Brillen sind an sich eine gute Sache. Helfen sie dem Sehschwachen nicht nur, seine Fehlsichtigkeit zu korrigieren und so seine Lebensqualität nachhaltig zu erhöhen, sondern können zudem auch als modisches Accessoire die Persönlichkeit ihres Trägers vorteilhaft unterstreichen. Dies natürlich nur, so der Träger auch nur den Ansatz einer Persönlichkeit besitzt. Ohne näher in die Psychologie der Wahl der künstlichen Sehhilfen einsteigen zu wollen, sei an dieser Stelle kurz angemerkt, dass es sicher einen Grund hat, dass Guido Westerwelle, seines Zeichens Vorsitzender einer sich selbst als liberal bezeichnenden Partei, seit Jahren ausschließlich konturlosen Modelle bevorzugt.
Das exakte Gegenteil des blau-gelben Parteivorsitzenden ist, möglicherweise nicht unbedingt hinsichtlich der Vorstellungen von einer gelungenen Unternehmenssteuerreform, sondern eher brillenmodisch betrachtet, der selbständige Optikermeister. Dieser hat keine Scheu, stets zu den verspieltesten Korrekturfassungen, die am Markt erhältlich sind, zu greifen. Runde Gläser mit rautenförmigen Rahmen, verzierter Nasensteg, zackige Verzierungen und alle anderen denkbaren geometrischen Formen, wie sie Wassily Kandinsky nicht kühner hätte zu Papier bringen können, gehören wie selbstverständlich zur Grundausstattung. Das alles natürlich in den kreischendsten Farben, die eigentlich nur zum Kleidungsstil eines Wigald Bonings passen würden.
Warum tragen Optiker nur immerzu diese fürchterlichen Optikerbrillen, die vermutlich exklusiv über einen Spezialkatalog für Optikereibedarffetisch zu beziehen sind, weil es aufgrund ihrer exorbitanten Häßlichkeit auf dem freien Markt überhaupt keine Nachfrage nach ihnen gäbe? Ganz harmlos wäre der Erklärungsversuch, anhand ihrer designerischen Extravaganzen auch aus der Ferne für ihre stark kurzsichtige Kundschaft eindeutig als Fachmann identifizierbar zu sein. Würde allerdings dieser Marketingansatz Schule machen, so trügen künftig sämtliche Schuhmachermeister zwei linke Leningrad-Cowboys-Stiefel, alle Metzgermeister pressten nur noch Gammelfleisch in ihre Würste und alle Fahrschulinhaber führen stark alkoholisiert und ohne Sicherheitsgurt durch die Straßen fahren, während sie per Handy in Flensburg den Stand ihres Punktekontos abfrügen. So ginge es also noch weiter bergab mit Deutschlands Mittelstand, den selbst ein Brillenwechsel Guido Westerwelles nicht zu stoppen vermöchte.
Es soll hier aber nicht um große Wirtschaftspolitik gehen, sondern lediglich um ganz bescheidene Grundsatzfragen des Stils. Liebe Optikermeister, mit diesen Gestellen, die Eure Nasen zieren, könntet Ihr vielleicht zum Obermeister Eurer Innung aufsteigen. Aber mit derart unförmigen Gebilden im Gesicht werdet Ihr ganz sicher keinen Cent Umsatzsteigerung generieren, sondern treibt Eure potentiellen Kunden in die Hände der Drogeriemärkte, wo sie zu klappbaren Wegwerfbrillen von der Stange oder Einwegkontaktlinsen greifen. Warum nur tragt Ihr solche geschmacklosen Dinger?
12 Antworten auf „Optikerbrille“
Tolles Bild.
So verallgemeinern würde ich dass ja nicht, aber es gibt schon einige Exemplare darunter, die wohl meinen, mit ihrer Brille ein Balzutensil zu besitzen, was jegliche Blicke auf sich ziehen muß.
mir gefällt dein kreativer ausbruch :)
(leider wirklich erst jetzt gesehen – brauch ich etwa auch ’ne brille??)
Mir fiel gerade noch eine Optikerbrillen-Geschichte ein: Ich kannte in meiner frühen Jugend einen angehenden Optiker, der bald während dieser Zeit mit einer neuen Brille auftauchte. Wir sagten: „Haha, die hat da so einen hornbraunen geschwungenen queren Balken über den Gläsern, was soll das denn sein?“
Er sagte: „Vorsicht! Nicht anfassen! Das ist doch der Gag!“
Zu einem running gag wurde daraufhin, daß immer, wenn uns irgendein zusätzliches Teil seltsam und überflüssig erschien, wir sagten: „Aber nein, das ist der Gag!“
Geile Zeichnung! Da ist noch mehr drin. Ich würd das Skribbel bei der Optiker-Innung oder so einreichen!
Deiner feinen Beobachtung stimme ich zu. Aber meist sind es nur Kerle, die den Schrott auf der Nase tragen. Die Untergebinninen jener Optiker-Meister sehen meist voll schnieke aus um die Augen!
Vielen Dank für die vielen Blumen.
@404: Ich befürchte, dass die dann vor lauter Begeisterung verlangen, dass ich einen Prototypen baue. Das wäre dann doch zu viel des Guten für mich.
Vielleicht ist es den Damen der Zunft erlaubt, Kontaktlinsen zu tragen?
Mein Optiker trägt überhaupt keine Brille ;-)
dafür trage ich eine Lindberg. Der Preis der Lindberg Modelle ist absolut gerechtfertigt. Modisch und bequem zugleich (soll keine Schleichwerbung sein…)
[…] wie man zu einem erfolgreichen Blogeintrag kommt wieder Andere machen sich Gedanken um das Seelenheil von Optikern. Eine sehr merkwürdige Woche ist das. Und hier folgt ganz absichtlich kein Wort über […]
es gibt doch leider auch noch viele andere menschen, die solche gestelle tragen. das sind die leute, die abends die vhs-kurse überbevölkern. ich nenne die seit je her „brillenindividualisten“, weil sie meinen ihre einzigartigkeit und ihre flippige person mit ihrer brille unterstreichen zu müssen, was ja dann immer mit 100prozentiger sicherheit der hinweis ist, das diese menschen weder individuell, noch einzigartig, noch flippig sind.
danke das du mich daran erinnert hast, ich hab lang keine mehr gesehen…:)
[…] mit Klebstoff zu verschandeln. Wer über ausreichend Begabung verfügte, konnte auch seine Buntstifte zum Einsatz bringen. Mir war das alles eine Qual. Oft schleppte ich das Büchlein wochenlang in […]
Dass es auch andere Berufsgruppen gibt, die gern Optikerbrillen tragen, zeigt der gefeuerte Chef der Werbeagentur BBDO: Klaus-Peter Schulz.
Diese Brillen werden tatsächlich gekauft, und das noch von der Hauptzielgruppe derjenigen, die sich statt alle 10 Jahre wegen der Augen jedes Jahr eine neue modische Brille kaufen: Lehrerinnen, Sozialpädagoginnen und Sachbearbeiterinnen in diversen Ämtern, üblicherweise aber nicht zwingend jenseits der Wechseljahre.