Deichkind, 24.08.2024, Parkbühne Wuhlheide

Deichkind am Samstag: Leider geil. Die Musik, die Show, die
t-shirt-wetter-warme Nacht, die großartige Parkbühne Wuhlheide weit draußen am Rande von Berlin – alles passt und ballert in perfekten Maßen, ganz ohne am Folgetag aufgeregte Erdbebenmessungsmeldungen in der lokalen Kulturpresse hervorzurufen. 

Mittags vom meinem Glück noch nichts ahnend einen Kaffee in einem für mich abseitigen Viertel der Stadt, in das ich mich tatsächlich immer nur widerwillig begebe, zu mir genommen und dort den mir aus Hamburg lediglich vom eher flüchtigen Moinsagen bekannten La-Perla-Henning aka DJ Phono getroffen. Was machst du hier? Wir spielen heute abend in der Wuhlheide. Cool. Komm doch rum. Okay. Und schon stehe ich völlig überraschend auf der Gästeliste mit Aftershowpartytamtam. Ein feiner Zug, das, ganz wunderbar.

Die Hamburger Hiphopelectropunkkapelle ja immer nur aus der Ferne, wenn auch mit größerem Interesse verfolgt habend, ohne je überschwänglicher Fan gewesen zu sein, hat mich das Bühnenspektakel angenehmst affiziert. Das Fass, das Boot, aber vor allem auch die kleinen schelmischen Choreografien, während der die Bühnencrew anarchisch auf Bürostühlen hin und her rollte oder marypoppinsgleich Regenschirme schwenkte, toll. Musik, Text, Show, alles ganz fein erdacht und hintersinnig. Okay, ich gebe zu, ich war schon ein bißchen geflasht. Danke, Deichkinnings.

Smartphone killed the Telefonzellen-Star

Nach langem Suchen hat der Autor endlich noch eine echte Telefonzelle gefunden, wenn auch keine gelbe. Diese wurden bereits 2019 außer Dienst gestellt.

„Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“ fragt die gemeine Carpe-Diem-Quatschnase gern. Und da die Gesellschaft sich gerade so schön am Aufspalten ist, hatten Menschen, die lieber vor Vanitas-Stillleben verweilen und dabei hoffen, dass sich der Ausspruch „Jedem Ende wohnt ein Zauber inne“ durchsetzen möge, jetzt die Gelegenheit, finally, eine Sache zum letzten Mal zu tun. Und zwar Münzen in einen öffentlichen Fernsprecher zu werfen, um sodann ein fernmündliches Gespräch zu beginnen.

Seit der Ankündigung, dass am 21. November 2022 mit diesem nunmehr 142jährigen Brauch unwiderbringlich Schluss sein werde, hat sich das Ende der Ära des Münzfernsprechers zu einem feuilletonistischen Topos ungeahnten Ausmaßes entwickelt. Obschon seit Jahrzehnten kein Feuilletonist mehr in einer Telefonfelle gesehen wurde, beklagt die Qualitätspresse landauf, landab nun das Ende dieser Institution. Hierzu wurden Entwicklungen der Verfügbarkeit (von „Fasse dich kurz!“ bis „Ruf doch mal an!“), popkulturelle Referenzen (jemand hat einmal in einem Film in einer Telefonzelle telefoniert etc.), olfaktorischen Beschreibungen (Urin!) bis hin zur funktionierenden Kreislaufwirtschaft (man kann die Dinger jetzt für 500,– Euro auf Ebay ersteigern, um darin zu Hause seine Podcasts aufzunehmen) bemüht.

Was man gemeinhin zuletzt als Telefonzelle bezeichnete, waren nichts weiter als nichtbegehbare Telefonsäulen.

Dabei gibt es – Stand heute – bereits so gut wie gar keine Telefonzellen mehr, seitdem der Anbieter mit dem magentafarbenen Logo diese Mitte der 2010er Jahre überwiegend durch nichtbegehbare Telefonsäulen ersetzt hat. Nach längerem Suchen finde ich endlich noch eine Begehbare, ganz in der Nähe der Reeperbahn, sammle meine Münzen zusammen und kneife mir die Nase zu. Ich weiß gar nicht, wen ich anrufen soll, weil ich gar keine Telefonnummern mehr auswendig weiß.

