Akkorde, Akkorde, Akkordeon.
Glaub‘ an das Glück,
denn sonst flieht es davon.
(Alexandra)
Die Verheißung ist die größte. „Froh und heiter mit Akkordeon und Gesang“ soll es beim Auflegen dieser Musikkonserve werden. So verspricht es zumindest Plattenhülle. Also kratze ich meine letzten 20 Cent zusammen, um diese in Vinyl zu investieren. Zuhause angekommen stelle ich fest, dass ich gar keinen Schallplattenspieler besitze. Frohsinn und Heiterkeit schicke in den Wartestand. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
„Gibt es denn gar nichts, worüber Du Dich freuen kannst?“, fragte sie mich irgendwann einmal. Und ich muss länger überlegen, ob es das wirklich gibt. Dinge oder Momente, die sehr, sehr gut sind. Also neun von zehn etwa. Neun von zehn ist schon sehr, sehr gut. Besser geht es kaum noch. Und natürlich gibt es das trotz allem, was das Leben beschwert.
Neun von zehn ist, wenn bei „So What“ auf „Kind of Blue“ zum ersten Mal die Trompete von Miles Davis einsetzt. Neun von zehn war, wenn ich bereits wach neben ihr lag, sie von einem Sonnenstrahl geweckt wurde und dann ihre Nase kräuselte. Neun von zehn ist ein Satz von Thomas Bernhard, wenn er wütend ist. Neun von zehn ist ein gute heiße Schokolade, wenn es draußen -18 Grad Celsius ist.
Neun von zehn sollte alles sein, denke ich, während ich der aktuellen Ausgabe eines Magazins blättere und eine Checkliste entdecke, in der ich mühelos neun von zehn Punkten erreiche. Und dann denke ich daran, wie neun von zehn es war, als ich zum ersten Mal eine scheinbar schwierige Mathematikaufgabe gelöst habe und starre auf das Magazin und weiß nicht einmal mehr, wie eine einfach Subtraktion funktioniert. Statt einen Rechenschieber zu bemühen, kann ich nur noch einen weiteren dieser Eins-von-zehn-Texte schreiben, die mir und allen anderen längst zum Halse heraushängen.
Berlin im Februar. Hätte ich ein Thermometer, es zeigte -17 Grad Celsius. Nach dem Zwiebelschalenprinzip gekleidete Menschen stehen an der Haltestelle und warten auf den Kältebus. „Alle Kalender für die Hälfte“, bietet die Buchhandlung an, ich will aber keinen. Ich nehme einen schnellen Capuccino im Café mit dem Klassikradio. Es läuft Mozart und ich muss an Glenn Gould denken, der sagte, dass Mozart eher zu spät als zu früh gestorben sei. In den Nachrichten wird verkündet, dass Bayreuth Liveübertragungen von Wagner-Opern künftig ins Kino bringen wolle. Keine Eurokrise, kein Wulff, kein Fährunglück. Dafür bin ich dankbar und nehme billigend noch ein paar vor sich hinplänkelnde Sätze Mozart-Sinfonien in Kauf. Stattdessen kommt der Gefangenenchor aus Verdis Nabucco. Diese Musik macht mich immer melancholisch, weil sie auf der Beerdigung meines Großvaters gespielt wurde. Die Platte hatte damals einen kleinen Sprung, was wiederum eine unfreiwillige Komik in sich barg. Der Bestatter von gegenüber bietet ein günstiges Komplettpaket: 995,– Euro inklusive Leichenwäsche. Aber ohne Nabucco.
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