1. Mai 2011, Berlin-Kreuzberg. Erneut stellt sich die Frage: Was hat die Arbeiterbewegung uns je gebracht? Also, einmal abgesehen von überfüllten Straßenfesten mit wummernder Krachmusik, schalem Bier aus Plastikbechern zu überhöhten Preisen sowie minderwertigen Fleischprodukten in pappigen Brötchen und ein paar entglasten Bankfilialen?
Verdi, Verdi, ver.di – überall sehe ich den großen italienischen Komponisten vor mir; zumindest seinen Namen in großen Buchstaben. Jedoch keine Oper, kein Requiem und nicht einmal sein nahezu unbekanntes Streichquartett erschallt. Stattdessen vernehme ich monotones Geklöppel und monströses Gehämmer. Passend zu der unwirtlichen Geräuschkulisse kann natürlich auch mein Auge weit und breit keine italienische Lieblichkeit ausmachen, denn ich befinde mich nicht in der Staatsoper, sondern in der U-Bahn-Hölle und vor mir sitzt eine übermäßig füllige Frau mit einem Schlüsselband, das zwar sehr lang ist, aber trotzdem kaum ihren Hals umfasst, da eben auch der Umfang ihres Halses sehr, sehr groß ist.
Das Schlüsselband ist rot und bedruckt mit dem Namenszug einer Gewerkschaft. Verdi, Verdi, ver.di muss ich schon wieder denken. Etwas Orchesterlärm mit Pauken und Trompeten, schön und gut, aber dieses Gewummer ist zuviel. Aus dem offenen Kopfhörersystem der massigen Person schallt ein Lärm, der eher an das Zeitalter der Industrialisierung als an die große Oper erinnert und das quietschende Fahrgeräusch der sich in den Tunnelkurven windenden U-Bahn bei weitem übertönt.
Früher haben Gewerkschaften für ihre Mitglieder bessere Arbeitsbedingungen erkämpft – dazu gehörte sicher auch weniger Lärm in den Betrieben der Schwerindustrie. Davon ahnt die Kopfhörerträgerin nichts, während sie in der Bahn sitzend vermutlich vom nächsten Arbeitskampf träumt, um eine kräftige Gehaltserhöhung für den nächsten Besuch im Technotanztempel zu erstreiken, von dem sie dann einen Tinnitus davontragen wird, für den sie dann ihren Arbeitgeber verantwortlich macht, wegen des andauernden Lärms im Betrieb. Dann wird sie ihren Arbeitgeber mit der Unterstützung der Gewerkschaft vor das Arbeitsgericht ziehen und den Arbeitgeber auf Schadensersatz zu verklagen, wovon sich die Schwerhörige dann einen neuen MP3-Player, noch mehr Technodiscobesuche und ein tiefergelegtes Auto mit großen Boxen finanziert.
Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.
Unbedingt notwendige Cookies
Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.
Wenn du diesen Cookie deaktivierst, können wir die Einstellungen nicht speichern. Dies bedeutet, dass du jedes Mal, wenn du diese Website besuchst, die Cookies erneut aktivieren oder deaktivieren musst.
Drittanbieter-Cookies
Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.
Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!
Zusätzliche Cookies
Diese Website verwendet die folgenden zusätzlichen Cookies:
Teilen Buttons für Twitter, Facebook, Pinterest, WhatsApp und E-Mail, Google Web Fonts
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!