„Das Central ist nämlich kein Caféhaus wie andere
Caféhäuser, sondern eine Weltanschauung (…) Seine
Bewohner sind größtenteils Leute, deren Menschenfeindlichkeit
so heftig ist wie ihr Verlangen nach Menschen, die allein sein wollen,
aber dazu Gesellschaft brauchen (…) Die Gäste des Central kennen,
lieben und gering schätzen einander (…) Es gibt Schaffende, denen nur
im Central nichts einfällt, überall anderswo weit weniger (…)“
Naturgemäß ist es eine Illusion, zu denken, man könne samstagsnachmittags ins Sankt Oberholz gehen, um ein bißchen zu arbeiten. Zwischen all den backpackenden Touristengruppen ist kein klarer Gedanke zu fassen – nicht einmal ein ganz einfacher. Flüchtig bekannte Gesichter werden vom fahlen Licht der Hintergrundbeleuchtung ihrer mobilen Rechner angestrahlt. Es sind lediglich die am Wochenende verschlossenen Türen unserer Büros und die Einsamkeit an unseren Schreibtischen zuhause, die uns heute an diesen Ort treiben.
Und während ich Zucker in meinen Espresso rühre, frage ich mich, wie es Alfred Polgar ergangen wäre, hätte man seinen Apfelstrudel durch öffentliches WLAN ersetzt.
Eigentlich hat sich nichts geändert, nur das Kalenderjahr ist auf Elf gesprungen. Ein Blick ins Internet jedoch verrät, dass im neuen Jahr doch vieles anders ist:
Ansonsten eher melancholische Bloggerinnen versprühen plötzlich einen Hauch von Optimismus. Auf XING geben alle ihre tollen neuen Jobs bekannt: Sie sind nun Senioren, Direktoren oder gar Chiefs of irgendwas. Nur einer ist Investmentfondsmanager in Luxemburg geworden. Auf Facebook zeigen plötzlich alle weiblichen Wesen, die man aus heute unerklärlichen Gründen früher irgendwann einmal als sehr anziehend empfand, Fotos von ihren neuen niedlichen Babys. Nur eine hat ihren Beziehungsstatus auf „es ist kompliziert“ geändert.
Lediglich auf Twitter können wir uns verlassen, denke ich. Hier ist alles wie immer: wir halten uns an unserem Humor fest und können beruhigt sein, dass wir hierfür keine Ratgeberbücher für positives Denken, dynamische Arbeitgeber oder funktionierende Beziehungen brauchen. Wir haben nichts erreicht, aber können in 140 immerhin noch ein bißchen über uns selbst lachen.
Am Bahnsteig stehend sinniere ich darüber, ob der Zug für mich vielleicht längst abgefahren sei. Aber es ist Winter in Berlin – jetzt fahren keine Züge.
Es ist ein warmer Sommertag in Berlin und meine Begleitung ist aus Gründen meinetwegen zu recht etwas verdrießlich. Mit leeren Mägen ziehen wir durch Kreuzberg und landen nach einer Weile in einem Lokal direkt am Wasser. Die Bedienung lässt uns verhältnismäßig lange warten, versprüht Freundlichkeit nur in homöopathischen Dosen und das uns kredenzte Frühstück bewegt sich geschmacklich im unteren Mittelfeld. Obwohl vor dem Steg vereinzelt tote Fische an der Oberfläche des Wassers treiben, schenkt meine Begleitung mir an diesem widrigen Tag noch einmal ihr schönstes Lächeln.
Während meine Begleitung eine der Sportlichsten ist, scheitere ich bei Trivial Pursiut an den Fragen der Kategorie Orange. Lediglich im Tischtennis habe ich den Hauch einer Chance gegen sie. Dies allerdings nur, weil ich noch immer von den geschickten Aufschlagsvarianten mit viel Seitendrall profitiere, die ich in meiner Jugend erlernte, in der ich diese Rückschlagsportart einst in der Kreisliga ausübte.
Häufig gehen wir im Sommer zu der Betonplatte im Park nebenan. Obwohl sie viel weniger Freude am Tischtennis hat als ich, springt sie über ihren Schatten und tut dies mir zum Gefallen. Später wird mir klar, dass ich dies umgekehrt hätte auch häufiger machen sollen. Warum nicht einfach mal zusammen Laufen gehen oder sogar ganz verrückte Dinge wie Tanzen? Mit ihr wäre das alles sicher ganz schön gewesen; aber meine Angst, dass sie mir davon liefe oder ich auf dem Parkett eine zu ungelenke Figur machte, war zu groß.
Ausgerüstet mit unserem Tischtennisequipment, zu dem neben zwei recht miesen Schlägern und einem oft willkürlich abspringenden Ball immer auch zwei Flaschen Augustiner Helles gehören, suchen wir die Sportstätte unseres Vertrauens auf. Die Platte ist jedoch bereits belegt: eine größere Gruppe junger Männer spielt Rundlauf. Wir lassen uns gern dazu einladen; kommen aber beide meist nicht besonders weit, da zwei der Spieler die Kunst des Schmetterns beherrschen, was übrigens früher – als Tischtennis noch Ping Pong hieß – wegen der möglichen Verletzungsgefahr verboten war. Es ist nicht schlimm, vorzeitig aus dem Turnier zu scheiden, gibt dies uns doch die willkommene Gelegenheit, an diesem heißen Tag ein Schluck kühles Bier zu trinken.
Aus dem Nichts heraus gesellt sich ein Mädchen mit einem Dosenbier in der Hand zu der Runde. Sie macht einen desolaten Zustand; spricht sehr leise und undeutlich. Natürlich lassen wir sie mitspielen. Die Regeln des Spiels scheint sie nicht zu verstehen oder sie sind ihr ganz einfach egal: Den Schläger hält sie wie einen Hammer und den Ball lässt sie stets zuerst auf ihrer eigenen Tischhälfte aufprallen (außer beim Aufschlag); macht sie einen Fehler, dann stellt sie sich – als ob nichts gewesen wäre – einfach auf der anderen Seite des Tisches wieder an. Sie sagt, sie habe Borreliose und etwas Bewegung täte ihr gut. Alle sind irritiert von dem merkwürdigen Verhalten des Mädchens, aber keiner traut sich, etwas zu sagen. Wir tauschen ratlose Blicke aus, dennoch besteht die stillschweigende Einigkeit, das Mädchen einfach gewähren zu lassen. Irgendwann später zieht das Mädchen mit dem Zeckenbiss wortlos von dannen. Mir tut sie leid, aber wie die anderen sicher auch, bin ich ein bißchen froh, dass das Spiel nun ganz normal weitergehen kann.
Ein paar Wochen später schenkt mir meine Begleitung zum Geburtstag ein Set besserer Schläger, mit denen wir sicher die eine oder andere Runde hätten erfolgreicher bestreiten können; im Winter wollten wir in der Halle spielen. Die neuen Schläger habe ich nie ausgepackt.
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