„In jüngster Zeit ist das Fotografieren ein ebenso weitverbreiteter
Zeitvertreib geworden wie Sex oder Tanzen – was bedeutet, dass die
Fotografie, wie jede Form von Massenkunst, von den meisten Leuten
nicht als Kunst betrieben wird.“
(Susan Sontag)
„Alles ist Kunst.“
(Joseph Beuys)
Martin Parr und ich
Alles begann im Jahr 2005. Ich erwarb mein erstes Handy mit eingebauter Kamera – das Nokia 6230i verfügte über einen Sensor mit gerade einmal 1,3 Megapixeln. Auf dem Display war so gut wie nichts zu erkennen, die Übertragung der Dateien mittels USB-Kabel an den heimischen PC war eine Qual und die Fotos waren miserabel. Bereits nach kurzer Zeit ließ ich wieder davon ab, mit meinem Mobiltelefon zu fotografieren.
Im selben Jahr gab SonyEricsson dem britischen Magnum-Fotografen Martin Parr ein Fotohandy an die Hand und schickte ihn damit auf Weltreise. Jede Woche veröffentlichte er auf der Website des Herstellers zehn Fotos, aus denen später der Bildband „Road Trip“ entstand. Leider ist die Website zwischenzeitlich aus dem Netz verschwunden und der Bildband vergriffen. Dennoch zeigt die fragmentarische Dokumentation dieser Aktion, dass es dem Meister trotz unzulänglicher technischer Voraussetzungen gelang, zu eindrucksvollen Ergebnissen zu kommen.
Ernsthafte Fotografie war, wie auch schon zu Beginn der analogen Zeiten, selbst mit rudimentärster Technik möglich. Das Foto macht eben nicht die Kamera, sondern in erster Linie der Fotograf.
Von den ersten Pixelhaufen zum Pulitzer-Preis
Heute indes, nur sieben Jahre später, ist die Fototechnik in Mobiltelefonen so weit fortgeschritten, dass sie qualitativ mit Kompaktkameras der Mittelklasse mitzuhalten vermag. Moderne Smartphones, die weniger als einen Zentimeter dick sind, verbinden dies mit den Vorteilen des Immer-dabei-Habens sowie der Möglichkeit zum sofortigen Hochladen der Bilder in Soziale Netzwerke. Dass die Handyfotografie auch im professionellen Bereich ernstgenommen wird, hat der New-York-Times-Fotograf und Pulitzer-Preisträger Damon Winter gezeigt, der im Herbst 2010 mit der iPhone-App Hipstamatic US-Soldaten im Afghanistan-Einsatz fotografierte.
Instagram macht Fotografie mobil
Die Hardware konnte sich noch so weit entwickeln, so richtig Sinn ergibt die Handyfotografie erst, seit es mobiles Internet und Dienste gibt, die das Herzeigen der Fotos ermöglichen. Was heute einleuchtend erscheint, war nicht allen von Anfang an klar. So hat die Fotoplattform Flickr, das Urgestein des Web 2.0, den Mobiltrend weitestgehend verschlafen. Diese Lücke konnte der aus San Francisco stammende Dienst Instagram leicht füllen.
Am 6. Oktober 2010 erschien, exklusiv für iPhone, die erste Version der App. Neben einer handvoll Filter, die den quadratischen Fotos eine historische Anmutung verleihen, besteht Instagram aus einem Social Network, in das automatisch alle mit diesem Programm bearbeiteten Fotos hochgeladen werden. Ausschließlich auf dem iPhone konnte man Freunde hinzufügen, Bilder kommentieren oder für gut befinden. Später kamen über eine Schnittstelle Webdienste wie Statigram hinzu, die bis auf das Hochladen von Fotos all dies auch auf dem Rechner ermöglichten und darüber hinaus noch einige Zusatzfunktionen für Freunde von Statistiken bieten.
Am 10. Oktober 2010 habe ich mich als 62062. Nutzer bei Instagram registriert. Mein erstes Foto zeigte ganz unspektakulär ein etwas unaufgeräumtes Wohnzimmer mit einer Palme und Schrankwand. Ich erhielt dafür drei Likes, danach passierte so gut wie nichts. Und das blieb auch bei den folgenden Fotos so. Genau wie Twitter vor nunmehr über fünf Jahren war dieses Instagram nun da – und ich wusste nicht so recht etwas damit anzufangen. Auch Instagram erschließt sich erst, wenn man es selbst ausprobiert und von innen erlebt hat.
