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Feuilleton

Freitag ist Musiktag

Lieber Tonträgerfachhändler,

heute ist Freitag und seit 2005 ist freitags Musiktag. So hat es sich zumindest die Schallplattenindustrie ausgedacht, damit wir Kunden wieder häufiger auf ihre Produkte zurückgreifen. „Donnerstag ist Kinotag und Freitag ist Musiktag“, so umschrieb es Gerd Gebhardt, Vorsitzender der Phonoverbände, als dieses geniale mysteriöse Motto mit Tamtam und Bohei ausgerufen wurde. Was er uns damit sagen wollte, ist, dass der Freitag zu den umsatzstärksten Tagen im Einzelhandel zählt und dass es doch prima wäre, dem kaufwilligen Verbraucher an diesem Tag der unbegrenzten Einkaufsfreude, an dem das Geld so richtig locker sitzt, auch gleich die Neuerscheinungen des Tonträgermarktes an die Hand geben zu können.

Ich gehe freitags selten einkaufen. Warum auch? Man kann auch an Montagen, Dienstagen, Mittwochen und Donnerstagen das Geld – ganz antizyklisch – nach Belieben zum Fenster hinauswerfen. An Freitagen gehe ich eigentlich nur einkaufen, wenn ich mir mal wieder eine brandneue heiße Scheibe gönnen will. Es muss für mich nicht einmal Vinyl sein, sondern für mich tut es bereits die seit langem bewährte Compact Disc, auch wenn der Audiophilist niemals müde wird zu behaupten, dass Vinyl viel wärmer, räumlicher und natürlicher klänge als diese technokratischen Silberlinge mit ihren binären Informationen. Aber darum geht es hier gar nicht.

Es soll Leute geben, die beziehen ihre Musik in Dateiform über das Herunterladeangebot eines Computerherstellers. Das will ich nicht. Ich möchte mir meine CD in mein Regal stellen und bei Bedarf auch mal einen Blick in das begleitende Heftchen werfen, um einen Liedtext oder die Besetzung der Kapelle nachzuschlagen. Manchmal betrachte ich auch das zu klein geratene Titelbild und und gebe insgeheim den Vinylfetischisten darin Recht, dass die schwarzen Scheiben unter gesamtkunstwerklichen Aspekten doch vorzuziehen seien. Andere wiederum bestellen physische Tonträger bei einem Internetbuchhändler. Auch dieser Bezugsweg behagt mir nicht, weil die Päckchen ständig verloren gehen oder ich selten zu Hause bin, wenn der Postmann klingelt. Also suche ich zum Erscheinungstag einer neuen Tonkonserve Dich, lieber Plattenhändler meines Vertrauens, auf, denn Du bist schließlich der für diese Produktgattung zuständige Fachhändler.

Nun ist es in den vergangenen Monaten immer wieder dazu gekommen, dass ich an einem Musiktag ein Tonträgerfachgeschäft aufgesucht habe und die für diesen Musiktag vorgesehene Neuveröffentlichung nicht in Deinen Regalen zu finden war. Ich schaute bei den Neueingängen nach: Fehlanzeige. Ich schaute bei der jeweiligen Musikrichtung unter dem Anfangsbuchstaben des Interpreten nach: Fehlanzeige. Und ich frug zu guter Letzt Dein qualifiziertes Verkaufspersonal: ebenfalls Fehlanzeige. Nicht einmal in den noch nicht geöffneten Paketen Deines Wareneinganges befand sich das von mir gesuchte Exemplar. Wäre dies eine Ausnahme, dann zeigte ich mich nachsichtig. Doch dieses Unbill geschah in letzter Zeit ständig, wenn ich Dich, nachdem ich dem Veröffentlichungstag des von mir heißersehnten Tonträger bereits wochenlang entgegenfieberte, aufsuchte.

Ich frage mich, warum es Dir nicht möglich ist, eine Schallplatte zum Zeitpunkt ihres offiziellen Erscheinens vorrätig zu haben. Du bist schließlich der Plattenhändler meines Vertrauens, gut sortiert, nicht übermäßig und mit fachkundigem und für einen Plattenladen recht freundlichem Personal ausgestattet. Du bist in der Plattenhändlerwüste Hamburgs die einzige Oase und ein Laden für Leute, die Musik noch zu schätzen wissen und sogar dafür bezahlen wollen. Warum nur treibst Du mich in die Hände von denen, die die uns einreden wollen, dass Geiz geil sei, oder vorgeben, dass wir nicht blöd seien, wenn wir bei ihnen kaufen? In 34 Tagen erscheint die neue Platte von Tocotronic. Du hast also ausreichend Zeit für eine Vorbestellung. Das ist Deine letzte Chance. Ich hoffe sehr, dass Du sie nutzt.

