Ich würde das Buch gern mögen, untitled von Joachim Bessing, weil ich Pop, auch als Literatur, eigentlich ja mag. Rainald Goetz hat es in seiner unnachahmlichen Art in der Zeit gelobt, so sehr, dass ich Bessing, von dem ich noch nie auch nur eine einzige gute Zeile gelesen habe, eine Chance gebe.
„Joachim Bessing hat mit untitled eine glühende Streitschrift für die Nervosität geschrieben, nicht nur für die Liebe, das auch, ein hysterisches Pamphlet für den Ernst, so durchgeknallt und eigenartig, dass ich täglich nachgucke auf Google News: wo bleiben die Hymnen, die großen Rezensionen?“, so Goetz, der naturgemäß auf Seite 233 auch zitiert wird („Oder wie Rainald Goetz, der einst in Rave geschrieben hat: Es wird ja viel zu wenig gekifft, auf Erden.“). Aber woher sollen die guten Rezensionen auch kommen, möchte man Goetz entgegenrufen!
Popliteratur ist tot
„I leaned in und sagte: Ich will jetzt sofort mit dir aufs Klo und dort weiterknutschen. Und sie sagte: Küssenderweise? Das will ich auch. Nie zuvor habe ich etwas derart Schönes, rein Gutes und meine Erwartung von Sexualität auf derart überwältigende Weise Erfüllendes erlebt wie das Tauschen von Küssen mit ihr.“
Und so geht das immer weiter, über dreihundert Seiten in Bleisatz gegossene naive Malerei. Man weiß bereits nach den ersten zwanzig Seiten nicht mehr, wie man diesen Unfug überhaupt aushalten soll. Es bestätigt sich das äußerst ungute Gefühl, dass die Popliteratur am 23. April 1975 überfahren wurde, und das nur, weil Rolf Dieter Brinkmann zu dusselig war, beim Überqueren der Straße auf den Londoner Linksverkehr zu achten.
Wenig Handlung
Es muss ja gar nicht viel passieren in einem Buch. Warum sollte eine unerfüllte Liebe, die leicht ein ganzes Menschenleben auszufüllen mag, nicht auch Stoff genug für einen Roman bieten? Man werfe Hermès, einen iPod, Martin Margiela, Nachtclubs, Werbeagenturen und Ketamin, ein paar Englische Versatzstücke sowie einige Liedzitate, ja, auch Tocotronic, in einen Topf und rührt etwas darin herum. – Fertig ist die Pop-Literatur. „Eine Art drohender Donnerkeil der Ausweglosigkeit schwebt über allem wie der überdimensionale Schatten eines Monsters in Horrorfilmen“ usw., versucht Helene Hegeman das redundant vor sich hinstotternde Geschreibsel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung schönzureden. Liebesbotschaften über Liebesbotschaften sendet der Protagonist in Form von Einsen und Nullen. Und trotzdem kommt er seiner Angebeteten nicht nahe, das aber eingehüllt in allerlei Modejournalistenquatsch. London, Sidney, Paris, Berlin und immer hin und her.
Keine Form
Es muss ja gar nicht jeder Satz in einem so raffiniert durchkomponiert sein wie eine vierstimmige Bach’sche Fuge. Aber seit wann gibt es denn im Hause Kiepenheuer & Witsch kein Lektorat mehr, das sagt, wenn etwas hakt? (Oder wird da viel zu viel gekifft, in Verlagen?)
„Das iPhone vibriert in meiner rechten Hosentasche, während ich mich zwischen Pferdetransporten und Freunden des Springreitens hindurch auf den Presseeingang des Grand Palais zubewege. Der Schirm ist mir bei der Bedienung des Apparates hinderlich, ich plaziere ihn auf einem Papierkorb und gehe einfach weiter. Erin ist dran und sie zitiert scheinbar zusammenhangslos aus einem Band expressionistischer Lyrik, doch es stellt sich heraus, dass sie lediglich vorliest, was ich ich in der vergangenen Nacht per SMS zukommen ließ“, so Bessing. So etwas kann doch niemand lesen wollen.
