Öffentlicher Bücherschrank

Dass es um die kulturelle Daseinsvorsorge im kleinstädtischen Raum schlecht bestellt ist, ist ein offenes Geheimnis. Ausgerechnet die Gastwirte der Stadt haben sich zusammengetan, um der feuilletonistischen Ödnis Einhalt zu gebieten. Zwecks Reanimation der längsten Fußgängerzone Norddeutschlands haben sie in einer ausgemusterten Telefonzelle einen öffentlichen Bücherschrank initiiert. Die Stadtverwaltung hat sich freundlicherweise bereiterklärt, die hierfür benötigte Fläche von rund einem Quadratmeter mietfrei zu überlassen. Das ist durchaus lobenswert.

Das Prinzip ist einfach: Nicht mehr benötigte Bücher können in das in der Telefonzelle befindliche Regal gestellt werden. Wer Interesse an einem dieser Bücher hat, darf es kostenlos mitnehmen und wird im Gegenzug gebeten, bei Gelegenheit auch selbst ein Druckerzeugnis zur Verfügung zu stellen. Seit einiger Zeit beobachte ich dieses Angebot nun aufmerksam und stelle fest, dass es gut angenommen wird. Die sich direkt gegenüber befindlich Buchhandlich wäre jedenfalls froh über einen so schnell drehenden Warenbestand.

Ab und zu sind ein paar ganz brauchbare Klassiker im Angebot. Durchgestrichene Exlibris deuten darauf hin, dass sich Gymnasiasten hier gern ihrer Sartre- und Camus-Bände entledigen, aber auch zerfledderte Reclam-Hefte stehen hoch im Kurs. Freilich handelt es sich bei den meisten Büchern um Schund, der im Prinzip nicht zu ertragen ist. Aber ein Blick in Buchkaufhäuser und Bestsellerlisten verrät, dass dies nur ein Spiegel der Buchbranche ist.

Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur

Im zweiten Stock des Treppenhauses existiert seit einiger Zeit eine Tauchbörse für Bücher. Kürzlich war hier ein ringgeheftetes Druckerzeugnis zu finden: „Die 7 Schritte um sicheren Umgang mit der Einhandrute – Seminar- und Arbeitsunterlage“. Zu meinem Erstaunen hat sich nach nur wenigen Tagen ein Interessent hierfür gefunden. Nachdem auch ich mehrfach zaghaft danach geschaut hatte, freute ich mich jedoch für den Mitnehmer: Gut gemacht, da hast du 15,- Euro Schutzgebühr gespart, dachte ich mir. Nach ein paar Tagen jedoch wurde die Anleitung anderer Stelle im Treppenhaus wieder ausgesetzt. Also machte auch ich mich ran, 15 Euro zu sparen und griff entschlossen zu. Mehrere Wochen sind seitdem vergangen und ich schleppe dieses Heftchen seitdem stets mit mir herum, ohne je einmal hineingeschaut zu haben.

Das sollte heute anders werden: schließlich möchte ich nicht von dieser Erde gehen, ohne die Gelegenheit genutzt zu haben, mich über die Funktionsweise eines Rayometers zu informieren. Seitdem bin ich „dem Geheimnis des Lebens und der Steuerung des menschlichen Körpers durch die höhere Radiästhesie auf der Spur“. Ein durchaus spannender Weg, wie ich finde. Aber nicht ganz einfach zu verstehen, denn „die Resonanzdiagnostik nach Paul Schmidt basiert auf der Applikation von definierten Interferenzen feinstofflich-energetischer Wellen zur Prüfung der körpereigenen Regulationsmechanismen“. Klar, dachte ich mir, Chakren sind ein hervorragendes Erklärungsmodell, aber macht es den wirklich einen so großen Unterschied, ob man die Rute nun vertikal oder drehend bewegt? Ist das nicht viel mehr wie beim Joghurt – egal, ob links- oder rechtsdrehend? Scheint es nicht zu sein, denn „schließlich hat alles seine Zwei Seiten: hell/dunkel, Freude/Leid, Yin/Yang“. Wichtig ist natürlich auch, eine „positive Frequenz in die Spenderhand zu geben“, dann klappt es auch mit der Harmonisierung.

Ein bißchen bedaure ich jetzt, dass ich gerade nicht so ein Ding zu Hand habe, sonst könnte ich ganz leicht den Elektrosmog in meinem Schlafzimmer abstellen. Aber vielleicht bestelle ich mir demnächst so eine praktische Einhandrute bei der Firma Rayonex. Bis dahin muss ich mich damit begnügen, des Nachts den WLAN-Repeater neben dem Bett auszuschalten.