Randale und Frisur

Symbolfoto (obige Fensterscheibe wurde bereits am 1. Mai entglast)

Donnerstag, 27. Mai, 23.20 Uhr, Prenzlauer Berg: Zur besten Seichttalkshowzeit herrscht plötzlicher Aufruhr auf der Straße. Eine Meute von etwa 100 schwarzgekleideten Vermummten rennt die Straße entlang und schreit unverständliche Parolen. Ein paar herumstehende Bauzäune werden umgeworfen, in der Ferne eine Fensterscheibe eingeschlagen und etwa ein Meter vor unserem Fenster explodiert ein Feuerwerkskörper.

Genau so schnell wie die Meute erschien, ist sie auch wieder verschwunden. Irgendwo auf Twitter ist von einem antifaschistischen Flashmob die Rede, die Pressemeldung der Polzei spricht am Tag darauf von einer „unfriedlichen Aktion“. Nachbarn recken ihre Hälse aus den Fenstern und schütteln ihre Köpfe. Niemand hat so recht verstanden, was gerade passiert ist, und ein gassigehendes Herrchen hat Mühe, seinen verstörten Hund zu beruhigen. „Habt ihr gerade kapiert, was hier gerade passiert ist?“ „Nee.“ „Na dann, gute Nacht.“

Freitag, 28. Mai, nachmittags: Ich gehe an einem Friseurgeschäft vorbei. Es ist mal wieder Zeit, in ein solches hineinzugehen. Erst wenige Tage zuvor hat mich ein selbst stets zauselig wirkender Freund darauf hingewiesen. Seitdem habe ich bei jedem Friseur, den ich passiere, Angst, plötzlich von einer Hand hineingezogen zu werden. Heute Nacht habe ich von Rundumkennleuchten und Folgetonhorn geträumt. Diese erschienen mir nicht im Zusammenhang mit der zuvor stattgefundenen Randale vor meiner Tür, sondern waren eine Art Blaulichttransport zum Friseur.

Die Not ist groß, der „Bad Hair Day“ droht immer mehr zum Dauerzustand zu werden. Eigentlich hatte ich vor, in meiner Heimatstadt Hamburg den Barbier meines Vertrauens aufzusuchen, gebe mir aber einen Ruck. Und dies obwohl der Name „Hairworkshop“ nicht gerade nach „Was Friseure können, können nur Friseure“ klingt. Immerhin heißt er nicht „Haarmäleon“, „Fairschnitt“ oder „Haarlem“.

Der Grund, weshalb ich einen nötigen Friseurbesuch stets so lange wie möglich aufschiebe, ist die unvermeidbare Konversation mit der Dienstleisterin, während diese mir die Kopfhaut massiert sowie anschließend mein Haupthaar – möglichst behutsam – kürzt und ausdünnt. Mit Taxifahrern kann man sich wenigstens noch über das Nachtleben in der Großstadt oder die im schlechter und teurer werdenden Daimler-Benz-Vertragswerkstätten unterhalten. Das ist nicht weiter schlimm – zumal man meistens ohnehin etwas redeflussfördernd alkoholisiert auf dem Beifahrersitz platzgenommen hat. Wenn beim Friseurbesuch die Themen „Wetter“ und „Urlaub“ durch sind, geht es dann stets um unerfreuliche Dinge wie „Politik“, „Religion“, „das Abschneiden der Deutschen Nationalmannschaft bei einem der ständig stattfinden Fußballgroßereignisse“ sowie „beginnende Glatzenbildung“. Sind all diese Themen ausreichend abgehandelt, wird man zu guter Letzt auch noch zu seinem Beruf ausgequetscht. Beim nächsten Mal sage ich dann einfach: „Ich spiel im Puff Klavier.“ „So, das ist jetzt kurz genug.“

Bäcker

Hacker

„Hacki, unser Bäcker,
bei dem schmeckt’s immer lecker.“
(Schrippentütendichtung der Bäckerei Hacker, Berlin)

Mit dem Fall der Mauer kam nicht nur Coca-Cola, Reisefreiheit und Volkswagen in den Osten der Republik, sondern auch die Luft in die Brötchen. Brötchen heißen hier natürlich Schrippen – und Croissants heißen Butterhörnchen.

Ein Freund erzählte mir einst, wie seine Familie – noch zu Zeiten der Mauer – ostdeutsche Brötchen in einem Kopfkissenbezug in den Westen geschmuggelt habe, weil die backtriebmittelfreie Schrippen sehr viel köstlicher waren als die aufgeplusterten Luftbrötchen aus dem Westen. An den frischen Backwaren der Bäckerei Hacker im Prenzlauer Berg hätte er sicher auch heute noch seine Freude.

Die Damen hinter der Theke sprechen mit Berliner Dialekt und tragen eine Kittelschürze. Der Laden sieht aus, als hätte sich hier zwanzig Jahre nichts getan, und es duftet einen Duft, von dem mit Backshops groß gewordene Generationen nichts ahnen. Ein echter Handwerksbäcker, wie er nur noch selten zu finden ist.

Wer die Gelegenheit hat, in die Stargarder Straße zu kommen, sollte in hier unbedingt die Splitterbrötchen aus süßlichem Hefeteig probieren – die kosten nur 40 Cent und brauchen sich hinter keinem Franzbrötchen zu verstecken.

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Mehr auf Qype.
Bäcker Hacker auf morgenpost.de.

Prenzlauer Berg

Sanierte Altbauwohnungen mit Stuck. Low-Fat-Latte-macchiato-mit-Soja-Milch. Antike Kinderwagen mit luftgefüllten Reifen und hochgestellte dreirädrige Kinderwagen mit Plastikschaleneinsatz zum herausnehmen, natürlich joggingtauglich. Agenturen. Mineralwasser aus Frankreich, obwohl die meisten Wohnungen schon längst keine Bleirohre mehr haben. Geländewagen. Mittvierziger mit hippen Umhängetaschen. Sushibars mit Happy-Hour. FDP-Plakate. Haargel. Boutiquen. Baustellen, überall. Und Rennräder. Übergroße Sonnenbrillen, noch immer. Coole Medienleute. Clubs und Bars. Alle haben ein Telefon mit berühungsempfindlicher Bedienoberfläche in der Hand; zumindest einen Coffee-to-go.

Genau so ist der Prenzlauer Berg*. Aber natürlich auch ganz anders.

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* Sagt man eigentlich der Prenzlauer Berg oder einfach nur Prenzlauer Berg. Sagt man auf dem oder im Prenzlauer Berg?