Wohne Orte #5

Immer wieder Saal II

Eigentlich habe ich diesen Text nur geschrieben, um einmal den radialen Weichzeichner ausprobieren zu können.

Am liebsten sitze ich am großer Fenster mit Blick auf das Schulterblatt. Rundherum hat sich in den letzten Jahren vieles verändert: früher trafen hier Altona, Eimsbüttel und St. Pauli aufeinander — heute ist das Schanzenviertel ein eigener Stadtteil mit breitem Bürgersteig. Schon als Kind habe ich hier zusammen mit meiner Lieblingstante, die ganz in der Nähe wohnte, beim türkischen Gemüsehändler Fladenbrot gekauft. Meinen Opa begleitete ich bei nahezu jedem Hamburgbesuch zu 1000 Töpfe, einem Gemischtwarenladen, der sich damals noch in den Räumlichkeiten der nun besetzten Roten Flora befand.

In den Räumlichkeiten des Gemüsehändlers befindet sich heute eine schicke Bar, in die abends aufgebrezelte Möchtegerneppendorferinnen einkehren, und 1000 Töpfe hat sich längst aus dem Schanzenviertel zurückgezogen. Auch das Antiquariat mit dem unfreundlichen Besitzer, den altmodischen Herrenfriseur und den unaufgeräumten Taschenladen gibt es hier längst nicht mehr. Kleine Gewerbetreibende können die steigenden Mieten im Viertel nicht mehr bezahlen und ziehen sich zunehmend zurück; internationale agierende Sportartikelhersteller und Burgerbrätereien kommen.

Ich will nicht das Klagelied der Gentrifizierung singen; schließlich ist all das weitestgehend bekannt. Ich bin ich selbst kein Schanzenureinwohner und kann auch gar nicht singen. Das zunehmend ballermannesque Flair an lauen Sommerabenden befremdet jedoch auch mich. Hin und wieder beschleicht mich der Gedanke, dass man diesen ehemals charmanten Stadtteil durchaus sprengen könnte, ohne dass ich danach etwas vermissen würde — wenn man einmal vom Saal II und dem Café unter den Linden absieht.

So sitze ich auch heute, an einem regnerischen Sonntagnachmittag, im Saal II und blicke aus dem Fenster. Ob man am Tresen bestellen müsse, ob die Bedienung an den Tisch komme, fragt mich das Mädchen, das sich zu mir an den Tisch gesetzt hat. „In den letzten 15 Jahren* ist immer jemand an den Tisch gekommen“, antworte ich und merke, dass auch an mir die Zeit nicht spurlos vorübergegangen ist: Mit wem ich hier schon alles gesessen habe, über was ich hier schon alles gesprochen habe, was ich hier schon alles getrunken habe ... Auch wenn sich rundherum alles verändert, in den Saal komme ich immer wieder gern zurück.

___
* (fast) 15 Jahre (kann es auf den Tag genau nicht sagen, aber es muss seit Mitte der 90er gewesen sein), und abends muss man natürlich am Tresen bestellen.

d

Phallussymbol oder einfach nur ein „d“? Was sich der Architekt bei der Planung dieses Schornsteins gedacht hat, werden wir wohl nie erfahren. Und eigentlich ist es auch egal.

Sorgenpüppchen

Normalerweise bin ich eher geschüttelt, wenn ich meinen Briefkasten öffne. Heute jedoch erreichte mich ausnahmsweise einmal weder Post vom Finanzamt, dem Zahnarzt oder der GEZ. Als ich heute einen handbeschrifteten Umschlag öffnete, war ich überaus gerührt, denn in diesem erreichte mich ein Sorgenpüppchen.

Ein Maya-Indianer soll es im fernen Guatemala handwerklich aus Stoff und Draht speziell für mich gefertigt haben. Ganz sicher ist aber, dass Kosmar mir das Püppchen freundlicherweise geschickt hat. Dafür danke ich beiden auf diesem Wege ganz herzlich.

Der Legende nach soll man dem Sorgenpüppchen all seine Sorgen erzählen und es danach unter seinem Kopfkissen deponieren. Erwacht man am folgenden Morgen aus dem Schlaf, so hat die knapp 3 cm kleine Puppe im Idealfall zwischenzeitlich allen Kummer davongetragen.

Ich hoffe, dies funktioniert bei mir ebenso gut wie bei Hauptkommissar Stoever (Manfred Krug) in der Tatortfolge „Lockvögel“ aus dem Jahre 1996. Alle Mitarbeiter des Kommissariats wurden mit Sorgenpüppchen ausgestattet und die Tat wurde selbstverständlich aufgeklärt. Ich wünsche dem Püppchen auch in meinem Falle viel Erfolg. Es gibt viel zu tun.