Aber viel Kommunikation
Überhaupt spielt die Kommunikation mit dem iPhone in diesem Buch eine sehr große Rolle. Wenn es nicht so schlecht wäre, könnte man es für Apple-Schleichwerbung halten. „Die beiden ballern sich aus absurdesten Entfernungen mit SMS, Youtube-Videos, Musik und E-Mails zu. Und das wird nicht niedergeschrieben als medientheoretisch angehauchte Beispielabhandlung dessen, was moderne Kommunikation mit uns macht. Sondern als die gleiche Intensität, mit der Romeo einst vor Julias Balkon stand“, haucht Hegemann weiter sanft in der FAS.
Für die Generation der über Vierzigjährigen, zu der Autor Bessing zählt, mag der Einsatz von Smartphones zum Austausch von Säuselbotschaften auf gefühlt jeder zweiten Seite des Buches noch so besonders sein, wie uns heute im Rückblick auf Goethes Zeiten das Eintreffen der Postkutsche erscheint. Es ist ja alles so total intensiv, der Austausch mittels digitaler Medien, alles so modern und doch romantisch usw. Auch wenn sich Rezensenten auf bekannten Bewertungsplattformen um Vergleiche wie „Digitaler Romeo“ oder „Werther 2.0“ bemühen, dürfte Bessings nervig ausufernde Beschreibungen kommunikativer Selbstverständlichkeiten des 21. Jahrhunderts bei jedem Digital Native lediglich eine gelangweilte Suche nach dem Schulterzuck-Emoticon hervorrufen.
Liebe tut weh, dieses Buch auch
„[…] Was bestimmte Kritiker, die ihr Hauptaugenmerk tatsächlich nur darauf legen, dieses Buch mit dem Wort Popliteratur zu neutralisieren oder damit, dass an ein paar Stellen das Wort iPhone vorkommt, scheinbar nicht wissen. Man muss diesen Text als ernsthafte Lebensrealität lesen und aufnehmen, danach kann man immer noch aufstehen, nach Hause gehen, kognitive Neurowissenschaften studieren und so tun, als dürfe Liebe nicht weh tun“, so Helene Hegemann weiter.
Liebe tut weh. Was aber noch mehr weh tut, ist die Lektüre dieses Buches: Keine gute Geschichte zu erzählen und dieses in einer stolpernden Sprache, ist keine gute Kombination. „Die Freude am schlechten Kunstwerk kann man sich nur in der Lyrik erlauben“, sagte einst Robert Gernhardt in seinen Essener Poetik-Vorlesungen. Dieser 300-seitige Roman verschwendet Lebenszeit. „Twittert und sendet es aus, hinaus in die Welt: Joachim Bessing, untitled, Roman!“, endet Goetz seine Rezension in der Zeit. Ich möchte meinem Tweet hinzufügen: Unbegabtenpreis für Literatur 2013.
4 Antworten auf „Irgendwas mit Smartphone-Romantik“
Ja ach, die Popliteratur. Ich weiß auch nicht. Ich glaube fast … dafür muss man jung sein. Sowohl als Autor als auch als Leser. Diese bedingungslose Affirmation, dieses völlig unüberlegt „He super!“, das im Herzen des Pop wohnt, das geht halt irgendwann flöten, wenn man zuviel gesehen, gehört, gelesen und gedacht hat. Vermute ich. Zumindest in der Literatur. Über Star Wars kann ich mich ja immer noch so popmäßig freuen. Ich glaube, Poplitertur war immer irgendwie die Sehnsucht der Jungen, in ihrer Zeit der Jugend schon eine eigene Stimme zu haben, die keinen Konventionen unterworfen ist, als jenen die sie sich in den wenigen Jahren, die sie schon hatte selbst ausgedacht haben.
Dass Rainald Goetz in der Zwischenzeit in Der Zeit schreibt, sagt eigentlich alles. Der erste Absatz hätte eigentlich gereicht. :) Über den „dürfte […] bei jedem Digital Native lediglich eine gelangweilte Suche nach dem Schulterzuck-Emoticon hervorrufen.“ hab ich trotzdem sehr gelacht. Und von daher hat sich das gelohnt.
Danke für die Warnung.
Aber für diese Rezension hat sich der Aufwand doch gelohnt? Und schön, dass du den Goetz zitiert hast (also den Goetz, nicht etwa „den Goetz“). Da hat man doch gleich wieder Lust mal so richtig einen durchzuziehen.
Mal ehrlich. Von der Hegemann gelobt werden, ist aber auch eine Strafe.