Negroni Week und Kalibrierungs-Negroni

Le Lion

Schon lange treibt mich der Gedanke um, ein Getränkeblog aufzumachen. Da ich aber schon an dieser gewohnten Stelle kaum zum Schreiben komme, platziere ich meine Trinkerlebnisse einfach hier, in der Hoffnung, niemanden damit zu langweilen, aber trinken müssen wir ja irgendwie alle.

Und weil dies hier kein richtiges Getränkeblog ist, fasse ich mich einfach kurz. Egal, wo man ist auf der Welt, bestellt man in einer Bar einen Negroni, so blamiert man sich nie. Selbst in ganz normalen Restaurants ist man oft in der Lage, einen doch ganz anständigen Negroni zu mixen. Der Aperitif-Cocktail besteht zu gleichen Teilen aus Gin, rotem Wermut und dem italienischen Bitter-Likör Campari, die auf Eis kaltgerührt werden. Ganz einfach, da kann man nicht viel verkehrt machen, möchte man meinen, was so natürlich auch nicht stimmt.

Jedenfalls ist der Negroni einer der wenigen wirklich großen Klassiker, den Europa auf die Weltkarte der guten Liquide gesetzt hat. Seinen Ursprung hat der Negroni im Americano, der möglicherweise ursprünglich nach seinen Zutaten Milano-Torino hieß. Aus Mailand kam der Campari, der Cinzano aus Turin – beide zusammen wurden mit einem Spritzer Soda aufgefüllt. Alle Quellen widersprechen einander, aber der Ursprung des Namens hat nicht einmal James Bond interessiert, bevor er der Einfachheit halber irgendwann auf Martini umgestiegen ist.

Der Negroni wiederum, da ist sich die Spirituosengeschichtsschreibung weitgehend einig, entstand etwa 1920 im Florenzer Caffè Casoni. Dort bestellte Graf Camillo Negroni einen starken Americano, bekam einen solchen – mit Gin aufgefüllt –  und geboren ward der Negroni.

Negroni

Und warum jetzt nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, dachten sich im Jahre 2013 das Magazin Imbibe und die Firma Campari und ersannen sodann die Negroni Week. Das Prinzip ist schnell erklärt: Auf der ganzen Welt nehmen Bars teil, mixen Negronis und Negroni-Varianten und spenden einen Teil der Erlöse für einen guten Zweck ihrer Wahl. Im vergangenen Jahr haben weltweit rd. 7.700 Bars und Restaurants mitgemacht und seit Beginn der Aktion mehr als 1,5 Millionen US-Dollar für wohltätige Zwecke gesammelt.

In Hamburg beteiligt sich unter anderem meine Lieblingsbar Le Lion, wo ich an diesem Freitag das Vergnügen und die Ehre habe, als Mit-Gastgeber eines halboffiziellen Einschwingens zu wirken. Es gibt die wohl besten Negronis der Stadt und ganz zauberhafte Varianten, die dann vom 4.-10. Juni 2018 auch ganz offizell auf der Karte stehen (wer nicht in Hamburg ist, findet hier ganz sicher auch eine teilnehmende Bar in seiner Nähe).

Welche Varianten mir am besten gefallen haben und warum ich empfehle, zur Kalibrierung mit einem klassischen Negroni aka
#kalibrierungsnegroni zu beginnen, erzähle ich in Jörg Meyers
Podcast Emfehlungen eines Trinkers in Folge 69.

Wer Lust hat, am Freitag, den 1. Juni 2018 um 17 Uhr im Le Lion beim Warm Up zu Negroni Week 2018 dem #daydrinking zu frönen, hat die Chance, unter dem folgenden Link eines der streng limitierten Tickets zu ergattern:

https://www.eventbrite.de/e/negroni-week-warm-up-kalibrierungsnegroni-tickets-46604222484

Das Le Lion lädt auf einen sommerlichen Sloegroni ein. Danach gibt es alle weitere großartige Variationen zu erschwinglichen Preisen. Alle Einnahmen dieses Abends gehen zu 100 % an das Hamburger Spendenparlament, das sich lokal, ehrenamtlich und sehr transparent für Menschen in Not einsetzt. Und weil das eine gute Sache ist, die auch ich gern unterstütze, spende ich ebenfalls mein gesamtes Honorar aus dieser Kooperation mit Campari.

