Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur

Im zweiten Stock des Treppenhauses existiert seit einiger Zeit eine Tauchbörse für Bücher. Kürzlich war hier ein ringgeheftetes Druckerzeugnis zu finden: „Die 7 Schritte um sicheren Umgang mit der Einhandrute – Seminar- und Arbeitsunterlage“. Zu meinem Erstaunen hat sich nach nur wenigen Tagen ein Interessent hierfür gefunden. Nachdem auch ich mehrfach zaghaft danach geschaut hatte, freute ich mich jedoch für den Mitnehmer: Gut gemacht, da hast du 15,- Euro Schutzgebühr gespart, dachte ich mir. Nach ein paar Tagen jedoch wurde die Anleitung anderer Stelle im Treppenhaus wieder ausgesetzt. Also machte auch ich mich ran, 15 Euro zu sparen und griff entschlossen zu. Mehrere Wochen sind seitdem vergangen und ich schleppe dieses Heftchen seitdem stets mit mir herum, ohne je einmal hineingeschaut zu haben.

Das sollte heute anders werden: schließlich möchte ich nicht von dieser Erde gehen, ohne die Gelegenheit genutzt zu haben, mich über die Funktionsweise eines Rayometers zu informieren. Seitdem bin ich „dem Geheimnis des Lebens und der Steuerung des menschlichen Körpers durch die höhere Radiästhesie auf der Spur“. Ein durchaus spannender Weg, wie ich finde. Aber nicht ganz einfach zu verstehen, denn „die Resonanzdiagnostik nach Paul Schmidt basiert auf der Applikation von definierten Interferenzen feinstofflich-energetischer Wellen zur Prüfung der körpereigenen Regulationsmechanismen“. Klar, dachte ich mir, Chakren sind ein hervorragendes Erklärungsmodell, aber macht es den wirklich einen so großen Unterschied, ob man die Rute nun vertikal oder drehend bewegt? Ist das nicht viel mehr wie beim Joghurt – egal, ob links- oder rechtsdrehend? Scheint es nicht zu sein, denn „schließlich hat alles seine Zwei Seiten: hell/dunkel, Freude/Leid, Yin/Yang“. Wichtig ist natürlich auch, eine „positive Frequenz in die Spenderhand zu geben“, dann klappt es auch mit der Harmonisierung.

Ein bißchen bedaure ich jetzt, dass ich gerade nicht so ein Ding zu Hand habe, sonst könnte ich ganz leicht den Elektrosmog in meinem Schlafzimmer abstellen. Aber vielleicht bestelle ich mir demnächst so eine praktische Einhandrute bei der Firma Rayonex. Bis dahin muss ich mich damit begnügen, des Nachts den WLAN-Repeater neben dem Bett auszuschalten.

Gloria

In jedem guten Café gibt es einen kleinen Tisch, auf dem Zettel mit Veranstaltungshinweisen und dergleichen ausliegen. So auch in meinem Lieblingscafé. Vor einigen Monaten entnahm ich an eben dieser Stelle ein Pappkärtchen, das ich seitdem stets bei mir trage.

Immer, wenn es mir ein wenig schlecht geht, neheme ich die Visitenkarte von Gloria Heilmann von Bergen zur Hand. Nicht dass ich ihre Dienste im Kartenlegen, Handlesen oder Besprechen je in Anspruch genommen hätte, oder gedenke, dies zu tun. Bereits die Betrachtung und das Berühren der Besuchskarte löst in mir ein wohliges Gefühl aus. Allein schon der Name: Gloria Heilmann von Bergen – er lässt Lahme hören, Blinde gehen und Taube sehen. Ja, ich glaube, diese Visitenkarte ist ein kleines Wunder, jedenfalls führt sie mich stets zuverlässig aus den kleinen Verdrießlichkeiten des Daseins. Und an Tagen mittlerer bis größerer Niedergeschlagenheit, reicht mir ein Klick auf ihre Homepage. Lachen ist immer noch die beste Therapie.

Wellen


Photo: lady-kinkling

Wellen. Meine Augen sind geschlossen und ich höre nichts als das Rauschen des Meeres. Dabei bin ich gar nicht am Meer. Ich öffne meine Augen und sehe keinen steinigen Strand, kein offenes Meer und schon gar keine Wellen. Nicht einmal eine winzige Pfütze kann ich entdecken. Ich befinde mich in einem neu eröffneten Café in einem etwas biederen Wohnviertel einer Millionenstadt.

Der sterile Raum ist weiß und rosa getüncht, feng-shui-harmonisiert, die Wellengeräusche stammen von einer silbernen digitalen Scheibe. Die Speisekarte strotzt vor Vitalstoffen. Alles hier ist von Gluten, Weizen und Laktose befreit, vegetarisch, ernährungsphysiologisch wertvoll, reich an Vitaminen, Mineralstoffen, kalorienarm und aus kontrolliert biologischem Anbau. Auch an kaltgepressten Ölen sowie frischen Kräutern mangelt es hier nicht. Selbstverständlich stammen die Frühstückseier ausschließlich von den glücklichsten Hühnern, und wer davon nicht genug bekommen kann, darf sich sein ganz persönliches „Wellfoodcatering“ nach Hause bestellen.

Im Regal, dessen Hölzer sicher aus nachhaltiger Forstwirtschaft stammen, finden sich Druckerzeugnisse wie Natur & Heilen und der monatlich erscheinende simplyfy-your-life-Beratungsbrief. Während ich mich frage, ob diese Schriften korrekt auf Recyclingpapier gedruckt werden, verspüre ich eine mir völlig fremde Lust auf Coca-Cola, McDonald’s und Bild-Zeitung.