In treuer Verbundenheit

Dein bosch

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14 Antworten auf „Freitag ist Musiktag“

und wieder landen wir beim schönen thema major ;) der vertrieb, speziell bei universal, ist sehr teuer, sodass ein plattenladen schon eine mindestanzahl bestellen müsste, damit sich der deal halbwegs lohnt. und dann müsste man sich natürlich noch sicher sein, dass diese cd’s auch alle verkauft werden. scheint bei deinem lieblingshändler nicht der fall zu sein.

(oder er verrafft das mit dem selbstbestellen, was ich mir aber nicht vorstellen kann.)

Oh, es sind nur noch 34 Tage bis die Tocotronische Platte rauskommt? Fein! :-)
Weniger fein, daß Du dir offenbar Blasen an die Füße läufst und dann doch vergeblich die Regale durchstöberst. Muß gestehen, daß ich seit längerem einen relativ weiten Bogen um Plattengeschäfte mache. Vielleicht hatte mein früherer Händler verpasst, rechtzeitig eine ausreichende Kundenbindung aufzubauen? Hmmm… aber wenn das so ist, daß die Majors eine Mindestabnahme von 3 Stück verlangen, dann kann das möglicherweise durchaus ein Grund dafür sein, wenn es sich um exquisitere Bands handelt… wobei: 1-2 Tage später scheint dein Plattendealer die Sachen ja auf Lager gehabt zu haben, oder? Dann kann’s daran ja nicht liegen… vielleicht doch Schlamperei und Unfähigkeit? Viele Fragen…. ;-)

Deshalb hab ich mir das heute erscheinende Dieter Thomas Kuhn Album „Musik ist Trumpf“ auch via Internethändler zuschicken lassen, obwohl ich bis eben warten musste ob es überhaupt noch kommt und nun läuft es rauf und runter :-)

Tocotronic muss ich dann auch haben!

Das scheint ja eine echte Gewissensfrage zu sein!
Da ich in einer verhältnismäßig kleinen Stadt wohne (gut 50 Tsd Einwohner) habe ich von Haus aus keine große Wahl.
Keine kleinen Läden (hab jedenfalls nur einen Gebraucht-Ramsch-Laden gefunden) und ein Blöd-Markt außerhalb der Stadt – mehr nicht.
Aber ich bin – auch aufgrund meiner Faulheit – großer Fan von Onlinekaufhäusern. Bisher kam erst eine CD weg und die wurde dann promt ersetzt.
Und wenn man „schlau“ bestellt, passt das Paket auch in den Briefkasten und man muss gar nicht zu Hause sein.
Dann muss man nicht durch die Stadt streifen um dann doch enttäuscht zu werden, sondern man kommt nach Hause und findet die neue CD im Briefkasten und kann sie dann sofort anhören!
Seht’s mir nach, mir Kulturbanausen, aber ich habe mich dem Kommerz verschrieben und bin glücklich damit.

Bosch, du Bruder im Geiste! Auch ich ziehe die CD der Vinyl-Scheibe vor, allein schon aufgrund der Bequemlichkeit. Was habe ich mich damals zu Vinylzeiten geärgert, wenn der Diamant versehentlich trotz übervorsichtigem in die Rille heben einen Hüpfer gemacht hat oder die Katze einfach auf den Plattenspieler gesprungen ist und unter der Abdeckung der Diamant einmal quer rübergeschramt ist.

Und auch ich gehöre zu der Sorte Mensch, der seine CD`s alle rechtmäßig im Handel (egal ob Internet oder Laden) erworben hat und vom Runterladen gar nichts hält. Jede einzelne CD in meinem Regal ist ein Schätzchen und so soll es auch bleiben.

Allerdings wird es spannend, was in 30 Jahren ist. Lt. Vorhersagen verschwinden die Daten nach und nach und eine Zeit lang kann der CD-Player fehlende Daten durch Rechenleistung ausgleichen. Aber irgendwann war es das wohl. Vinyl hingegen soll ca. 100 Jahre halten können.

@Alexander: Gern geschehen.

@anne: Es handelt sich schon um einen Premiumplattenhändler, bei dem das ganze Hamburger Indievolk ein- und ausgeht. Daher darf man eigentlich schon damit rechnen, dass am Veröffentlichungstag eine neue Live-Scheibe von Morrissey oder auch das neue Album der Erdmöbel vorrätig ist, denn ganz sicher wird dieser Laden jeweils mehr als drei Exemplare verkaufen. Das nächste Mal komme ich, um mich zu beschweren.