Im März dieses Jahres verzeichnete Instagram weltweit 27 Mio. Nutzer. Vor wenigen Tagen ist die App für das Betriebssystem Android erschienen. Innerhalb von sechs Tagen wurde diese Version mehr als fünf Million Mal heruntergeladen.
Was Instagram für mich ausmacht
Was nun ist aber der Reiz an Instagram? Während viele Nutzer sicher zunächst einen Zugang über die Verwendung der Filter finden, ist das eigentlich Interessante die Community. Irgendwann habe ich damit begonnen, nicht einfach nur Bilder hochzuladen und abzuwarten, was passiert, sondern auf dieser Plattform anderen Fotografen zu folgen.
Mittlerweile verfolge ich die Fotostreams von 357 Menschen. Darunter sind Freunde und Bekannte, die eine Art Fototagebuch führen und mich so an ihrem Leben teilhaben lassen. Von ihnen nehme ich auch gern belanglosere visuelle Eindrücke in Kauf, z.B. Essensbilder oder Haustiere. Aber unter den von mir Verfolgten sind auch zahlreiche Fotografen aus aller Welt, die ich gar nicht persönlich kenne. Dem Produkt-Designer aus San Francisco, der Fotografin aus Berlin und dem Instagrammer aus Brasilien folge ich, weil sie mich durchgehend mit guten Fotos erfreuen und mich daran teilhaben lassen, wie sie die Dinge sehen.
Meine Fotostream hat derzeit 31.673 Anhänger. Im Gegensatz zu Twitter, das aufgrund von Sprachbarrieren die länderübergreifende Interaktion erschwert, ist das Potential auf Instagram quasi unbegrenzt. Selbst mit einfachen Englischkenntnissen kommt man über Kommentare miteinander in Kontakt, auf lokaler Ebene haben sich feste Gruppen gebildet, die sich regelmäßig zu Fotospaziergängen treffen, und ich habe schon von Freundschaften gehört, die dank Instagram über Kontinente hinweg geknüpft wurden.
Die ästhetische Kritik an Instagram
Wie bei jeder Innovation im Internet stößt natürlich auch Instagram auf Kritik. Diese bezieht sich zum einen aufästhetische und zum anderen auf die sozialen Aspekte.
Insbesondere Beobachter, die sich schon länger und ernsthafter mit der Fotografie auseinander setzen, bemängeln den Einsatz von Filtern, die die Bilder künstlich altern lassen. Auch ich habe mich im Dezember 2010 kritisch mit destruktiven Filtern in der digitalen Fotografie auseinander gesetzt. Sicherlich mag es das geschulte Auge stören, dass ein großer Teil der Fotos immer gleichförmiger daher kommt, zumal Instagram dem Nutzer lediglich die Möglichkeit gibt, einen Filter ein- oder auszuschalten. Granularere Einstellungen sind nicht möglich. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es über die derzeit 18 verschiedenen Filter, die die App derzeit bereitstellt, zahlreiche weitere Programme gibt, um die eigenen Fotos individuell zu bearbeiten oder ihnen ein ganz andere Erscheinung zu verleihen, z. B. Snapseed oder Hipstamatic.
Nicht vergessen werden darf, dass es auch im analogen Fotolabor möglich war, Einfluss auf die Entwicklung der Fotos zu nehmen. Zahlreiche Filter versuchen, diese Effekte nachzubilden, z. B. Crossentwicklung. Letzendlich ist es jedem Fotografen selbst überlassen, wie stark er seine Bilder verändern will. Sicherlich kann ein Filter ein schlechtes Foto noch etwas historischen Charme mit auf den Weg geben, aber ein schlecht komponiertes Foto besser machen, kann er nicht.
All dies ist Moden unterworfen und vielleicht werden uns Fotoalterungsfilter in ein paar Jahren schon genau so befremdlich erscheinen wie heute HDR-Effekte oder Color Keys. Übrigens ist zu beobachten, dass zunehmend auf auf den Einsatz von Filtern verzichtet wird (meine Statistik besagt, dass ich bei mehr als 25 Prozent meiner Fotos keinerlei Filter einsetze.)