Also, trinken Sie nicht nur gut – wie es im Podcast so schön
heißt –, sondern trinken Sie auch für einen guten Zweck. Cheers!


Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von
Campari Deutschland.

#boschbooze: Buck and Breck

Buck and Breck

Keine Waffen, keine Mobiltelefone, keine Kartenzahlungen, kein Speiseeis und keine Fotos. Stattdessen die Türklingel mit der Aufschrift „Bar“ betätigen, darunter zur Bekräftigung ein Schild mit der Aufschrift „HIDE YOUR PHONE/please/ENJOY THE DRINK“. Berlin-Mitte, es ist 19.30 Uhr, draußen ist es noch hell, ich klingle und warte kurz, dann öffnet sich die Tür, „Eine Person?“, „Ja, eine Person“. Allein sind Bars am besten und ich mag es, wenn es draußen noch hell ist, und man in die Bar hineingeht, wie in eine andere Welt. Die Begrüßung ist professionell, freundlich, distanziert; ich werde hineingebeten, lege meine Jacke an der Garderobe ab und nehme den mir zugewiesenen Platz ein.

Die Inneneinrichtung ist dunkel, stilvoll, modern und minimalistisch. An der Wand wenige Bilder, alles geschmackvoll. Ich füge mich dem Smartphone- und Fotografierverbot in der Bar, weil der Gastgeber das so will, obschon ich es für antiquiert halte. Aber warum nicht einmal für zwei Stunden alle Verbindungen zur Außenwelt einfach kappen, wann macht man das schon mal, schließlich zahlen andere mittlerweile für einen Digitaldetoxurlaub horrende Summen? Mindestens genau so antiquiert ist das Konzept Speakeasy und dessen ganzes Insidergetue, das Geklingel und Gewarte vor der Tür und so weiter, schließlich sind die Zeiten der Prohibition längst vorbei. Andererseits hat es freilich seinen Charme, in eine sehr kleine Bar keine Horden pubcrawlender Touristen und Junggesellenabschiede hineinzubitten.

Um den Tresen verteilt befinden sich 14 Sitze. Meiner befindet sich auf der Seite des Bartenders, dessen Arbeitsbereich sich schräg-rechts vor mir befindet. Eine etwas ungewohnte Position, fast wie auf dem Beifahrersitz, dafür aber mit perfektem Überblick. Hinter mir an der Wand eine goldene Kettensäge, toll. Es stehen bereit: Ein Glas Wasser und das Menü. Im Menü eine Auswahl von ca. 30 Cocktails, zumeist Klassiker und sinnvolle Variationen, naturgemäß kein Quatsch, schließlich zählt man zu dem 50 besten Bars der Welt, so sagt es zumindest eine immer wieder gern zitierte Liste, deren Herausgeber meinen, dieses Urteil fällen zu können. Die Spirituosen befinden sich in neutralen Flaschen, man muss hier nicht zeigen, was man hat, und lässt sich nicht von der Industrie für das Ausschenken bestimmter Marken kaufen. Aus den Lautsprechern säuselt sanft Chet Baker. Perfekte Barmusik, ich frage mich, wie man in Bars überhaupt etwas anderes spielen kann als Chet Baker.

Früh da sein ist immer gut, den Platz besetzen, das Personal ist noch frisch und gutgelaunt oder sollte es zumindest sein. Außer mir sind lediglich fünf weitere Gäste anwesend und es soll noch eine Weile dauern, bis die nächsten vom blau blinkenden Lichtsignal angekündigt werden. Auf den Plätzen neben mir ein frisch zusammengetindertes Paar, im Umgang miteinander genau so verunsichert wie mit der Auswahl der Getränke. Sie hatte gerade Grippe, er reist beruflich viel, beide wohnen in WGs und so weiter. Er war beim letzten Besuch dieser Bar mit der Getränkeauswahl KOMPLETT überfordert und hat dann einfach irgendwas bestellt, in der Hoffnung, es wird schon gut sein, sie mag was mit Rosmarin, Rum mag sie nicht, dann schon lieber Gin, da schmecke man noch die anderen Zutaten, so sie.

