Reeperbahnfestival 2013, Teil 2: Kleine Haie, große Fische

Eric Pfeil & Der Süden
Eric Pfeil & Der Süden

Das Ärgerliche an Festivals sind die Undankbaren. Sie rennen von Künstler zu Künstler, die sie nur so halb interessieren, schauen hier und da mal vorbei, um zwischen den Liedern widerwillig zu applaudieren, manche tuscheln gar während der musikalischen Darbietung mit ihrer Begleitung, sie sind nie pünktlich am Veranstaltungsort, verlassen diesen aber stets während die Band noch spielt. Sie stören die Interessierten, die Fans, die Musiker. Manchmal auch mich. Aber ich bin auch einer von ihnen. Die Locations des Reeperbahnfestivals liegen im schlechtesten Fall kilometerweit auseinander und der Veranstaltungsplan ist so unübersichtlich, wie ihn der Schülerpraktikant von der Messie-Schule eben hinbekommen hat. (Ich bin nachsichtig, denn er hat es ja zum ersten Mal gemacht.) Dann will man eben auch schnell noch mal wo rein und kommt dann zu spät und steht in der letzten Reihe der überfüllten Konzerthalle und sieht nichts und hört kaum was, und tuschelt mit dem Nachbarn, ob denn der Soundcheck nicht gemacht wurde usw.; plötzlich ist man selbst einer von den Undankbaren: Kate Nash, James Blunt, Shout Out Louds, Kettcar – bei allen größeren Namen geht es mir so. Sie fesseln mich jeweils gerade einmal lose fünf Minuten.

Eric Pfeil und der Süden

So finde ich mein Musikglück in der Nische: In Angie’s Nightclub, wo Musikkritiker Eric Pfeil sein spätes Debüt gibt, sind vielleicht dreißig Menschen versammelt, die freudig zu seinen gefälligen Popsongs mit dem Fuß wippen. Okay, Musik für Musiker (Frank Spilker ist da) und Kritiker (Detlef Diederichsen ist da), könnte man sagen, es könnte alles etwas abwechslungsreicher sein, aber egal, es ist Herbst und da streicheln gute Popsongs mit schönen Melodien und hübschen Geschichten nun einmal die darbende Festivalbesucherseele. Ein paar von den Liedern bleiben im Gedächtnis hängen – und seitdem ich mir die Platte besorgt habe, habe ich sie rauf und runter gehört. Für den Moment erfreut mich die Musik. Wie es sich gehört, ist Eric Pfeil bei seinem ersten Konzert nervös, und als sich seine Gitarre nicht wie gewünscht stimmen lässt, kommen schnell Rufe nach einem Techniker aus dem Publikum. Trocken entgegnet der Debütant: „Ich brauche keinen Techniker, ich brauche einen Zivildienstleistenden.“ Die Gitarre stimmt zwar immer noch nicht so richtig, aber da ist das Konzert auch schon vorbei. Die resolute Herrin des Bühnenplans beendet die Show mit einer mafiöse Halsdurchschneidegeste für alle Anwesenden abrupt. „Das war eben unser letztes Lied.“ Schade.

Bernd Begemann Solo

Bernd Begemann
Bernd Begemann

Völlig überraschend laufe ich in einer sehr abseitigen Location, dem Nochtspeicher, in Bernd Begemann herein. Ich wähne mich zunächst auf einem Geheimkonzert, schließlich spielte Rapwunder Casper auch außerhalb des Festivalplans, finde den Auftritt dann aber doch später im sogenannten Programmheft. Aber warum soll man nicht auch einmal Glück haben? Wie schon bei Eric Pfeil habe ich auch hier das Gefühl, dass es die alten Männer auf den Bühnen sind, die Hoffnung machen. Der elektrische Liedermacher ist nun auch schon über fünfzig Jahre alt. Und trotz ein paar Pfunden zu viel,ist sein elvisesker Hüftschwung niemals peinlich. Er ist noch immer eines der größten Showtalente auf Deutschlands Bühnen. Oh, St. Pauli, Du hast mich umarmt, als mich niemand anders wollte … Auch wenn sich manche seiner Witze seit Jahrzehnten wiederholen, freue ich mich wahnsinnig, ihn nach lange Zeit wieder einmal live zu sehen, denn er ist live so viel besser als auf all seinen Platten der letzten Jahre. Leider befinden wir uns bereits im Zugabenteil. Zum Glück aber dauert der Zugabenteil bei Bernd Begemann länger als viele sonstige Showcases des Festivals. Auf Zuruf improvisiert er Coverversionen von Punk bis Rock, zum Halbplayback singt er die Beatles. Ich bin zwar zu spät gekommen, aber umso dankbarer.