Über Geschmack lässt sich genau so wenig streiten, wie über die Frage, ob Instagram-Fotos Kunst sind. Dies ist sicherlich im Einzelfall zu entscheiden. Andreas Gurskys Werke, die derzeit zu den teuersten „Fotografien“ zählen, die der Markt zu bieten hat, sind zweifelsohne Kunst. Und dies obwohl er den größten Teil seiner Arbeitszeit nicht hinter der Kamera, sondern am Computer verbringt. Die neuesten Werke des britischen Malers David Hockney sind gar vollständig an einem iPad entstanden. Und vielleicht werden in paar Jahren auch Instagram-Bilder ganz selbstverständlich in Galerien und Museen zu finden sein.
Meine Instagram-Bilder seien „größtenteils künstlerisch nicht wertvoll“, sagte mir einst die Kunsthistorikerin und das ist okay so. Für mich steht in erster Linie der Spaß am Fotografieren im Vordergrund.
Die soziale Kritik an Instagram
„Vor allem aber dient die Auswahl von Fotografien aus dem eigenen Alltag dem Impression Management: andere sollen sehen, was er alles ist und kann“, schreibt Teresa Bücker in ihrem Blog auf den Seiten der FAZ. Wer Instagram-Nutzern nun vorwirft, dass es sich um keine Dokumentation des echten Lebens, sondern um eine geschönte Darstellung handelt, darf nicht vergessen, dass der Nutzer sich mit jedem Foto auch um die Gunst seiner Anhänger bewirbt. Und wer würde schon von einem Bewerber in einem Vorstellungsgespräch erwarten, dass er bei der Frage auf die persönlichen Schwächen eine umfassende Generalbeichte ablegte? Genau wie der Rezipient zwischen Dokumentar- und Spielfilm zu unterscheiden vermag, weiß er auch, den Nachrichtenwert eines Instagram-Streams richtig einzuschätzen.
„Essen ist das Motiv Nummer 1, wenn es um die Darstellung des eigenen Privatlebens geht“, schreibt Mercedes Bunz im Tagesspiegel unter der Überschrift „Zeigt her Eure Teller!“ Seit Beginn der digitalen Fotografie entstehen – dank entfallener Transaktionskosten für Film und Entwicklung – Unmengen an Bildern. Leicht ist es hier, den Vorwurf zu erheben, Instagram werde mit Fotos von köstlichen Mahlzeiten, niedlichen Katzen und Schäfchenwolken überflutet. Allerdings verkennt der Kritiker, dass er für das, was er auf Instagram zu sehen bekommt, selbst verantwortlich ist. Anhand von Twitter haben wir gelernt, dass der Einwand der Belanglosigkeit keine Gültigkeit hat, da jeder User für die Auswahl der von ihm abonnierten Kanäle selbst verantwortlich ist. Genau so verhält es sich auf Instagram: Wer sich für Architektur interessiert, folgt le_blanc, wer alte amerikanische Autos mag, folgt drsmoothdeath und jn zeigt Street Photography aus Berlin. Wer sich ein bißchen bemüht, wird über die Suche nach Schlagworten das finden, was ihn interessiert.
Die Übernahme durch Facebook und wie es weitergeht
Am 9. April 2012 hat Facebook-Gründer Mark Zuckerberg bekanntgegeben, dass Facebook den Fotodienst für 1 Mrd. US-Dollar gekauft habe. Obwohl das bei Datenschützern unter Kritik stehende Facebook zugesichert hat, die Foto Community als eigenständigen Dienst, unabhängig von Facebook fortzuführen, machte sich auf Instagram die Sorge um einen möglichen Kontrollverlust über die eigenen Daten und Fotos breit. Sofort wurden mit dem Schlagwort #instablack tausende komplett schwarze Bilder veröffentlicht, um dem Unmut über die Übernahme Ausdruck zu verleihen.
Für eine Panik ist es allerdings zu früh, denn bislang hat sich bis auf den Eigentümer nichts verändert. Dank der medialen Aufmerksamkeit sind viele neue Nutzer dazugekommen, die mit ihren Fotos die Plattform auch bereichern. Es bleibt zu hoffen, dass sich Facebook an die gemachte Zusage hält und dass Instagram auch künftig technisch weiterentwickelt wird.
tl;dr
Instagram macht Spaß, man muss es aber selbst ausprobiert haben, um das zu verstehen.
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