Die Personal-Gast-Interaktion beschränkt sich auf das Reichen des Menüs und das gelegentliche Nachschenken des Wassers. Sonst nichts. Nicht dass ich mit mir persönlich unbekannten Bartendern gern über das Leben im Allgemeinen oder gar im Besonderen plaudern würde, aber der persönliche Umgang hier scheint mir doch arg reduziert: Das wortlose Herüberschieben der Karte bei der Bestellung, keine Frage nach geschmacklichen Vorlieben und eine darauf basierende Empfehlung, keine Frage ob alles okay ist oder man zufrieden war, nichts. Rein gar nichts. Lieber verbringen die drei diensthabenden Bartender ihre Zeit damit, im winzigen Hinterzimmer auf ihren Smartphones herumzutippen, hinter der Bar stehend einen Apfel zu essen und am Tresen sitzend eine Zigarette zu rauchen. Mittlerweile habe ich die eine oder andere erstklassige Bar besucht, hatte jedoch noch nie so sehr das Gefühl, als Gast so egal zu sein.

Die Drinks – ich hatte einen French 75 und einen Corpse Reviver No. 2 – sind über jeden Zweifel erhaben. Natürlich kann dies nur eine Stichtagsbetrachtung sein, sicher hat das Bucks and Brecks auch bessere Tage. Aber in einer Bar der Kategorie Drinkskostenhierfünfzehneuroundwirgehörenzudenbestenaufderwelt kauft man als Gast eben nicht nur einen Drink, den man sich mit etwas Mühewaltung auch in der Homebar mixen könnte, sondern ein Erlebnis.

Durch die Bars – Leipzig, Berlin, Hamburg

Gleich drei Mal binnen einer Woche am Tresen sitzen, das ist viel. Jeweils zwei bis drei Cocktails genießen, das geht in Ordnung. Zwei ist das Maß der Dinge. Man ist ein bißchen beschwippst und danach könnte man sich locker noch ein Taxi nach Hause leisten, benötigt es aber gar nicht. Ab dem dritten Drink wird es zuweilen schon mal etwas wackelig auf dem Barhocker. Man ist schon ziemlich angetüddelt und benötigt eigentlich ein Taxi für den Heimweg, aber je nach Bar hat man sein Budget für den Abend auch schon etwas überzogen. Erwachsenes Trinken beginnt schon bei der realistischen Einschätzung seiner Möglichkeiten.

imperii, Leipzig

Old Cuban Cocktail
Old Cuban. imperii, Leipzig

Ein bißchen ratlos ist man ja oft in einer fremden Stadt, wenn man unverhofft einen freien Abend hat und diesen zwar allein, aber doch möglichst angenehm verbringen will. Die Recherche für Leipzig ist schnell abgeschlossen. Ich gehe ins imperii, das nicht nicht nur für Leipzig eine gute Adresse ist, sondern überhaupt eine ganz hervorragende Bar. Die Karte macht mich zunächst etwas ratlos, also lasse ich mir etwas empfehlen. Der Service ist freundlich und kompetent.

Beim zweiten Drink wechsle ich zu den Klassikern, weil ich es klassisch mag. Auf Infusionen, Gedrippe, Gedampfe, Gemüse und Schirmchen verzichte gern, aber so etwas gibt es hier sowieso nicht, hier wird noch ganz ehrlich gerührt und geschüttelt. Außerdem erhalte ich dank Jörg Meyers Podcast „Empfehlungen eines Trinkers“ gerade täglich neue Inspirationen aus der Welt der klassischen Getränke und ich kann gar nicht so schnell trinken wie Herr Meyer podcasten kann. Ich bestelle einen Old Cuban, der ganz hervorragend fresh ist und etwas Sommer in das winterliche Sachsen bringt. Eine gute Wahl. So gut, dass auch der alleinreisende Herr am Nebentisch gleich auch einen Old Cuban bestellt.

Nach dem zweiten Drink kommt dann der Übermut und ich bestelle etwas Verrücktes: einen Twentieth Century Cocktail, den Herr Meyer kürzlich in seinem Podcast als den besten Cocktail der Welt gepriesen hat. Ich freue mich ein bißchen, dass André Pintz, der Chef und ein wahrer Meister seines Faches, zunächst in einem Barbuch nachschlagen muss – und dann aber routiniert, als würde er nie etwas anderen mixen, einen ganz wunderbaren Drink mit einer sehr eigenartig-schönen Mischung aus Ingredenzien zaubert, die scheinbar nicht zusammengehören: Zitrone und Kakao. Das ist irgendwie ziemlich klassisch und funky zugleich. Yeah!

