Das Antiquariat war seit jeher ein dankbarer Topos in diesem Blog. Nun aber haben seit heute Buchhandlungen, zu denen auch die Antiquariate zählen, in Hamburg seit heute wieder geöffnet. Auf einer meiner bevorzugten Spaziergehrouten, die ich seit dem Aufkommen der Coronakrise für mich entdeckt habe, befindet sich ein Antiquariat, das ich noch nie betreten.
Seit heute, da die Möglichkeit tatsächlich zum ersten Mal besteht, stellt sich mir weniger die Frage, ob Reingehen ja oder nein, sondern vielmehr, wenn Reingehen und nichts Brauchbares finden, trotzdem etwas für den Stapel der auf ewig ungelesenen Bücher kaufen, ja oder nein?
Wie auch immer, solange Letzteres nicht abschließend beantwortet, betrete ich das Antiquariat nicht. Ich bitte in dieser Frage dringend um Hilfe. Danke.
Im Antiquariat brennt noch Licht, obwohl es bereits spät ist. Ein Touristenpaar verirrt sich hinein, ich folge ihnen, der kundige ältere Herr in dem Neuköllner Ladengeschäft empfiehlt ihnen dieses und jenes.
Kürzlich habe ich den Dokumentarfilm Bin im Wald. Kann sein, daß ich mich verspäte. gesehen. In den sehr langen Einstellungen passiert erfreulich wenig: Peter Handke putzt Pilze, fädelt Fäden ein (ungeschickt), sägt einen Ast, serviert Suppe, liest Zeitung, hämmert auf einer mechanischen Schreibmaschine, sitzt vor dem Haus (barfuß), spitzt einen Bleistift, geht spazieren (Paris). Dabei bekommt man einen Einblick in die Gedankenwelt des Schriftstellers („Wie das geht, mein lieber Herr. Was ist Prosa? Weiß man nicht, wie’s geht. Man hat irgendwas in sich.“) Das war schön. Jedenfalls so schön, dass ich wieder Handke lesen möchte.
Im Antiquariat ergreiffe ich einen dünnen Band – Der Hausierer. „Macht einen Euro“, sagt der Antiquar. Ich antwortete, dass das zu wenig sei und handle den Preis auf zwei Euro hoch. Zu Hause angekommen lege ich das Buch auf den Stapel der ungelesenen Bücher (hoch).
Manchmal lese ich Bücher und gelegentlich schreibe ich darüber. Die meisten Bücher, die mich interessieren, erwerbe ich im Buchhandel. Hin und wieder fordere ich bei Verlagen ein Rezensionsexemplar an. Weil Verlage okay finden, dass ich über ihre Bücher schreibe, schicken sie mir dann ein solches zu. Das ist ein feiner Zug, sie müssen das nicht tun. Daniel Kehlmanns neuen Roman F wollte mir der Verlag nicht zur Verfügung stellen. „Wir haben mit Beginn dieses Jahres unsere Vergabepraxis für Rezensionsexemplare umgestellt und haben leider kein Kontingent mehr für die immer größere Bloggergemeinde“, schrieb mir die Pressedame des Verlages. Aber ich könne gern den Newsletter für Blogger abonnieren, der sei auch interessant usw. Das finde ich okay. Schließlich muss ein Verlag Bücher verkaufen und kann nicht jedem, der eine wenig beachtete Internetseite zu seinem Vergnügen und manche gar zum Zwecke der Abstaubung von Produktmustern betreibt, ein Buch seiner Wahl schenken.
Gestern erblickte ich das Druckerzeugnis meines Begehrens in der Schaufensterauslage eines modernen Antiquariats. Es kostete nur die Hälfte des regulären Verkaufspreises. Als ich es aus der Auslage entnehmen wollte, zog der Verkäufer unter Ladentheke ein weiteres Exemplar hervor. Es war noch in Plastikfolie eingeschweißt. „Journalisten versetzen hier ihre Rezensionsexemplare in Massen“, erzählte mir der Verkäufer. „Einer fand den Kehlmann okay, ein anderer scheiße und der hier hat es nicht mal ausgepackt“, so er.
Da es sich um einen offensichtlich druckfrischen Roman handelte, erkundigte ich mich augenzwinkernd nach der gesetzlichen Buchpreisbindung. Mit breitem Grinsen holte der Antiquar ein Teppichmesser hervor, öffnete die Verpackung und blätterte mit seinem Daumen durch die Seiten. „So, jetzt ist es gebraucht“, sagte er und überreichte mir das Buch. Ich werde es lesen. Besprechen werde ich es in meinem Blog nicht.
Dass es um die kulturelle Daseinsvorsorge im kleinstädtischen Raum schlecht bestellt ist, ist ein offenes Geheimnis. Ausgerechnet die Gastwirte der Stadt haben sich zusammengetan, um der feuilletonistischen Ödnis Einhalt zu gebieten. Zwecks Reanimation der längsten Fußgängerzone Norddeutschlands haben sie in einer ausgemusterten Telefonzelle einen öffentlichen Bücherschrank initiiert. Die Stadtverwaltung hat sich freundlicherweise bereiterklärt, die hierfür benötigte Fläche von rund einem Quadratmeter mietfrei zu überlassen. Das ist durchaus lobenswert.
Das Prinzip ist einfach: Nicht mehr benötigte Bücher können in das in der Telefonzelle befindliche Regal gestellt werden. Wer Interesse an einem dieser Bücher hat, darf es kostenlos mitnehmen und wird im Gegenzug gebeten, bei Gelegenheit auch selbst ein Druckerzeugnis zur Verfügung zu stellen. Seit einiger Zeit beobachte ich dieses Angebot nun aufmerksam und stelle fest, dass es gut angenommen wird. Die sich direkt gegenüber befindlich Buchhandlich wäre jedenfalls froh über einen so schnell drehenden Warenbestand.
Ab und zu sind ein paar ganz brauchbare Klassiker im Angebot. Durchgestrichene Exlibris deuten darauf hin, dass sich Gymnasiasten hier gern ihrer Sartre- und Camus-Bände entledigen, aber auch zerfledderte Reclam-Hefte stehen hoch im Kurs. Freilich handelt es sich bei den meisten Büchern um Schund, der im Prinzip nicht zu ertragen ist. Aber ein Blick in Buchkaufhäuser und Bestsellerlisten verrät, dass dies nur ein Spiegel der Buchbranche ist.
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