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In früheren Zeiten hat man seiner Bedeutsamkeit Ausdruck verliehen, indem man seinem Gegenüber eine Visitenkarte überreichte, auf der der eigene Name sowie die Anschrift verzeichnet waren, denn damals gab es weder E-Mail-Adressen noch Homepages. Hanseatische Kaufleute, die von morgens früh bis spät am Abend mit Ärmelschonern an ihren Stehpulten in hochherrschaftlichen Kontorhäusern standen, sorgfältig Buchhalternasen in ihre Handelsbücher zeichneten und redlichen Handel mit Kaffee, Kakao und Gewürzen aus fernen Ländern betrieben, überreichten ihren Geschäftspartnern zur Begrüßung eine solche bedruckte kleine Karte.
Diese wurden stets von einem Meister seines Handwerks in einer traditionellen Druckerey gefertigt. Bleisatz und handgeschöpftes Büttenpapier waren damals noch selbstverständlich, und wer eine solche Karte in Empfang nehmen durfte, war sich der Ehre bewusst, denn schließlich verteilte man diese kleinen Kunstwerke nicht wahllos an jedermann. Handel mit existierenden Waren, Papier und Kaufmannsehre enstammen alle aus einer lang vergangenen Zeit, die heute noch als Old Economy bekannt ist.
Heute hat man ein virtuelles Büro in einem Business Center oder bezeichnet seinen aufgeklappten tragbaren Computer und einen Tisch in einem Café mit W-LAN als sein Büro, wenn man nicht gerade mit seinem geleasten Cabriolet durch Schwabing düst und dabei lautstark, den Motorenlärm übertönend, in sein Taschentelefon brüllt, um gerade die neuesten Projekte anzuschieben. Sobald man einen Parkplatz gefunden hat, wendet man sich seinem Blackberry zu und versucht etwas Wärme in sein hektisches Leben zu bringen, indem man möglichst intensiv das Rädchen dieses Kommunikationswerkzeuges betätigt. Man macht etwas mit Internet oder mit Medien oder am besten gleich mit beidem und verfügt zu jeder Zeit und an jedem Ort der Welt über Business-Pläne, Best-Case-Szenarien, Exit-Strategien, Executive Summaries, SWOT-Analysen, Ruby on Rails, ein rosafarbenes Polohemd mit Kragen zum Hochklappen, ein schlecht sitzendes Jackett, jede Menge Haargel sowie eine Zehnerkarte für das Solarium. Was man darüber hinaus gern hätte, ist ein Gewinn nach Steuern in in siebenstelliger Höhe oder zumindest eine schwarze Null. Das Letzte, was man braucht, sind indes imponierende Visitenkarten.
Minderwertige Besuchskarten, wie sie der Druckautomat erstellt, der neben dem Paßbildautomat am Hauptbahnhof aufgestellt ist, berühren nicht nur den Empfänger, sondern mittlerweile sogar den aufstrebenden Jungunternehmer peinlich. Hochwertige Visitenkarten hingegen sind so teuer wie die Tagesmiete für das Büro: Der Preis eines einzelnen Exemplars entspricht ungefähr dem eines Halbfett-Latte-macchiatos mit Sojamilch und Karamellsirup to stay.
Vor diesem Hintergrund bedient sich der angehende Internetmillionär zunehmend eines Taschenspielertricks, auf den nicht einmal ein fusioniertes Gemeinschaftsunternehmen der Wirtschaftsgrößen Jürgen Schneider, Alexander Falk und Franjo Pooth gekommen wäre: man sammelt auf Konferenzen in einer Geschwindigkeit, als gälte es hierfür einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde zu erlangen, die Businesscards aller Teilnehmer ein, indem man versucht, ihnen möglichst glaubhaft zu versichern, selbst ein High-Potential mit unglaublich vielen extrem guten Kontakten zu den international bedeutendsten CEOs, CFOs und COOs zu haben. Diese guten Kontakte könne man selbstverständlich jederzeit weitervermitteln, da man selbst allerdings so extrem wichtig sei, habe man bereits in der letzten halben Stunde all seine zwanzig Visitenkarten, die man dabei gehabt habe, verteilt. Dies sei natürlich bedauerlich, aber da man ja nun im Besitz der jeweiligen Karte seines Gegenübers sei, könne man dieses ja auch gleich ganz bequem bei XING [Anm. d. Red.: bitte ggf. durch LinkedIn, Facebook oder StudiVZ ersetzen] kontaktieren und zu seinen anderen 1.273 XING-Kontakten, die man bereits auf diesem Wege erfolgreich generiert habe, hinzufügen. Auf dem Wege der Visitenkartenkostenvermeidung, für die man noch auf der Suche nach einem griffigen englischsprachigen Wort ist, um diese tragfähige Konzept auch angemessen an Investoren zu kommunizieren, aber auch als Konzept für andere Industriezweige zu vermarkten, hat das tolle neue Start-up nun schon die Büromiete der ersten drei Jahre komplett eingespart, was den Break-even in greifbare Nähe rücken lässt, solange die Rohstoffpreise für Kaffee stabil bleiben. Viel braucht es eben nicht, um wichtig zu sein – oder sich zumindest dafür zu halten. Dieses Prinzip ist besser bekannt als New Economy.