Von den zwei möglichen Personen, deren Rufnummern mir im Gedächtnis befindlich, wähle ich die Nummer der Person, die am heutigen Tag Geburtstag hat. Und weil heute kein normaler Mensch mehr ein Gespräch von einer unbekannten Nummer annimmt, lande ich bei meinem finalen Münzferngespräch auf dem automatischen Sprachspeicher. Das ist ganz schön, denke ich, so könnte dieses Audiodokument bei ordnungsgemäßer Datensicherung ein Geschenk für die Ewigkeit werden. Oder auch nicht, aber das ist auch egal.

John Scofield, 15. Januar 2021, Elbhilharmonie, Hamburg

Wie ungewohnt, nach langer Zeit mit 500 Menschen in einem Raum, dicht an dicht nebeneinander zu sitzen. Ein bißchen fühlt es sich an wie Russisches Roulette. Lange habe ich überlegt, ob ich es wirklich wagen soll, dann die Testsieger-FFP2-Masken bestellt und dann rein in den kleinen Saal der Elbphilharmonie.

Eigentlich soll das Konzert jetzt beginnen, aber die Röhrenverstärker sind noch nicht einmal auf Betriebstemperatur. Neben mir in der hintersten Reihe unterhalten sich zwei ältere Damen „Hast du schon einmal was von John Scofield gehört?“ – „Nein,“ so die andere, beide erfreut über ihre Neuneurotickets und voller Spannung darauf, was der Abend für sie wohl bringen mag. Dann geht alles ganz schnell, ein Mann schaltet die Verstärker ein, ein paar Minuten des Vorheizens und der Meister erscheint.

Da sitzt er nun, John Scofield, ganz allein auf der Bühne, nur er, der 70jährige amerikanische Jazzgitarrist. Na ja, fast, denn mit ihm sind seine Gitarre, zwei Verstärker und ein paar Effektpedale. Für die Begleitung sorgt er selbst mittels kurzer Loops, die er zu Beginn der Stücke aufnimmt. All das passiert sehr natürlich, keine stumpfen Abfolgen von Akkorden, sondern geschickt mit einander verflochtene harmonische und rhythmische Versatzstücke. Der Mann mit immer leicht angerauten Gitarrenton ist eine Legende, er spielte schon mit Miles Davis, Charles Mingus und Chet Baker. Er sagt, dass er sich freut, nach längerer Coronapause, wieder einmal auf einer Bühne spielen zu können, und zeigt die große Bandbreite – eigene Kompsitionen, Standards (‚That Old Feeling‘, Hank Williams (‚Angel of Death‘), Beatles (‚Julia‘) und Rolling Stones (‚Not Fade Away‘).

Alles ist sehr bewegend, jeder Ton ist wohl überlegt, nichts ist zu viel. So auch jedes seiner wenigen Worte an diesem Abend. Pharoah Sanders ‚The Creator Has a Masterplan‘ leitet er ein mit den Worten „Ich hoffe, den hat er wirklich.“ Das hoffe ich auch, während ich in den kommenden Tagen darauf warte, dass meine Corona-Warn-App auf rot umspringt. Danke für den Abend, und hoffentlich bis bald, Sco …

Die Sonnenmaschine kommt runter

„The sun machine is coming down,
and we’re gonna have a party.“
(David Bowie, Memory of a Free Festival Part 2)

Es ist ja nicht so viel passiert in diesem Jahr, zumal kulturell. Immerhin ist die Sonnenmaschine runtergekommen. Und so ist halb Berlin in das seit vielen Jahren für die Öffentlichkeit nicht mehr zugängliche retro-futuristische Kongressgebäude geströmt, um das Wunderwerk noch einmal von innen bestaunen zu können. Die Berliner Festspiele gaben sich die Ehre. Performances, Artistik, Architektur, Installationen und Filme waren Nebensache. Lange Warteschlangen, zu kleine Räume, aber egal, denn gefeiert wurde vor allem die Architekturikone.

Für Tino Sehgals „This Joy“ habe ich mich dann doch eingereiht, ein bißchen Freude kann in diesen Zeiten nicht schaden und Beethoven hat von seinem 250. Geburtstag im Corona-Jahr 2020 ja auch nicht viel gehabt. Tanz und Gesang lassen mich in dem kleinen stickigen fensterlosen Raum verweilen, länger als erwartet.

Der Rest ist Streifen durch die endlos langen Gänge und riesigen Säle. Wunderbar, genau wie auch Thomas Balzers Dokumentarfilm „Ein Ufo im Wartestand“ aus dem Jahr 2016, in dem er noch einmal mit der Architektin Ursulina Schüler-Witte die Räume begeht.

Danke, Sonnenmaschine, dass du noch einmal runtergekommen bist.