Ingeborg sitzt auf ihrer Wolke und raucht eine Zigarette. Gestern hat sie den halben Tag geschlafen und den Rest des Tages mit Paul Whatsapp-Nachrichten geschrieben. Heute aber schaut sie im österreichischen Staatsfernsehen, wie in Berlin und nicht in Berlin lebende Schriftsteller um den nach ihr benannten Preis wettlesen. Nebenbei verfolgt sie die Tweets des den Publikumspreis stiftenden Kreditinstituts.
Manntexte, Rehtexte, Kirschkerntexte, Kirschkerntexte. Immer wieder Kirschkerntexte. Zwischen den Manifesten ausufernde Jury-Diskussionen über Interpunktion und filmische Autorenporträts mit japanischen Mönchsflöten im österreichischen Alpenidyll. Mehr Semikola wagen! Im nächsten Jahr, im nächsten Jahr. Vorfreude auf das jüngste Gericht. Ingeborg hofft, dass sich mal wieder wer gescheit die Stirn mit einer Rasierklinge aufritzt, doch nichts dergleichen geschieht. Aber vielleicht bekennt sich Ronja von Rönne heute Nachmittag zum Feminismus, zum Feminismus.
„Der Text ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil der Problems.“ Warum nicht einfach die Autorenbeiträge kürzer fassen und mehr Raum für die Juroren schaffen? Das wäre auch gut für die Einschaltquoten, denkt Ingeborg, während sie ein letztes Mal tief an ihrer Zigarette zieht und dabei ganz sanft einschläft.
Eine Antwort auf „Tage der deutschsprachigen Literatur 2015, Tag 2 vormittags“
Schöner Text. Aber unheimliches Ende. Immer gefährlich, wenn Ingeborg mit einer Zigarette einschläft. Und was haben wir heute davon? Der Himmel brennt.