Madeira

Tage vorher wache ich des Nachts immer wieder vom demselben Alptraum schweißgebadet auf: Ich bin ein Pauschaltourist. Um mich herum dicke Leiber, die am Pool ihre Liege mit einem Handtuch markieren und sich kurzbehost und hawaiihemdbekleidet bereits zum Frühstück ölige Würstchen auf ihre Teller stapeln.

Doch bereits nach ein paar Tagen auf dem portugiesischen Eiland haben sich diese Befürchtungen in Luft aufgelöst. Schlimm sind nur die Engländer von Tisch 4, die sich am Frühstücksbuffet massenweise mit selbstgeschmierten Sandwiches für den gesamten Tag eindecken, und die Passagiere der zahlreichen Kreuzfahrtschiffe, die stundenweise über Madeira herfallen, um literweise Galão in sich hineinzukippen.

Abgesehen davon ist es dort ganz großartig. Nicht nur, dass auf der Insel das gesamte Jahr über Frühling ist; die Inselgruppe weiß mit zahlreichen Attraktionen abseits von Madeirawein, Poncha und Degenfisch mit Banane zu locken:

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In Sichtweite befindet sich die eine Inselgruppe, die drei Desertas (Wüsteninseln). Aufgrund von Frischwassermangel, Trockenheit und Abgeschiedenheit sind diese freilich unbewohnt.

Die charakteristische Schuhmode hat den unerwünschten Nebeneffekt, dass sich alle Frauen ab etwa ihrem 40. Lebensjahr einer intensiven orthopädischen Behandlung unterziehen müssen, um ihren inseltypischen Schiefgang zu korrigieren. Im besten Falle führt das Ablegen des extrem hochhackigen Schuhwerks zu einer Kompensation der in der Hauptstadt Funchal überwiegend steilen Straßenverläufe. Im Falle eines erfolglosen Behandlungsverlaufs sehen die Frauen ohne ihre geliebten High-Heels  ziemlich schräg aus.

Am meisten zu beneiden ist die Atlantikinsel jedoch wegen ihrer hervorragenden Presselandschaft.

Abwechslungsreich, interessant und gut geschrieben sind hier die Zeitungen. Als Urlauber könnte man glatt neidisch werden; ihm bleibt lediglich der Import eines Presseproduktes, das nicht nur vom Vortag ist, sondern auch fast so viel kostet wie ein Monatsabonnement daheim.

Madeira ist das portugiesische Wort für „Holz“ – der Stoff aus dem die Zeitungen sind.

Hätten wir in Deutschland so gute Zeitungen und so begeisterte Leser, gäbe es keine Medienkrise.

Am liebsten würde ich sofort wieder zurück auf die Insel. Meine restlichen Urlaubsphotos finden sich hier.

Warteschlangengeschichten Teil 10: Post und Saturn

Wir schreiben das Jahr 2009, eigentlich ist zum Thema Warteschlangen alles gesagt. Nicht trotz, sondern wegen der Privatisierung geht in Deutschen Postfilialen nach wie vor alles gemächlich seinen Gang. Seelenruhig wird gearbeitet, hin und wieder sogar noch gestempelt. Fast könnte man meinen, alle wollen ihre Weihnachtsgeschenke wieder an den Absender zurückschicken, so groß ist der postfeiertägliche Andrang.

Ich beginne das Geschäftsjahr mit der Erkenntnis, dass es weitaus angenehmer ist, ein Einschreiben zu versenden, als eines zu erhalten. Letzteres nicht nur mit Blick darauf, dass man beim Aufgeben dieser Art von Briefsendung frisch gebadet, vollständig bekleidet und halbwegs ausgeschlafen vor dem Schalterbeamten steht, während mich der für meinen Zustellbezirk zuständige Postbote mittlerweile besser als jeder andere Mensch ungeduscht und im Bademantel kennt. Es ist – unabhängig von Kleidung und Körperpflegestatus – trotz der end- und würdelos erscheinenden Warterei in Postfilialen ganz einfach erhabener, ein Einschreiben zu verschicken, als den Empfang eines solchen zu quittieren.

Mein nächster Gang führt mich in die Innenstadtfiliale eines großen Elektromarktes. Es ist ein beruhigendes Gefühl, zu sehen, dass in Zeiten der Krise, gar des drohenden vollständigen weltwirtschaftlichen Zusammenbruchs eingekauft wird, als gäbe es kein Morgen. Sogar zusätzliche Arbeitskräfte wurden eingestellt: um die Kundenmassen zu bewältigen packen junge, hochmotivierte Mitarbeiter die soeben gekauften Waren behende in Plastiktüten und verabschieden die Käufer freundlich. Für diese Tätigkeit hat die Geschäftsleitung eine neue Abteilung gegründet: „Service“ steht auf den Uniformen der neuen Leistungsträger, das ist neu, nicht nur die Aufschrift. Die alten Mitarbeiter hatten lediglich Schilder, auf denen „Nicht meine Abteilung“ geschrieben stand.

Bei so viel Kreativität bei der Schaffung neuer Arbeitsverhältnisse ist mir nicht bange um unser Land. Und wenn mein Einschreiben erst seinen Zweck erfüllt hat, kann ich auch wieder den Service in Anspruch nehmen, um die neu geschaffenen Positionen nachhaltig zu sichern.

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Hier gibt es weitere Warteschlangengeschichten.