Zwei sehr angenehme Stunden, drei gute Drinks – was will man mehr in einer fremden Stadt? Der Bartender schickt am nächsten Tag eine Facebook-Freundschaftsanfrage, was mich beruhigt, denn ich hatte ein bißchen ein schlechtes Gewissen, weil er die Karte so liebevoll kuratiert hat, und ich dann doch auf Abseitigeres ausgewichen bin. Jedenfalls so schlimm kann ich als Gast dann nicht gewesen sein, denke ich, und werde bei meinem nächsten Leipzig-Aufenthalt gern zurück ins imperii kommen und rate dem geneigten Trinker hiermit ausdrücklich zu einem Besuch dieser Bar.

Becketts Kopf, Berlin

Ja ja, Becketts Kopf schon wieder. In Berlin gibt es doch so viele gute Bars, an jeder Ecke und ein jeder weiß immer gleich ein Dutzend noch bessere. Ich gehe trotzdem in Becketts Kopf, wie ich es immer getan habe, als ich noch in Berlin wohnte. Ich klingle an der Tür und werde, ganz wie es meinem unausgesprochenem Wunsch entspricht, am Tresen plaziert. Der erfahrene Bartender hat selbstredend ein Gespür dafür, wer wo sitzen muss. Kurz wundere ich mich, dass jetzt vorn der Raucherbereich ist, der sich früher im hinteren Zimmer befand. Normalerweise bevorzuge ich den Nichtraucherbereich, aber wichtiger ist es naturgemäß, am Tresen zu sitzen.

El Presidente Cocktail
El Presidente. Becketts Kopf, Berlin

Fünf Jahre liegt mein letzter Besuch in dieser vorzüglichen Bar bereits zurück. Die Karte ist genau wie damals von Hand in eine Beckett-Biographie eingefügt und auch hinter der Bar versteht man noch immer sein Handwerk. In einem Sessel neben der Bar sitzt ein korpulenter älterer Herr mit Hosenträgern vor einem aufgeschlagenen, ebenfalls sehr dicken Terminkalender. Er trinkt Champagner und raucht Zigarre. Nach jedem Schluck und jedem Zug schläft er für ein paar Minuten ein. Dann noch ein Gläschen und wieder von vorn. Das Personal weckt ihn nicht, ebenso wenig wie die neue Gäste ankündigende Türklingel, die anstelle eines akustischen Signals lediglich dezente Lichtzeichen von sich gibt. Am Tresen neben mir zwei jüngere Damen, die sich kichernd ihre erste Zigarre teilen, die sie nach jedem zweiten Zug unbeabsichtigt ausgehen lassen, was sie nach der Hälfte des Stumpens wieder zu ihren bewährten Zigaretten greifen lässt.

Aus der Karte bestelle ich einen El Presidente, anschließend lasse ich mir etwas empfehlen. Der Herr hinter der Bar empfiehlt einen Corpse Reviver. Gern folge ich dem fachkundigen Rat. Ein neuer klassischer Drink, der mein Repertoire erweitert – und zudem ein völlig unbekannter, weil Herr Meyer ihn in seinem Podcast noch nicht besprochen hat. Gin, Chartreuse, Lillet, Lemon Juice und Absinthe ergeben eine erfreuliche Mischung.

Gern hätte ich noch einen dritten Drink genommen. Da ich aber am nächsten Tag sehr früh einen Termin habe, muss ich verzichten, was einerseits schade ist, weil ich gern noch auf ein Getränk geblieben wäre, aber anderseits wahnsinnig professionell, weil der Grenznutzen nach dem zweiten Drink abnimmt und man selbst am nächsten Morgen einfach frischer ist, wenn man nur zwei Cocktails getrunken hat. Am besten ist es sowieso, nach zwei Drinks aufzuhören – lieber nochmal wiederkommen. Und überhaupt immer am besten: Antizyklisch in Bars erscheinen – sonntags oder montags, möglichst früh. Dann kann man sich den besten Platz aussuchen und die Menschen hinter der Bar sind viel entspannter, weil sie noch keine Endlosdiskussionen mit Craftginschlaumeiern über sich ergehen lassen mussten.

Le Lion – Bar de Paris, Hamburg

Heimathafen Hamburg. Dass ich im Le Lion wohnen würde, wäre wirklich zu viel gesagt. Dennoch ist es wohl die Bar, die ich von allen am häufigsten zu besuchen pflege. Es beruhigt mich stets, ein paar bekannte Gesichter zu sehen. Klingeln, Garderobe abgeben, Treppe hoch in den Pine Room. Da ist es am schönsten.

