Shakespeare

Shakespeare

Die Shakespeare-Büste in dem bescheidenen Park gegenüber  der Deutschen Oper versetzt mich bei jedem Anblick in leichte Verwunderung. Was soll die da?

Anfang der 90er Jahre habe ich einmal eine weitaus opulentere Statue des Dichters in Stratford-upon-Avon fotografiert. Was diese dort sollte, erschien mir einleuchtender. Damals hatte ich gerade eine neue Kamera. Und vor lauter Justierung von Blenden und Belichtungszeiten verlor ich den Anschluss an meine Reisegruppe.

Um Aufzuschließen überquerte ich sodann sehr eilig eine Straße, ganz ohne dabei auf den in England herrschenden Linksverkehr zu beachten. Das von rechts kommende Auto erfasste mich um Haaresbreite.

Weniger Fortune im englischen Straßenverkehr hatte heute auf den Tag genau vor 50 Jahren Rolf Dieter Brinkmann. Er wurde nur 35 Jahre alt. Dann machte der Dichter nicht mehr weiter.

Christian Kracht – Air

Ein schmales Buch, nur 200 Seiten. Und doch finden zwei Welten darin Platz. Auf der einen Seite: Manufaktum-Katalog und Kinfolk, spröde Landschaften, Sauerteigbrot, schwere Fahrräder, die richtigen Farben – Lifestyle. Auf der anderen: eine karge Fantasywelt, unwirtlich, zweidimensional, mit einem bedrohlich mächtigen Herrscher. Ein Ereignis katapultiert den Protagonisten von der einen in die andere.

Was soll das? Das Buch ist klüger als sein Autor, heißt es. Doch liest man die sich mit Deutungen überschlagenden Rezensionen (Kinderbuch, Hollywood, Science-Fiction, Modernekritik etc.), gewinnt man den Eindruck, als wollten die Rezensenten wiederum klüger sein als das Buch. Man wünscht sich sofort eine neue Poetikvorlesung von Christian Kracht – und freut sich zugleich, dass er zu all dem beharrlich schweigt. Keine Interviews, keine Podcasts, keine Talkshows.

Man will das Buch langsam lesen. Denn jede Seite ist ein Genuss. Dazu eine Scheibe frisches Sauerteigbrot, natürlich. Aschdanne – das Gemüse, das es nicht gibt – war leider nicht erhältlich.

Deichkind, 24.08.2024, Parkbühne Wuhlheide

Deichkind am Samstag: Leider geil. Die Musik, die Show, die
t-shirt-wetter-warme Nacht, die großartige Parkbühne Wuhlheide weit draußen am Rande von Berlin – alles passt und ballert in perfekten Maßen, ganz ohne am Folgetag aufgeregte Erdbebenmessungsmeldungen in der lokalen Kulturpresse hervorzurufen. 

Mittags vom meinem Glück noch nichts ahnend einen Kaffee in einem für mich abseitigen Viertel der Stadt, in das ich mich tatsächlich immer nur widerwillig begebe, zu mir genommen und dort den mir aus Hamburg lediglich vom eher flüchtigen Moinsagen bekannten La-Perla-Henning aka DJ Phono getroffen. Was machst du hier? Wir spielen heute abend in der Wuhlheide. Cool. Komm doch rum. Okay. Und schon stehe ich völlig überraschend auf der Gästeliste mit Aftershowpartytamtam. Ein feiner Zug, das, ganz wunderbar.

Die Hamburger Hiphopelectropunkkapelle ja immer nur aus der Ferne, wenn auch mit größerem Interesse verfolgt habend, ohne je überschwänglicher Fan gewesen zu sein, hat mich das Bühnenspektakel angenehmst affiziert. Das Fass, das Boot, aber vor allem auch die kleinen schelmischen Choreografien, während der die Bühnencrew anarchisch auf Bürostühlen hin und her rollte oder marypoppinsgleich Regenschirme schwenkte, toll. Musik, Text, Show, alles ganz fein erdacht und hintersinnig. Okay, ich gebe zu, ich war schon ein bißchen geflasht. Danke, Deichkinnings.

Smartphone killed the Telefonzellen-Star

Nach langem Suchen hat der Autor endlich noch eine echte Telefonzelle gefunden, wenn auch keine gelbe. Diese wurden bereits 2019 außer Dienst gestellt.

„Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“ fragt die gemeine Carpe-Diem-Quatschnase gern. Und da die Gesellschaft sich gerade so schön am Aufspalten ist, hatten Menschen, die lieber vor Vanitas-Stillleben verweilen und dabei hoffen, dass sich der Ausspruch „Jedem Ende wohnt ein Zauber inne“ durchsetzen möge, jetzt die Gelegenheit, finally, eine Sache zum letzten Mal zu tun. Und zwar Münzen in einen öffentlichen Fernsprecher zu werfen, um sodann ein fernmündliches Gespräch zu beginnen.

Seit der Ankündigung, dass am 21. November 2022 mit diesem nunmehr 142jährigen Brauch unwiderbringlich Schluss sein werde, hat sich das Ende der Ära des Münzfernsprechers zu einem feuilletonistischen Topos ungeahnten Ausmaßes entwickelt. Obschon seit Jahrzehnten kein Feuilletonist mehr in einer Telefonfelle gesehen wurde, beklagt die Qualitätspresse landauf, landab nun das Ende dieser Institution. Hierzu wurden Entwicklungen der Verfügbarkeit (von „Fasse dich kurz!“ bis „Ruf doch mal an!“), popkulturelle Referenzen (jemand hat einmal in einem Film in einer Telefonzelle telefoniert etc.), olfaktorischen Beschreibungen (Urin!) bis hin zur funktionierenden Kreislaufwirtschaft (man kann die Dinger jetzt für 500,– Euro auf Ebay ersteigern, um darin zu Hause seine Podcasts aufzunehmen) bemüht.

Was man gemeinhin zuletzt als Telefonzelle bezeichnete, waren nichts weiter als nichtbegehbare Telefonsäulen.

Dabei gibt es – Stand heute – bereits so gut wie gar keine Telefonzellen mehr, seitdem der Anbieter mit dem magentafarbenen Logo diese Mitte der 2010er Jahre überwiegend durch nichtbegehbare Telefonsäulen ersetzt hat. Nach längerem Suchen finde ich endlich noch eine Begehbare, ganz in der Nähe der Reeperbahn, sammle meine Münzen zusammen und kneife mir die Nase zu. Ich weiß gar nicht, wen ich anrufen soll, weil ich gar keine Telefonnummern mehr auswendig weiß.

Von den zwei möglichen Personen, deren Rufnummern mir im Gedächtnis befindlich, wähle ich die Nummer der Person, die am heutigen Tag Geburtstag hat. Und weil heute kein normaler Mensch mehr ein Gespräch von einer unbekannten Nummer annimmt, lande ich bei meinem finalen Münzferngespräch auf dem automatischen Sprachspeicher. Das ist ganz schön, denke ich, so könnte dieses Audiodokument bei ordnungsgemäßer Datensicherung ein Geschenk für die Ewigkeit werden. Oder auch nicht, aber das ist auch egal.

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