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Kneipenmalerei

Zloty und ich (v.r.n.l.)

Mit meinem Freund Zloty sitze ich in einer Kneipe und wir sinnieren über Zeiten, die früher besser waren. Damals wurde vornehmlich Bier aus dem Hahn gezapft, während heute schwerpunktmäßig die Portemonnaies der Gäste angezapft werden. Der Wirt darf das, deswegen sind wir schließlich hier. Aber noch viele andere kommen herein und wollen von unser Zahlungskraft profitieren: manche wollen gegen Bezahlung ein Polaroid-Bild als Andenken an eine unvergessliche Nacht machen (geht gar nicht), viele musizieren (geht manchmal), andere wollen Rosen verkaufen (geht überhaupt nicht) und wieder andere wollen uns ein Printerzeugnis verkaufen, das in jedem Plattenladen kostenlos erhältlich ist (das ist überhaupt das Letzte!).

Heute kommt ein Kneipenmaler. Ich erinnere mich an die Geschichte eines Bekannten aus Bonn, der mir einst von seinem örtlichen Kneipenmaler berichtete. Dieser betrat den Raum stets mit denselben Worten: „Alle mal malen!“. Ließ sich tatsächlich jemand malen, so war das Ergebnis oft ernüchternd, denn die gemalten Personen waren auf den Bildern kaum zu unterscheiden. Vermutlich hat er tausende Menschen gezeichnet — und alle sehen auf seinen Bilder aus wie eineiige Tausendlinge. Dennoch — oder besser gesagt, gerade deshalb — brachte er es in einem begrenzten Kreis zu Ruhm und Ehre. Ihm wurde sogar eine Website mit dem Titel alle-mal-malen.de gewidmet, auf der man die Gleichförmigkeit der gemalten Häupter bestaunen kann.

Zloty und ich ringen etwas mit uns, lassen uns dann aber dennoch auf Papier verewigen. „Ihr seht auch wie Künstler aus“, sagt der Maler, der sich Reggie nennt. Wir zögern, ob wir ihn in unseren Künstlerkreis aufnehmen sollen und warten zunächst das Ergebnis seiner Arbeit ab — schließlich hätte es sein können, dass er seine Kneipenmalerlehre in Bonn absolviert hat, was ihn disqualifiziert hätte. „Was macht ihr?“, fragt er. Zloty ist richtiger Musiker, druckst aber etwas herum. „Aha, ein Musiker.“ Vermutlich sieht Zlotys Mütze auf der Zeichnung deshalb etwas aus wie eine Elvistolle. Ansonsten ist das Abbild aber recht gut gelungen, wie ich finde. „Kopf senken, nicht bewegen“, wir halten uns an die Anweisungen. Reggie schlägt sich tagsüber als Komparse durch, abends zieht er durch die Kneipen der Stadt und malt. An guten Wochenenden ließen sich bis zu zehn Personen von ihm zeichnen, berichtet er. Viele seiner Auftraggeber seien spät nachts allerdings so betrunken, dass sie sich nach Vollendung des Werkes weigerten, dieses auch wie vereinbart zu bezahlen. „Und du so?“ „Ich schreibe jeden Monat einen Roman im Stile Thomas Bernhards. Nach Fertigstellung fotografiere ich die Manuskripte und vernichte sie anschließend. Nie hat jemand auch nur eine Zeile von mir gelesen“, antworte ich, als hätte ich auf diese Frage nie etwas anderes geantwortet. Ich bin froh, dass ich dem Maler nichts von meinem Berufsleben als Berater für irgendwas erzählt habe — der Maler sicher auch. Weniger froh bin ich darüber, dass ich auf dem Bild Hängeaugen wie Derrickdarsteller Horst Tappert in der Endphase habe. Aber es war ja schon spät am Abend; möglicherweise war die Wahrnehmung des Malers bereits etwas gestört — oder die Augen hingen wirklich. Wir geben dem Maler trotzdem 10,— Euro. Er freut sich und wir wünschen uns gegenseitig viel Erfolg für unsere weiteren künstlerischen Werdegänge.

Später auf dem Heimweg treffe ich im Nachtbus einen Mann, der sich ebenfalls vom Kneipenmalers auf Papier bannen ließ. Sein Antlitz unterschied sich auf der Zeichnung deutlich von den unsrigen, jedoch  wies die Augenpartie eine unübersehbare Ähnlichkeit zu der meinigen auf. Entsprächen die gezeichneten Augen auch nur annähernd der Realität, müssten wir uns jetzt von Harry im Dienstwagen nachhause chauffieren lassen und säßen nicht in einem Omnibus.

Der Hamburger Maler macht seinen Job doch eigentlich ganz ordentlich, dachte ich. Nur auf den Augenkurs in Bonn hätte er verzichten können.

8 Antworten auf „Kneipenmalerei“

Ihr wart einfach müde, dann sehen Augen so aus.
Sicher hat der Maler von einem Kunden den Tipp bekommen die Ränder mit zu malen, um die Tageszeit auf dem Bild festhalten zu können.

So ein Bild habe ich auch….und ich sehe darauf ein bisschen aus wie ihr Herr Begleiter! Es sind allerdings (wenn ich mich – ohne es zu überprüfen – recht erinnere) eher die Mund und Nasenpartie, die sich gleichen ;). Vielleicht krame ich die Geschichte dazu bei Gelegenheit ‚mal aus; war eigentlich ganz lustig, so im Nachhinein betrachtet.

@Holger: Ja, aber es ist ja eine Auftragsarbeit – und das muss man doch als Künstler auch berücksichtigen.

@Frau H.: Vielleicht hat der Maler seine Ausbildung doch komplett in Bonn absolviert und sich nur etwas weitergebildet. Bin gespannt auf Deine ganze Geschichte.

@Sillium: Super, Danke für die Ergänzung. Ich hab’s nicht mehr komplett zusammenbekommen. Falls mich mein Weg noch einmal nach Bonn führen sollte, werde ich mich da auf jeden Fall mal malen lassen.

@Dr. Love: Ich musste dem Maler nochmal einen Zehner extra zustecken, damit Du etwas besser wegkommst.

Also, der Kneipenmaler muss doch eigentlich nur eines können: genau den Blick für den Grad der Betrunkenheit des jeweilig zu Zeichnenden haben… um das Elend auch so richtig einzufangen… Ein Porträt sollte doch die Seele des Abgebildeten aufzeigen! Zudem muss der Kneipenmaler aber selbst alle Stadien der Trunkenheit kennen, um sich besser in die Lage seiner Modelle einzufinden… Jeder gute Künstler durchblickt das Innenleben seines Interesses…

Ja, als Künstler muss man schon so einiges kennen. Alles in allem finde ich die Malerei ganz gelungen. Mit Trunkenheit kennen sich die Künstler ohnehin meist am besten von allen aus. ;-)

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