Canchanchara, Cocktail, Le Lion, Hamburg
Canchanchara., Le Lion, Hamburg

Auf dem Programm heute ein Cocktail-Flight unter dem Motto „The Cuban Affair“: CanchancharaPeriodistaRemember the Maine. Drei Cocktails in einer etwas kleineren Ausführung. Ich bin froh, dass mir die Qual der Wahl abgenommen wird. Psychologen haben herausgefunden, dass zu viele Optionen unglücklich machen. Alle Drinks sind hervorragend, aber man erwartet hier auch nichts anderes. Mein Favorit des Abends ist der Periodista: Rum, Cointreau, Apricot Brandy, Limettensaft. Toll.

Nach der weichen Landung sitze ich noch eine wenig herum und gucke und trinke das unentwegt großzügig nachgeschenkte Wasser. „Was machen wir jetzt mit Dir, bosch?“, fragt der Bartender und ich weiß es auch nicht, weil ich ja bereits fertig bin mit meinem Flight. Er stellt mir noch ein Glas Champagner hin, denn Champagner geht immer. Danke, Ihr Löwen. Zu Euch komme ich immer am liebsten.

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Update: Herr Meyer liefert. Keine 12 Stunden nach Veröffentlichung dieses Beitrags gibt es auch schon eine Podcast-Folge aus der Reihe „Empfehlungen eines Trinkers“, in der er den Corpse Reviver vorstellt. Cheers!

Der Kletterer

Als der Ich-Erzähler die Bar verlässt ist es bereits hell. Obwohl es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte, bestreitet er seinen Heimweg allein und zu Fuß. Die Stille im Park, der gewöhnlich an sonnigen Tagen von den Schönsten der Stadt überflutet ist, gefällt ihm. Während er darüber sinniert, um wieviel größer die Lebensqualität der Anlage wäre, verböte man Menschen den Zutritt zu ihr, erblickt er in einer Baumkrone einen Mann. Am Fuß des Baumes steht eine Frau, die den Kletter anfleht, zu ihr herab zu steigen. (Neben der Frau stehen drei leere Weinflaschen.)

Der Ich-Erzähler erkennt die Situation und ist bereit für eine gute Tat. Eingedenk seiner Höhenangst verzichtet er darauf, selbst hinauf zu klettern, um den Kletterer zu holen, sondern vertraut auf die Macht des Wortes. Der Ich-Erzähler gibt sich als ziviler Parkwächter aus, der die Aufgabe habe, Betrunkene am Erklimmen des Laubwerkes zu hindern. Erwartungsgemäß zeigt sich der Kletterer wenig zugänglich für gute Argumente des selbsternannten Parkwächters, der überzeugend darlegt, dass jüngst vorgenommene Ultraschallmessungen morsches Geäst zum Vorschein brachten. Gefahr, Gefahr! Vielmehr animiert die Hysterie seiner Freundin den Kletterer dazu, immer höhere Höhen zu erklimmen.

Auch der Hinweis auf die hinzuzuziehende Rettungsfeuerwehr, die ihn mit einer Drehleiter holen werde, stimmt den immer widerspenstiger werdenden Kletterer nicht um. Jetzt fleht die Freundin den Parkwächter an: „So tun Sie doch was, so tun Sie doch was!“ (Dies wiederum erfreut den Parkwächter; weniger die Hysterie als das trotz fortgeschrittener Betrunkenheit verwendete höfliche Sie. Der Parkwächter fühlt sich in seiner noch neuen Rolle respektiert und entscheidet sich, die härteren Rettungsgeschütze aufzufahren.) Nach Androhung des Einsatzes der Gebirgsjäger und Zuhilfenahme einer schießenden Flugdrohne tritt der Kletterer eingeschüchtert den Abstieg an.

Unten angekommen fällt dem Kletterer seine Freundin erleichtert um den Hals. Der Parkwächter wiederum hat große Mühe, sich ebendieses Schicksal vom Hals zu halten. Man reicht einander die Hand. Der Kletterer lässt sich das Versprechen abringen, künftig das Klettern auf Parkbäume zu unterlassen, der Parkwächter verzichtet auf den Platzverweis. Alle sind zufrieden. Allein und zu Fuß setzt der Ich-Erzähler seinen Heimweg fort. So viel Happy End ist selten.