@Marc: Ich befürchte, es geht ein bißchen in Richtung Schlamperei und Unfähigkeit. Vielleicht fehlt den Jungs tatsächlich der Masterplan? G

Hier gibt es übrigens einen Countdown bis zum genauen Veröffentlichung des neuen Tocotronic Albums.

@Andre: Tocotronic-Platten landen ja mittlerweile in den Charts. Da ist die Chance, eine solche beim Plattenhändler im Regal zu entdecken, sicher größer als bei einer DTK-Rille. Letztere befindet sich ja auch eher an der Grenze des guten Geschmacks, oder?

@juliaL49: Auf dem Lande gibt es keine Alternative zum Versandhandel, da hat man es schon schwer, Teil einer Jugendbewegung zu sein. Aber ich rede doch von der Musikhauptstadt Hamburg und da sollten bestimmte Tonträger schon rechtzeitig im Regal stehen.

@Stefan: Daran mag ich gar nicht denken. Sollte digital etwa doch nicht besser sein?

Als Mitarbeiter der Musik“industrie“ kann ich Dir nur Raten:

Kauf den Scheiß bei iTunes!

Daran verdienen wir wenigstens…

Greez !

Seit ich meine CD’s per iTunes auf die Festplatte gebracht habe, mußte ich bei zwei meiner CD’s, Datenverlußt feststellen. Ich war darüber überhaupt nicht amused.

Der kleine Plattenladen an der Ecke kann nur überleben, wenn er Nischenprodukte, so u.a. Vinyl, anbietet. Im Mainstream Sektor, haben sie keine Überlebenchance.

@Bosch

ich rechne mir das schön. Ich bin jetzt 41. Alle ab jetzt von mir gekauften CD`s werde ich wohl fast bis an mein Lebensende hören können. Alle vorher gekauften CD´s werden pfleglich behandelt, um dem Zahn der Zeit ein Schnippchen zu schlagen. Meine älteste CD (dürfte jetzt 16 Jahre sein) funktioniert immer noch einwandfrei. Und ich vertraue auf den technischen Fortschritt. Es wird sicher Methoden geben, CDs zu retten. Und sei es, dass man sich rechtzeitig eine Kopie brennt.

@Bosch

übrigens, die paar CD`s, die sich bei mir selbstgebrannt eingeschlichen haben (geschenkt, da ich mir meine CDs immer selber kaufe), leiden schon unter ersten Auflösungserscheinungen. Und die sind höchstens 7/8 Jahre alt.

Noch ganz unkommentiert war der Text , als ich Freitag, um 9Uhr58 in den bloq schaute. Aber da gingen andere Dinge leider vor…
Ein Thema, das mich besonders betrifft, und auch für ein wenig Trauer sorgt, ist das Verschwinden der Kassette.
Natürlich kaufe ich keine Neuerscheinungen auf Kassette,
aber ich hänge an Mix-Tapes und Mitschnitten aus dem Radio. Bereits 2003 waren erste besorgte (Vor-)Nachrufe auf diesen analogen Tonträger zu vernehmen, einer ist unter anderem noch auf der de:bug homepage irgendwie zu finden (den Link hätte ich zur Not).
Dann kündigte „Die Welt“ an, dass der Handel Weihnachten die letzten Kassettendecks verkaufen wolle. Nun ja, auch wenn ich diese Entwicklung habe kommen sehen, graust es mir doch ein wenig vor dem Tag, wo die Leerkassetten aus den Regalen verschwinden oder nur noch in minderwertiger Qualität angeboten werden.
ABER: Auch das ist zu überstehen. Bei einem befreundeten Trödler habe ich mal ein Tonband mit irgendwelchen Schrammelgitarrenmitschnitten aus den 70er Jahren angehört, das so 20-30 Jahre alt war. Die Tonqualität war mehr als grausam.
Ich hoffe, bis dahin habe ich meine Sachen irgendwie konserviert bekommen (ca. 150 Kassetten), um sie in 20 Jahren wahrscheinlich wieder auf ein anderes Medium umzulagern.
Zur Tocotronic-Neuerscheinung wurde oben wahrscheinlich aus kompeteren Mündern/ Tastaturen geantwortet.
Das die Platte nicht da ist, daran kann man wohl (auch mit Beschweren) nichts ändern. Wahrscheinlich verfolgt der Laden irgendwie andere Ziele, als Stammkunden zu halten.

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