Smartphone killed the Telefonzellen-Star

Nach langem Suchen hat der Autor endlich noch eine echte Telefonzelle gefunden, wenn auch keine gelbe. Diese wurden bereits 2019 außer Dienst gestellt.

„Wann hast du zum letzten Mal etwas zum ersten Mal gemacht?“ fragt die gemeine Carpe-Diem-Quatschnase gern. Und da die Gesellschaft sich gerade so schön am Aufspalten ist, hatten Menschen, die lieber vor Vanitas-Stillleben verweilen und dabei hoffen, dass sich der Ausspruch „Jedem Ende wohnt ein Zauber inne“ durchsetzen möge, jetzt die Gelegenheit, finally, eine Sache zum letzten Mal zu tun. Und zwar Münzen in einen öffentlichen Fernsprecher zu werfen, um sodann ein fernmündliches Gespräch zu beginnen.

Seit der Ankündigung, dass am 21. November 2022 mit diesem nunmehr 142jährigen Brauch unwiderbringlich Schluss sein werde, hat sich das Ende der Ära des Münzfernsprechers zu einem feuilletonistischen Topos ungeahnten Ausmaßes entwickelt. Obschon seit Jahrzehnten kein Feuilletonist mehr in einer Telefonfelle gesehen wurde, beklagt die Qualitätspresse landauf, landab nun das Ende dieser Institution. Hierzu wurden Entwicklungen der Verfügbarkeit (von „Fasse dich kurz!“ bis „Ruf doch mal an!“), popkulturelle Referenzen (jemand hat einmal in einem Film in einer Telefonzelle telefoniert etc.), olfaktorischen Beschreibungen (Urin!) bis hin zur funktionierenden Kreislaufwirtschaft (man kann die Dinger jetzt für 500,– Euro auf Ebay ersteigern, um darin zu Hause seine Podcasts aufzunehmen) bemüht.

Was man gemeinhin zuletzt als Telefonzelle bezeichnete, waren nichts weiter als nichtbegehbare Telefonsäulen.

Dabei gibt es – Stand heute – bereits so gut wie gar keine Telefonzellen mehr, seitdem der Anbieter mit dem magentafarbenen Logo diese Mitte der 2010er Jahre überwiegend durch nichtbegehbare Telefonsäulen ersetzt hat. Nach längerem Suchen finde ich endlich noch eine Begehbare, ganz in der Nähe der Reeperbahn, sammle meine Münzen zusammen und kneife mir die Nase zu. Ich weiß gar nicht, wen ich anrufen soll, weil ich gar keine Telefonnummern mehr auswendig weiß.

Von den zwei möglichen Personen, deren Rufnummern mir im Gedächtnis befindlich, wähle ich die Nummer der Person, die am heutigen Tag Geburtstag hat. Und weil heute kein normaler Mensch mehr ein Gespräch von einer unbekannten Nummer annimmt, lande ich bei meinem finalen Münzferngespräch auf dem automatischen Sprachspeicher. Das ist ganz schön, denke ich, so könnte dieses Audiodokument bei ordnungsgemäßer Datensicherung ein Geschenk für die Ewigkeit werden. Oder auch nicht, aber das ist auch egal.

Öffentlicher Bücherschrank

Dass es um die kulturelle Daseinsvorsorge im kleinstädtischen Raum schlecht bestellt ist, ist ein offenes Geheimnis. Ausgerechnet die Gastwirte der Stadt haben sich zusammengetan, um der feuilletonistischen Ödnis Einhalt zu gebieten. Zwecks Reanimation der längsten Fußgängerzone Norddeutschlands haben sie in einer ausgemusterten Telefonzelle einen öffentlichen Bücherschrank initiiert. Die Stadtverwaltung hat sich freundlicherweise bereiterklärt, die hierfür benötigte Fläche von rund einem Quadratmeter mietfrei zu überlassen. Das ist durchaus lobenswert.

Das Prinzip ist einfach: Nicht mehr benötigte Bücher können in das in der Telefonzelle befindliche Regal gestellt werden. Wer Interesse an einem dieser Bücher hat, darf es kostenlos mitnehmen und wird im Gegenzug gebeten, bei Gelegenheit auch selbst ein Druckerzeugnis zur Verfügung zu stellen. Seit einiger Zeit beobachte ich dieses Angebot nun aufmerksam und stelle fest, dass es gut angenommen wird. Die sich direkt gegenüber befindlich Buchhandlich wäre jedenfalls froh über einen so schnell drehenden Warenbestand.