14 Antworten auf „Viel braucht es nicht, um wichtig zu sein“
Karten hin oder her, nennt man das ganze verrückte Prinzip nicht neudeutsch „Networking“?
„Auf dem Wege der Visitenkartenkostenvermeidung, für die man noch auf der Suche nach einem griffigen englischsprachigen Wort ist, … “
cardcutting oder BEAS BusinessCardExchangeAvoidanceScheme
alternativ wird auch die tätowierung eines großen W auf die stirn empfohlen.
pay once be always Wichtig.
p.s:bist du eigentlich mal aufgestanden und hast laut bingo gerufen ?
Großartig. Kompliment.
Was hab ich nur falsch gemacht, dass ich noch ungefähr einen Stapel á 200 Stk. MEINER Visitenkarten von vor ein paar Jahren hier rumliegen habe? Old Economy-Versager. Owei.
Köstlich!
Ich habe lange keine so treffende und entlarvende Beschreibung der New Economy mehr gelesen. Danke.
LG
/\\artin
Sehr treffende Beschreibung….Das Visitenkartensammeln ist auch bei uns in der Firma bei konferenzen und Messen zu beobachten gewesen, hat sich mittlerweile aber bereits zu einem kleinen Teil auf Xing & Co verschoben,….
mfg marliest
Hmmm…und ich habe mir gerade Visitenkarten bestellt…so ein Mist. Das Geld hätte ich wohl lieber in die Miete meine Home-Office stecken sollen…
Zu besagtem Zweck habe ich mir eine Kartoffelstempel geschnitzt, mit welchem ich bei Bedarf mein XING-Profile auf die Krawatte meiner Geschäftspartner stempeln kann. Einmal kurz in den Wasabi oder die Salsasauce getunkt und ZACK!
tatsächlich überlegte ich bereits ob ich mir visitenkarten zulegen solle, doch steht in nächster zeit ein umzug bevor (im laufe der nächsten 4-8 monate) und von daher halte ich es zu diesem zeitpunkt für sinnfrei.
ich glaube aber, dass die visitenkarte auch bald komplett verschwinden wird, was wiederrum auch schade wäre.
Sie sprechen mir aus der Seele Herr bosch v.a. das Spazierenführen des rosa Polohemdes… wir müssen in der gleichen Stadt leben – ach ja, Sie haben die falschen Blondinen am Arm vergessen, sonntags, beim Spazierenführen des rosa Polohemdes, oder doch der Blondine, ich werd‘ jetzt plötzlich unsicher, zu welchem Zweck dieses Laufstegehabe veranstaltet wird.
g vergessen
Was bin ich froh, dass ich mit diesen Nummern und Typen nichts (mehr) zu tun habe!
@Axel: Ersteres ja, Letzteres nennt man wohl eher Wichtigtuerei. Leute mit > 1000 XING-Kontakten haben in den meisten Fällen vermutlich kein großes Netzwerk, sondern eher ein großes Problem.
@westernworld: Gute Vorschläge, ich bin gespannt, wann dieses Phänomen es in den Duden schafft. Zunächst aber ist die Wikipedia-Hürde zu nehmen.
@deeli: Vielen Dank. 200 Alte Visitenkarten sind sicher ein Problem: zum einen dürften sie veraltet sein und zum anderen eignen sie sich nicht, um im Winter ein wärmendes Feuerchen zu entfachen. Sie verbrennen einfach zu schnell, schade drum.
@Martin: Danke, mir ist diese Sorte Mensch auch nur angesichts der Ballung zweier Veranstaltungen (next08 und StartupWeekend) in einer Woche aufgefallen.
@Bastian: Falls Du nun kein Dach mehr über dem Kopf hast, kannst Du Dir ja ein (Visiten-)Kartenhaus bauen.
@DJ Brutalo: Prima idee – am besten gleich eine coole neue Firma gründen.
@crieger: Am besten den Visitenkartendruck bis ins Rentenalter prokrastinieren – dann kann sich auch die Firmenbezeichnung nicht mehr ändern.
@une imconnue: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Was passt besser zu einem Gründer als ein Perlenohrringmädchen? In Hamburg ist übrigens auch hellblau dauerhaft angesagt – das ist auch nicht besser.
@404: Das freut mich für Dich. Aber irgendwann wird auch Dir bestimmt noch einmal so einer über den Weg laufen – dann denke an meine Worte.
Ich hab gut gelacht – danke für den schönen zeitvertreib =)
[…] ein Graus. Stellte man sich früher einander noch mit Namen vor, tauschte gar manchmal Visitenkarten aus, so reicht heute vielfach offenbar die Frage “Was machst du?” als […]