht es genauso aus.

Ich kenne das abgebildete Städtchen, komme selbst aus der Gegend. Das Schlimme ist, dass es sich um keine kleine Minderheit handelt, die aus diesen Mittelstädten kommt, die 10.000-100.000 Einwohner haben. Es gibt in Deutschland hunderte solcher Städte.
Zuerst starb der Einzelhandel, weil Discounter und Großmärkte billiger waren. Die Leute haben sich im Fachhandel beraten lassen und dann beim Großmarkt gekauft. Inzwischen kaufe ich selbst nicht mehr beim Fachhandel, weil ich das Gerät dort nicht mehr reparieren lassen kann. Denn der Verkäufer schickt mich entweder direkt zum Hersteller oder den Laden gibt es morgen nicht mehr.
Die Großmärkte werden auch noch Probleme kriegen, wenn immer mehr Kunden dort beraten werden wollen und anschließend im Internet kaufen. Bleiben noch Textilien-Filialketten in den Großstädten übrig.

Wow. Ein richtiges Reise- bzw. Heimatbild! Auf dem Foto vermisse ich eigentlich nur diese dubiosen Bündel aus verdorrten Gräsern und Unrat, die von einem gleichgültigen Westwind durch die Straßen gepustet werden… So wie im Intro von „The big Lebowski“. Episch!

Im Ernst: Freunde, das ist die Zukunft. Oben hat es ja schon ein Leser angemerkt – „im Osten“ wird die Zukunft (mal wieder) zuerst beginnen. Da übernehmen dann die Wölfe und Bären…

Schön geschrieben, respekt, aber es ist und bleibt halt eben Provinz. Und ich glaube das es fast überall in Deutschland in Provinziellen Gegenden das gleiche ist. Das Durchschnittsalter steigt, der Rest der kann, zieht in die Stadt um kurze wege zu haben oder eben um mehr angebot ( von was auch immer ) zu haben. Die die halt bleiben mögen es eben ruhig und beschaulich und das dadurch eben auch die Kaufkraft fehlt ist wohl auch eine logische Schlußfolgerung.
Und das ein arno schmidt nicht in einer solchen buchhandlung nicht zu finden ist naja, lasse ich hier einfach mal unkommentiert.

Und es immer leicht in einer stadt zu leben und über die Provinz zu schreiben als dort zu leben.

schönen tag noch …

Ich wurde als französische Fremsprachassistentin einer Itzehoer Schule zugewiesen und ich muss zugeben, dass das von Ihnen geschilderte Bild mich etwas beangstigt . Ich habe über Itzehoe recherchiert, ich weiss aber nicht, was sehenswert ist. Ab Oktober werde ich dort arbeiten, doch eines ist sicher: ich werde in Hamburg wohnen…

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