Saal II zu

Saal II ein paar Tage vor Toresschluss

Dann am 30. September 2022, nach gut 27 Jahren ist einfach Schluss. Von Anfang an hab ich diesen Ort gemocht. Freundinnen und Freunde kamen und gingen, der Saal II war immer da. Als ein paar Wochen zuvor die Daniela Bar schräg gegenüber dichtmachte, dachte ich noch, korrekter Ladern, aber nicht meiner, zum Glück gibt es den Saal noch, aber das war, wie so oft, zu früh gefreut.

Saal II am 30. September 2022

Seit bekannt wurde, dass die Türen schließen würden, war ich noch ein paar Mal da; meinen letzten Geburtstag habe ich mit einer Flasche Bier allein „gefeiert“. Das erschien mir angemessen. Die Frau hinter dem Tresen und der Mann davor waren noch nicht geboren als ich das erste Mal hier war. 1995, mit einem längst aus den Augen verlorenem Schulfreund.

Naturgemäß schwankte die Frequenz meiner Besuche, aber Anfang der 2000er habe ich hier viel Zeit verbracht mit Frühstück, Pfannkuchen, Zeitung, Freunden und Bier. In den letzten Zehn Jahren war ich allerdings kein besonders guter Gast. Flasche auf mein Haupt.

Der allerletzte Abend vor dem Saal II

Am letzten Abend sind noch einmal viele Leute da gewesen. Viele von früher, aber auch viele, die ich nie gesehen habe. Es ist ein bißchen wie auf einer Beerdigung ohne Butterkuchen und ich vermisse doch das eine oder andere Saal-II-Gesicht. Wo die heute alle sind, frage ich Olli, den Noch-Betreiber. Es weiß es auch nicht, „aber hey, nicht zurückblicken, schön ist doch, dass die Leute, die zuletzt immer da waren, heute hier sind“, so er. Das klingt versöhnlich, ich trinke zu viele Biere mit Menschen, die ich lange nicht gesehen und gehe spät, aber nicht zu spät. Mach’s gut, Saal II, und Danke …

Möve im Felsenkeller

Möve im Felsenkeller

Wenn es so etwas wie eine „ehrliche Kneipe“ überhaupt gibt, dann ist es die Möve im Felsenkeller in Berlin-Schöneberg. Unaufgeregt geht es in der rustikal möblierten und wunderbar schummrig ausgeleuchteten Gaststätte zu. Es gibt Bier vom Fass und auf der Karte stehen kleine Gerichte wie Matjes oder Schinkenknacker.

Keine Musik spielt nervend im Hintergrund. Wir blicken in die Runde und ums herum sitzen Menschen aus der Nachbarschaft, die miteinander reden und trinken und wir reden und trinken ebenfalls. Die anderen Gäste sind zumeist deutlich älter als wir. Mein Freund T. sagt, das mache Hoffnung und wir stoßen auch darauf an.

Die Kellnerin mit der mütterlicher Strenge ist aufmerksam und sorgt dafür, dass unsere Gläser stets gefüllt sind. Obwohl die Bedienung eines Zapfhahns keine Raketenwissenschaft ist, glaube ich, der Mann hinter der Theke hat das Geheimnis des perfekt gezapften Bieres entdeckt. Nirgends nirgends schmeckt es so gut wie hier, wohltemperiert. Kurz vor Schluss wollen den Aufbruch einleiten, indem wir zwei kleine Biere bestellen. Kleine Biere gibt es nicht, also nehmen wir zwei große. Das ist auch besser so.

Rosenverkäufer

Rose

Ich laufe wie ein Trottel durch mein Leben
Und du bist nicht mehr da.
Na dann eben nicht.
Es ist nur schade um die schönen Rosen.

(Element of Crime)

Wir nannten ihn den Alten oder Psycho. Er trug einen riesigen Schnauzbart und meistens Pumphosen. Regelmäßig schickte man ihn zu Seminaren, in denen kooperative Personalführung vermittelt werden sollte. Es half alles nichts. Er grüßte morgens nie: nicht wenn er morgens das Büro betrat, nicht, wenn man gemeinsam mit ihm im Fahrstuhl zum Schafott fuhr. Auch sonst sprach er immer nur das Nötigste. Neben der Weisheit, dass man aus gequirlter Scheiße keine Sahne machen könne, beglückte er seine Mitarbeiter in regelmäßigen Abständen mit seiner Rosenverkäufertheorie. Von wenigen Dingen war der Alte so sehr überzeugt wie von seiner Theorie, nach der alle nachts durch Kneipen ziehende Blumenhändler lediglich zu Tarnungszwecken mit Floristikprodukten handelten. In Wirklichkeit, so der Alte, seien das getarnte Drogendealer, die auf Zuruf eines geheimen Kennwortes harte Drogen feilböten. Das Kennwort allerdings hat uns der Alte nie verraten.

Jahre später sitze ich mit ihr in einer Kneipe in Mitte. Das Erscheinen des Rosenverkäufers ist unvermeidlich. Auf seine Frage „Wollen Sie eine Rose kaufen?“ raune ich ihm hinter vorgehaltener Hand das vermeintliche Kennwort „Oachkatzlschwoaf“ zu. Irritiert blickt er mich an und reicht mir eine Rose.  Er sagt er sei Dichter, zur Pflanze gehöre ein Gedicht und umgekehrt. Der Alte hatte damals Unrecht, denke ich, außer mit der Sahne. Nun blicke ich den Verkäufer irritiert an, während mich meine Begleitung mit schönsten Rehaugen anblickt. Sie kann das sehr gut. Lehne ich das Kaufangebot ab, so könnte man mir mangelnden Sinn für Romantik unterstellen. Greife ich beherzt zu, gelte ich als Trottel, der seiner Liebsten in Kneipen Rosen kauft. Wie ich mich auch entscheide: ich kann nur verlieren.

Und so erwerbe ich zum ersten Mal in meinem Leben in einer Kneipe eine Rose, die ich natürlich nur als Beilage zu zum lyrischen Werk des Händlers verstehen will, weil man ja bekanntlich in Kneipen niemals Rosen kauft. Erwartungsgemäß ist das Gedicht von minderer Güte und in Schankwirtschaften erworbene Rosengewächse welken schneller als die Liebe.

„Schweineleberwurst“, „Bierbike“, „Stadtarchiv“. Man muss es weiter probieren – aber keine Rosen mehr kaufen.

Kingsizegedöns

Nachts in einer Imbissbude in Berlin-Mitte stehen und Currywurst und Pommes essen und dazu Champagner trinken. Dann in so eine von diesen MitteBars gehen und den Körper zu elektronischer Musik widerwillig zucken lassen, obwohl die Abneigung gegen elektronische Musik die Größte ist. Einander ironisch Siezen und beim Hinausgehen die Stirn in Falten legen. Die Masche wirkt. Obwohl betrunken, schließlich doch vernünftig sein und allein nach Hause gehen. Draußen ist es schon wieder hell und der Hals ist beim Aufwachen schon wieder trocken. Aber das ist so egal – wie alles andere auch.