Ab und zu sind ein paar ganz brauchbare Klassiker im Angebot. Durchgestrichene Exlibris deuten darauf hin, dass sich Gymnasiasten hier gern ihrer Sartre- und Camus-Bände entledigen, aber auch zerfledderte Reclam-Hefte stehen hoch im Kurs. Freilich handelt es sich bei den meisten Büchern um Schund, der im Prinzip nicht zu ertragen ist. Aber ein Blick in Buchkaufhäuser und Bestsellerlisten verrät, dass dies nur ein Spiegel der Buchbranche ist.

Fernsprechtischapparat

FeTAp 612-2 aus dem Jahre 1968

Während sie ihm immerzu Fragen stellte, fragte er sie nur selten etwas. Manchmal wollte sie wissen, was ihm an ihr gefalle, und er sagte dann „Mhh“, oder „Ach“, oder gar nichts. Nicht, dass er gar nichts an ihr mochte, er konnte es nur nicht in Worte fassen, wie so vieles andere auch.

Manchmal lag er auf ihrem Bett und beobachtete sie dabei, wie sie, nur mit einem Handtuch bekleidet, kerzengerade an ihrem Schreibtisch saß und telefonierte. Sie benutze dafür einen alten mausgrauen Fernsprechtischapparat, der viel älter war als sie beide. Konzentriert wählte sie in einem Zug die anzurufende Telefonnummer. Jahrzehnte hatte er das surrende Rücklaufgeräusch einer Wählscheibe nicht mehr vernommen. Obwohl es oft noch früh am Morgen war, nannte sie stets mit klarer Stimme ganz deutlich ihren Namen. Während er noch müde blinzelte, trug sie, den schweren Hörer in der Hand, mit niedlicher Geschäftigkeit ihre Anliegen vor. Das gefiel ihm. Unter anderem.

Die Kernfusion im Wasserglas


Foto: niallkennedy

Ich hätte auch gern etwas Kleines. Nein, nicht was Sie jetzt wieder denken mögen. Ich will nichts, was schreit und in die Hose macht. Mir schwebt eher etwas vor, das silbern schimmert und lieblich klingelt. Kürzlich präsentierte mir ein gadgetverliebter Freund voller Stolz sein neues Mobiltelefon – natürlich ein iPhone. Mit leuchtenden Augen und einer übertriebenen Bedeutung in der Stimme erklärte er mir, dass man damit nicht nur telefonieren, unterwegs im Internet surfen oder Musik hören könne. „Dieses edle Designwerkzeug bringt einen wahren Mobilitätsschub. Es vermittelt dir ein völlig neues Lebensgefühl“, sagte er voller Stolz und wirkte dabei etwas wie einer dieser synchronisierten Laienverkäuferdarsteller auf dem TV-Sender QVC. Meinen lakonischen Versuch, seine flammende Anpreisung zu stoppen, indem ich anmerkte, dass es vermutlich nichts auf der Welt gäbe, was dieses Telefon nicht könne – von der Zubereitung eines Gurkensandwiches bis hin zur Kernfusion im Wasserglas -, überhörte er geflissentlich. „Es kann nicht nur fast alles, es sieht dabei auch noch verdammt gut aus“, fuhr er seine Verkaufsschau unaufhaltbar fort. Auch Tom-Tom, der zweijährige Sohn meines Freundes, welcher seinen Doppelnamen einem wegweisenden Elektrogerät verdankt, bemerkte schnell, dass dieses plötzlich aufgetauchte silberne Gerät die Welt veränderte. Nun stand nicht mehr er im Mittelpunkt des Geschehens, sondern dieses neue Telefon.

Das musst Du unbedingt haben, dieses Telefon, dachte ich damals noch, als vor ungefähr einem Jahr ein unrasierter grauhaariger Mann in einem schwarzen Rollkragenpullover das Gerät erstmals einer staunenden Öffentlichkeit präsentierte. Seitdem träumte ich jeden Tag von dem geschmeidigen Utensil mit der berührungsempfindlichen Bedienoberfläche.