Warschauer Straße

S- und U-Bahnhof Warschauer Straße, Berlin

Alles Warten ist Warten auf den Tod.
(Franz Werfel)

Am Bahnsteig  auf die Verabredung warten, die aber nicht kommt, und dabei Züge und Leuten hinterherblicken etc. Dann feststellen, dass man sich in der Zeit geirrt hat. (Möglicherweise auch im Ort, im Menschen und überhaupt in allem.) Ein leerer Akkumulator verhindert fernmündliche Kontaktaufnahme. Später stellt sich heraus, dass es ein Irrtum war, wie überhaupt alles ein Irrtum ist.

Zuhause angekommen der eigenen Vernichtung gedenken, die sich heute auf den Tag genau zum zweiten Mal jährt, und das Buch von Joseph Roth nach ein paar Zeilen aus der Hand legen, um sich halb angewidert, halb fasziniert dem Stumpfsinn des Privatfernsehens hinzugeben.

Rosenverkäufer

Rose

Ich laufe wie ein Trottel durch mein Leben
Und du bist nicht mehr da.
Na dann eben nicht.
Es ist nur schade um die schönen Rosen.

(Element of Crime)

Wir nannten ihn den Alten oder Psycho. Er trug einen riesigen Schnauzbart und meistens Pumphosen. Regelmäßig schickte man ihn zu Seminaren, in denen kooperative Personalführung vermittelt werden sollte. Es half alles nichts. Er grüßte morgens nie: nicht wenn er morgens das Büro betrat, nicht, wenn man gemeinsam mit ihm im Fahrstuhl zum Schafott fuhr. Auch sonst sprach er immer nur das Nötigste. Neben der Weisheit, dass man aus gequirlter Scheiße keine Sahne machen könne, beglückte er seine Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen mit seiner Rosenverkäufertheorie. Von wenigen Dingen war der Alte so sehr überzeugt wie von seiner Theorie, nach der alle nachts durch Kneipen ziehende Blumenhändler lediglich zu Tarnungszwecken mit Floristikprodukten handelten. In Wirklichkeit, so der Alte, seien das getarnte Drogendealer, die auf Zuruf eines geheimen Kennwortes harte Drogen feilböten. Das Kennwort allerdings hat uns der Alte nie verraten.

Jahre später sitze ich mit ihr in einer Kneipe in Mitte. Das Erscheinen des Rosenverkäufers ist unvermeidlich. Auf seine Frage „Wollen Sie eine Rose kaufen?“ raune ich ihm hinter vorgehaltener Hand das vermeintliche Kennwort „Oachkatzlschwoaf“ zu. Irritiert blickt er mich an und reicht mir eine Rose.  Er sagt er sei Dichter, zur Pflanze gehöre ein Gedicht und umgekehrt. Der Alte hatte damals Unrecht, denke ich, außer mit der Sahne. Nun blicke ich den Verkäufer irritiert an, während mich meine Begleitung mit schönsten Rehaugen anblickt. Sie kann das sehr gut. Lehne ich das Kaufangebot ab, so könnte man mir mangelnden Sinn für Romantik unterstellen. Greife ich beherzt zu, gelte ich als Trottel, der seiner Liebsten in Kneipen Rosen kauft. Wie ich mich auch entscheide: ich kann nur verlieren.

Und so erwerbe ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Kneipe eine Rose, die ich natürlich nur als Beilage zu zum lyrischen Werk des Händlers verstehen will, weil man ja bekanntlich in Kneipen niemals Rosen kauft. Erwartungsgemäß ist das Gedicht von minderer Güte und in Schankwirtschaften erworbene Rosengewächse welken schneller als die Liebe.

„Schweineleberwurst“, „Bierbike“, „Stadtarchiv“. Man muss es weiter probieren – aber keine Rosen mehr kaufen.

Pfeifen

(via @derkoenig)

Betriebsbahnhof

Straßenbahn-Betriebsbahnhof

In die Straßenbahn des Todes,
die heulend sich zum Stadtrand quält,
werd ich mich klaustrophobisch zwängen,
weil auch die kleine Geste zählt.

(Element of Crime)

In Gedanken und in der Tram sitzend höre ich aus dem Ohrenwinkel wie etwas aus den Lautsprechern gemurmelt wird: „Abweichende Linienführung und Schienenersatzverkehr“. Schließlich werde ich nicht – wie sonst üblich – unfreundlich aufgefordert, die Straßenbahn endhaltestellenankunftsbedingt zu verlassen. Für einen kurzen Moment klingt es tatsächlich ein bißchen, als hätte ich die Wahl. Je weiter sich jedoch der Zug von der Zivilisation entfernt, desto klarer wird, dass ich in der Falle sitze. Wo man landet, wenn man versäumt, bei Zeiten in den Bus umzusteigen: Auf irgendeinem verlassenen Betriebsbahnhof. Und von hier gibt es kein Zurück.