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Berufe mit und ohne Zukunft

Heute saß ich bei Cappuccino und Apfelkuchen in meinem Lieblingscafé und plötzlich wurde mir eines der Probleme unserer Zeit bewusst. Es wurde mir weniger vor Augen geführt als es mir von ganz allein zu Ohren kam.

Sicher ist es nicht so gravierend wie die angeblich drohende Klimakatastrophe, welche man sich angesichts herbstlicher Temperaturen fast herbeisehnte. Immer wieder jedoch hört man Mediziner davor warnen: Die Schwerhörigket unter Jugendlichen nimmt dramatisch zu. Naheliegend wäre jetzt der Gedanke, aus dieser Tatsache Profit zu schlagen, und auf Hörgeräteakustiker umzuschulen, was eigentlich eine boomende Zunft sein müsste. Ein Berufswechsel wäre jedoch sinnlos, denn die diskotheken- und konzertgeschädigten Heranwachsenden kompensieren ihren schleichenden Gehörverlust einfach dadurch, indem sie lauter sprechen.

Zwei Fräuleins, beide Anfang zwanzig Jahre jung, sitzen im ansonsten ruhigen Café an einem Ecktisch. Ihre Köpfe sind ca. 30 Zentimeter voneinander entfernt, so dass für eine gepflegte Konversation ein gedämpfter Flüsterton ausreichen müsste, um die anderen Kaffeehausbewohner nicht von ihrer jeweiligen Lektüre abzulenken. Die beiden Damen allerdings schreien sich an. Sie schreien, ich gucke böse, sie schreien weiter, ich lege meine Zeitung aus der Hand und gucke noch böser zu ihnen herüber, und sie schreien daraufhin noch lauter. Je böser ich gucke, umso lauter schreien sie sich an. Ungewollt weiß ich nun eine Vielzahl von Details aus dem Leben der beiden Schreihälsinnen. Angefangen mit Todesfällen in der Familie, sexuellen Vorlieben, Praktika bei der Schutzpolizei, Jurastudien in Frankfurt an der Oder, Werdegängen von Nachbarsjungen bis hin zum Verlauf des Drogenentzugs entfernter Bekannter. Genauso ungewollt weiß ich jedoch nicht, was heute in der Zeitung steht.

Der wahre Beruf mit Zukunft ist wohl Logopäde, denke ich. Irgendwann werden ihre Stimmbänder das nicht mehr mitmachen.

12 Antworten auf „Berufe mit und ohne Zukunft“

Ja, so ist das. Seufz ! Aber irgendwie schaffen solche Schreihälsinnen es immer wieder erstaunlich gut durch das Leben zu bekommen. Im Regionalexpress nach Frankfurt konnte ich aus 10m Entfernung Tipps für ein Auslandssemester in China sammeln. Da sitzt die eine jetzt und schreit gegen 1,3 Mrd. Chinesen an. Vielleicht ist das dort sogar von Vorteil; ich glaube, in der Kultur unterhält man sich auch gerne mal lauter.
Vielleicht beziehen wir alle einen Teil unseres Allgemeinwissens aus zu laut geführten Gesprächen von Mitreisenden.

Du bist zu nett, bosch. Böses Gucken ist viel zu harmlos. Besser: Hingehen und sagen (erst in drohendem Flüstern, dann crescendo): „Unterhalten sie sich bitte in Zimmerlautstärke wie zivilisierte Menschen, meine Damen.“

mich nervt sowas ja ungemein, schon in der U-Bahn oder dem Bus… dann mache ich mir klar dass ich leider Gottes akustisch mit einem autistischen Wahrnehmungsspektrum gesegnet bin und stöpsele mir meist nur die dankenswerterweise dichten Hörer meines Handys ins Ohr. Man sollte aber in der Tat bisweilen einfach mal aktiv an der Unterhaltung teilnehmen. Wie man ebenso höflich wie nachdrücklich jemandem „haltet doch einfach mal 5 Minuten die Fresse oder schraubt die Lautstärke runter“ vermittelt? Ich bin für konstruktive Vorschläge dankbar…

„Entschuldigen Sie die Störung, aber ich habe den letzten Satz nich ganz verstanden. Könnten Sie etwas lauter sprechen?“ (Geht bei Leuten, denen man zutraut, daß sie Ironie verstehen.)
„Es wäre sehr freundlich, wenn Sie ein bißchen leiser sprächen. Ihre sexuellen Vorlieben / das Schicksal ihres Exmannes / (…) sind mir nämlich gleichgültig.“
„Können Sie Gebärdensprache?“ (Antwort „Nein“) „Sollten Sie lernen, es gibt da Volkshochschulkurse.“ (Antwort „Ja“) „Beweisen, bitte.“

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