Heute vor dem besetzten Kulturzentrum einen Zehn-Euro-Schein gefunden. Ein bißchen zusammengefaltet lag er direkt vor meinen Füßen auf dem Boden. Was tun? Dr. Dr. Rainer Erlinger, der im Magazin der Süddeutschen Zeitung wöchentlich schwierigste Gewissensfragen zu beantworten pflegt, kann mir leider auf die Schnelle nicht weiterhelfen, da ich seine Handynummer gerade nicht zur Hand habe. Aufsammeln oder Liegenlassen, damit der nächste, der zufällig vorbeikommt, ihn an sich nimmt, um dafür zwei Schachteln Zigaretten oder fünf Liter Superbenzin kauft? Zigaretten sind ungesund und Autofahren ist schlecht für die Umwelt. Liegenlassen kommt also nicht in Frage, was mich vor die nächste schwierige Entscheidung stellt.
Was mit den zehn Euro tun, die ich jetzt, völlig unerwartet, übrig habe? Vielleicht das lachende Bargeld im Fundbüro abgeben, damit der rechtmäßige Eigentümer es abholt, um es gegen zwei Schachteln Zigaretten oder fünf Liter Superbenzin einzutauschen oder überhaupt nicht daran denkt, den verlorenen Schein dort abzuholen und dieser dann der Staatskasse zugute kommt? Kommt ebenfalls nicht in Frage, denn Zigaretten machen bekanntlich Lungenkrebs und die Staatskasse ist voll genug.
Und wie ich so überlege, bücken sich auch gleichzeitig meine beiden Begleiterinnen nach dem mit der roten Romantikbrücke berdruckten Stück Papier. Diskussionslos werden auch von den Mitfinderinnen die Möglichkeiten des Liegenlassens sowie der Abgabe im zuständigen Fundbüro verworfen. Stattdessen wird einstimmig beschlossen, den Zugewinn an Ort und Stelle in Milchkaffee umzusetzen. Wo, wenn nicht vor der Roten Flora, ist den Menschen des ehemals alternativen Schanzenviertels die Umverteilung des Kapitals ein Herzensanliegen? Plötzlich jedoch gesellt sich ein weiterer Bekannter zu uns und unser Fund reicht nur noch für vier Tässchen Espresso. Das ist auch in Ordnung und Dr. Dr. Rainer Erlinger hätte uns sicher auch zum Teilen geraten.
Sollte sich der rechtmäßige Eigentümer des verlorenen Geldscheines bei mir melden und mir glaubhaft versichern, dass er mit den zehn Euro etwas Sinnvolleres getan hätte als dafür zwei Schachteln Zigaretten oder fünf Liter Superbenzin zu kaufen, so werde ich ihm die Moneten bestimmt zurückgeben.
16 Antworten auf „Umverteilung von unten“
Ich kann mich genau erinnern, dass ich das Geld kurz zuvor genau dort verloren hatte! Und ich werde davon ein Bio-Brot kaufen und den Rest für den Beatles-Platz spenden! Nun?
Nej, nej, nej – ausgerechnet die biedere Telekom wirbt an der Roten Flora. Haben die das ‚Schulterblatt‘ inzwischen still gelegt – oder warum sind die Bürgersteige heute so breit, dass sich Kombis dort breit machen können?
@Chat: Das Photo stammt aus meinem Archiv und dürfte schon ein paar Jahre alt sein. Es wurde auf der der Flora gegenüberliegenden Straßenseite aufgenommen. Links im Bild befinden sich Telefonzellen, d. h. besser gesagt Telefonsäulen der Telekom. Der Kombi parkt völlig korrekt ein einer dafür vorgesehenen Lücke. Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben gedient zu haben.
Warte mal. War der rötlich und das Wort Euro darauf griechisch übersetzt?
Nein, ganz im Scherz, Herr bosch, Dr. Dr. Rainer Erlinger wäre Stolz auf Sie gewesen.
Yo – ich wohnte am Anfang meiner Studi-Zeit ungefähr 300 Meter von da: in der Bernstorffstraße. Ich habe das alles etwas kleinteiliger in Erinnerung, vermutlich machte ich damals noch größere Sprünge.
Ich kann es nicht gewesen sein. So viel Geld trage ich selten mir. :)
Wohl kaum. Dr. Dr. Evil hätte mit Sicherheit verlangt, das Teil liegen zu lassen, auf das es der rechtmäßige Besitzer finde oder sich jemand anders ein schmutziges Gewissens durch Mitnahme der Banknote verschaffe, während man selber ein reines pflege.
Na toll – von meiner Altersversorgung Kaffee trinken gehen, das ham wa gerne. ;-)
Diesen Zehner habe ich da hingelegt, um Benzin oder Bolzenschneider kaufen zu gehen und damit das G8-Gipfeli in Hl.Damm stillzulegen. Leg ihn bitte wieder zurück. Danke
in einem viertel, in dem man für 10 € grade noch vier espresso bekommt, ist schon so einiges in die falsche richtung umverteilt, imho. ;)
Mach doch ne Stiftung auf mit den zehn Euro, Konto in der Schweiz, irres Wachstum, und unterstütze damit Anti-Rauch- oder Anti-Auto-Aktionen oder besetzte Kulturzentren.
Die 10 Euro würden im Falle des Fundbüros nicht in die Staatskasse fließen. Du müsstest allerdings ein Jahr warten, dann erst würden sie dir gehören, sofern der Eigentümer sie nicht abholen würde, was sehr wahrscheinlich ist. Und du würdest Gefahr laufen, dass man dich wegen unnötiger Beschäftigung der Polizei mit einem Bußgeld in Höhe von 10 Euro belegt.
Ein englischer Junge hat übrigens vor etwas mehr als einem Jahr 1.500 Euro auf der Herrentoilette des Hamburger Flughafens gefunden, diese brav abgegeben und durfte sie sich nach einem Jahr abholen, da sich keiner gemeldet hatte. Da seine Verwandten in Pinneberg wohnen, hat er die Abholung mit einem Besuch verbunden. Jetzt will er einen Teil spenden und den Rest behalten.
@Stefan: Wieder etwas dazugelernt. Bloggen macht eben doch schlau (darauf habe ich bislang jedenfalls gehofft). Mit Blick auf den ersten Teil Deines Kommentars habe ich also gut daran getan, das gefundene Geld in Kaffee umzusetzen. Wer will schon die Polizei unnötig beschäftigen? Die hat schließlich genug zu tun. Ich bin beruhigt. Jetzt fehlt eigentlich nur noch die Absolution von Dr. Dr. Erlinger.
Ging mir auch schonmal so! Als die Straßenbahn in der Haltestelle ankam und ich aussteigen wollte, lag ein 5er vor meinen Füßen. Ich hab da gar nicht wirklich nachgedacht und ihn einfach genommen. Ich bin jung und brauche das Geld! ;-)
[…] einem Gemischtwarenladen, der sich damals noch in den Räumlichkeiten der nun besetzten Roten Flora […]