Zugabe: Havariegefahr

Havariegefahr
Havariegefahr

Hungrig streife ich durch die Nacht und entdecke plötzlich zwei Jungs in maritimen Anglerhosen mit Ukulelen: Christian und Broder sind Havariegefahr, dem wohl ungewöhnlichsten Act des Festivals. Um den neuen Fischbrötchenladen mit dem Namen „Kleine Haie, große Fische“, ihres Freundes Heiner (ganz in der Nähe des Albersplatzes) zu bewerben, singen sie lustige Versionen von Seemannsliedern. Kennengelernt hat sich das Duo bei der gemeinsamen Arbeit im Hamburg Dungeon, einem touristischen Gruselkabinett, wo sie einst gegen Honorar Auswärtige erschreckten. Heute kann man ihre musikalischen Dienste für Ruderclubfeiern oder U-Boot-Taufen buchen. Heiner belegt mir ganz frisch ein Fischbrötchen und gibt mir dann noch einen Korn aus. Prost!

Reeperbahnfestival

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Als es los geht, regnet es. Aber das ist egal, denn wir sind ja in Hamburg, also tun wir den Besuchern aus sonnigeren Gefilden den Gefallen, ihr Wettervorurteil zu bestätigen, und auf Woodstock hat es schließlich auch geregnet. Am Pressecounter gibt es große Leihregenschirme, ich will keinen, weil Regenschirme kein Rock ’n‘ Roll sind, und außerdem lassen einen die Türsteher mit den riesigen Stöcken ganz sicher nicht in die Clubs.

Im Molotow wird weniger geraucht als früher und wenn man neben dem Eingang des Kellerclubs steht, riecht es penetrant nach Klo. Der Zigarettenrauch hat das damals gut überdeckt. Ja ja, die guten alten Zeiten usw. Bald wird hier gar nicht mehr geraucht. Denn während beim Eröffnungsempfang ein Haus weiter der Bürgermeister Hand in Hand mit der Kultursenatorin bei Häppchen und perlenden Getränken aus langstieligen Gläsern den Musikstandort Hamburg in höchsten Tönen lobt, fällt das Molotow demnächst Immobilienspekulanten zum Opfer. Das ist traurig und auf die sterbende Clubszene trinke ich noch ein Festival-Bier, das die lokale Brauerei speziell zu diesem Anlass gebraut und mit einem besonders schönen Etikett versehen hat, das man leider nicht sieht, weil das Bier aus der Flasche umgehend in einen Plastikbecher umgefüllt wird. Bier aus Plastikbechern ist noch weniger Rock ’n‘ Roll als Regenschirme.

Steve Blame sagt Musik an, und ich fühle mich zurückversetzt in meine Jugend, eine internetlose Zeit, als Musikvideos noch im Fernsehen gespielt wurden. Auf der Bühne eine Band aus Düsseldorf: Stabil Elite. Der Name ist bescheuert, aber das ist egal, denn sie sind gut. Die fleischgewordene Krautrockkraftwerker bearbeiten gekonnt ihre Instrumente, alles schön bombastisch mit Moog-Synthesizern und Druck in den Bässen. „Alles, was ich anfasse, wird zu Gold“, singen sie, und tragen dabei frisch gebügelte weiße Hemden. Klar, dass sie auf der Bühne rauchen – alles, was schlecht für die Gesundheit ist, ist gut für die Attitüde. Das haben sie auf der Kunsthochschule gelernt.

Eigentlich gehe ich nicht gern auf Konzerte von Bands, die ich nicht kenne. Ich mag keine Überraschungen. Trotzdem bin ich nach dem Auftakt beschwingt. In der Meanie Bar oben spielt eine sehr junge Band. Den Jungs wächst noch nicht einmal ein Bart, nur ihr Bassist trägt ein rundum behaartes Haupt und wirkt damit ein bißchen wie ihr Musiklehrer. Auch sie rocken gut, jedenfalls viel besser als Schülerbands zu meiner Zeit. Leider habe ich keine Ahnung, wie die Kapelle heißt, denn das Programmheft ist das Unübersichtlichste. 110 Seiten bebildertes Chaos ergänzt durch eine App, die unablässig kurzfristige Programmänderungen auf mein Mobiltelefon pusht und vor überfüllten Veranstaltungsorten warnt, machen mich orientierungsloser als eine Überdosis Plastikbecherbier es könnte.

Dann kurz rüber in den Mojo Club. Es herrscht gähnende Leere in der sterilen Architektur. Die einstige Clublegende scheint im Neubau als Zombie wieder auferstanden zu sein. Viel Dancefloor, aber wenig Jazz; dafür aber Gin Tonic mit zu viel Gin, was gut gemeint, aber eben auch nicht gut ist. Nippen am Drink, Wippen zur Musik, Schmunzeln über den Bierautomaten auf dem Herrenklo. Dann schnell rüber in die benachbarte Hotellobby, Treffen mit Freunden, mehr Bier trinken, aber jetzt aus schön etikettierten Festivalflaschen. Dann mit einer Mischung aus Ratlosigkeit und Neugier im Nachtbus nach Hause durch das Programmheft blättern.