Ich bin nicht Murat

Türkischerverwähler

1.

Vor ein paar Monaten erreichte mich der erste dieser Anrufe auf meinem Mobiltelefon. Stets verdächtig sind mir Anrufer mit unterdrückter Rufnummer. Warum auch immer ein Anrufer seine Identität verbirgt, er wird seinen Grund dafür haben. Noch verdächtiger sind allerdings unbekannte Anrufer, die ihre Telefonnummer gar nicht erst verbergen. Was können sie nur von mir wollen und warum nutzen sie die Möglichkeit der Rufnummernunterdrückung nicht?

Mein Telefon klingelt, eine mir nicht bekannte Rufnummer erscheint auf dem Display und entgegen meiner Gewohnheit nehme ich dieses Gespräch trotzdem an. Nicht dass mir danach wäre, mit einem mir unbekannten Gesprächsteilnehmer eine fernmündliche Konversation zu pflegen, ich habe nur keine Lust, schon wieder meinen Anrufbeantworter kostenpflichtig abzufragen. Am anderen Ende der Leitung spricht ein älterer Mann mit tiefer Stimme ein unverständliches Mischmasch aus einer mir fremden Sprache und einem sehr gebrochenem Deutsch zu mir. Ich kann ihn nicht verstehen und er versteht mich offensichtlich ebenfalls nicht. Nach zwei Minuten gebe ich auf und beende das Gespräch.

2.

Einige Tage später werde ich abermals von einem mir unbekannten Anrufer angerufen. Erneut nehme ich das Gespräch entgegen und es scheint derselbe Mann zu sein wie vor ein paar Tagen. Noch immer spreche ich seine Sprache nicht und auch seine Deutschkenntnisse haben zwischenzeitlich keine Fortschritte gemacht. Er sagt irgendetwas von Döner. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein, weil der Mann irgendwie türkisch klingt. Inhaltlich nähern wir uns nicht weiter an als bei unserem ersten Versuch.

Umverteilung von unten

Rote Flora, Hamburg

Heute vor dem besetzten Kulturzentrum einen Zehn-Euro-Schein gefunden. Ein bißchen zusammengefaltet lag er direkt vor meinen Füßen auf dem Boden. Was tun? Dr. Dr. Rainer Erlinger, der im Magazin der Süddeutschen Zeitung wöchentlich schwierigste Gewissensfragen zu beantworten pflegt, kann mir leider auf die Schnelle nicht weiterhelfen, da ich seine Handynummer gerade nicht zur Hand habe. Aufsammeln oder Liegenlassen, damit der nächste, der zufällig vorbeikommt, ihn an sich nimmt, um dafür zwei Schachteln Zigaretten oder fünf Liter Superbenzin kauft? Zigaretten sind ungesund und Autofahren ist schlecht für die Umwelt. Liegenlassen kommt also nicht in Frage, was mich vor die nächste schwierige Entscheidung stellt.

Jugendherberge

JugendherbergeKürzlich lag eine Kiwi auf unserem Frühstückstisch. Diese zur Gattung der Strahlengriffel zählende Frucht, welche auch als chinesische Stachelbeere bekannt ist, erinnerte mich an meine Kindheit. In der Zeit zwischen dem Erblicken des Lichts der Welt und der geschlechtlichen Reife erfolgten mehrere Aufenthalte in verschiedenen Jugendherbergen, die mich noch Dekaden danach gelegentlich in schweißbadenden Alpträumen verfolgen. Ob im nordfriesischen Tönning oder in Goslar im Harz, überall zeigten die Einrichtungen des Deutschen Jugendherbergswerks das gleiche Bild.

Die Herbergseltern begrüßen die Schulklasse. Die Herbergsmutter ist kräftig und hat sehr dicke Oberarme. Ihre Gesichtsfarbe ist sehr rot und deutet auf Bluthochdruck hin. Der Herbergsvater ist untersetzt, er trägt einen dunkelblauen Rollkragenpullover und raucht Pfeife. Eigene Kinder hat das Paar nicht. Ihnen sind die ständig wechselnden Schulklassen lästig genug und für die Bedienung der Industriegeschirrspülmaschine halten sie sich einen Zivildienstleistenden.

Aktionstage

Am Valentinstag bedenken sich die Liebenden einander bekanntlich mit Blumenpräsenten, das weiß jedes Kind, das mal an einem Blumenladen vorbeigelaufen ist. Heute ist Weltfrauentag – und niemand weiß, was dieser uns sagen soll. Zu verdanken haben wir diesen Gedenktag der linkssozialistischen Politikerin Clara Zetkin, die einst im Jahre 1910 auf einer sozialistischen Frauenkonferenz die Einführung eines Frauentages vorschlug. Wann dieser Tag zelebriert werden sollte, war ihr egal. Hauptsache, es gibt einen Frauentag, denn schließlich hat das schwache Geschlecht einen eigenen Gedenktag verdient. Dass sich dieser nun jeweils am 8. März jährt, haben wir dem berühmten russischen Frauenrechtler Lenin zu verdanken, der ein paar Jahre später in Gedenken an Arbeiter- und Soldatenfrauen, die die Februarrevolution auslösten, dieses Datum fixierte.

Das alles liegt lange Zeit zurück. Das geschätzte Internetnachschlagewerk Wikipedia klärt uns über jüngere Geschichte des Weltfrauentages allerdings genau auf:

Zum Internationalen Frauentag 2003 war ein von der UNICEF propagiertes Motto „bessere Bildung für Mädchen“ mit dem Ziel, Mädchen besser vor Diskriminierung, Gewalt und Ausbeutung zu schützen. Ferner wendeten sich Aufrufe gegen jede Diskriminierung von Frauen und Mädchen, gegen weibliche Genitalverstümmelung und gegen Kinderheirat. 2004 hatten einige Initiativen in Europa Schwerpunkte zum Thema Nepal. Im Jahr 2005 lautete das Motto: „Frauenrechte sind Menschenrechte – überall“.

Aber was ist mit den Jahren danach? 2006 ist längst verjährt. Wer sich allerdings über das Motto des diesjährigen Internationalen Weltfrauentages auf der Internetseite des Kinderhilfswerkes der Vereinten Nationen informieren möchte, erfährt dort ausschließlich, dass UNICEF-Botschafter Blacky Fuchsberger am 11. März seinen 80. Geburtstag feiert. Das ist zwar schön, aber den benachteiligten Frauen auf der Welt hilft das wenig. Weil UNICEF vor lauter Feierei mit illustren Gästen wie Harry Belafonte und Sabine Christiansen vergessen hat, auf seiner Homepage einen dem heutigen Aktionstag angemessenen Content zu generieren und ein wohlfeiles Motto vorzugeben, ist Eigenintiative gefragt. So kämpft der Deutsche Gewerkschaftsbund Saar unter dem vielsagenden Motto „Weitergehen! Zwei Schritte vor. Keinen zurück.“, während sich die Stadt Lüdenscheid mit dem weniger kämpferischen „Gesund und schön“ zufrieden gibt. Wer gesund und schön genug ist, kann sich in Bad Oldesloe bei Bauchtanz und russischer Musik vergnügen.