Kategorien
Feuilleton

Das Herz ist ein dunkler Wald – die Wahrheit über das Filmgeschäft

Die ganz großen Karrieren im Showbusiness beginnen immer unspektakulär. Kein Weltstar ist je aus einer Castingshow hervorgegangen, sie wurden alle entdeckt. Auch meine Filmkarriere begann im April 2006 in einer Kneipe. Eine junge Dame setzte sich an meinen Tisch, was bei mir schon mal vorkommt. Sie frug mich, ob ich bei einer Filmproduktion mitwirken wolle, was bei mir in letzter Zeit eher die Ausnahme war. „Nicolette Krebitz führt Regie, Tom Tykwer ist Produzent. Nina Hoss spielt mit, Otto Sander und Monica Bleibtreu ebenfalls. Bist Du dabei?“ Ich überlegte kurz, und nachdem mir auch nach angestrengtem Nachdenken die Telefonnummer meines Agenten nicht einfallen wollte, sagte ich kurzerhand zu. Die junge Dame notierte meine Telefonnummer, machte ein unvorteilhaftes Digitalfoto von mir und verschwand. Wenige Stunden später übermittelte man mir bereits telefonisch Drehort und -zeit und forderte mich auf, meinen Sozialversicherungsausweis mitzubringen.

Nina Hoss in
Nina Hoss während der Dreharbeiten

Was am Set, wie wir Leute vom Film zu sagen pflegen, folgte, war das, was man als Tortur bezeichnen würde. „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“, sagte einst Karl Valentin. Das Drehen von Kinofilmen muss ihm verborgen geblieben sein, sonst hätte er uns mit auf den Weg gegeben, dass Filmkunst nicht nur Arbeit macht, sondern auch reine Qualen bereiten kann. Mein erster und letzter Drehtag brachte mir folgende Erkenntnisse:

  • Im April kann es bitterkalt sein.
  • Die meiste Zeit während eines Filmdrehs entfällt darauf, zu warten, dass etwas passiert.
  • Es gibt Menschen, die sich bei auf die Vermittlung von Komparsen und Kleindarstellern spezialisierten Agenturen um eine solche Rolle bewerben. Wählt man sie dann aus, um für den Bruchteil einer Sekunde durch ein Bild zu laufen oder maskiert auf einer Party zu erscheinen, so fahren sie dafür quer durch die Republik. Manche von ihnen sind Hartz-IV-Empfänger und nehmen sogar horrende Fahrtkosten, die ihre Komparsengage leicht um ein Vielfaches übersteigen können, in Kauf, nur, um einmal bei einem Filmdreh dabei sein zu können.
  • Die meiste Zeit passiert gar nichts.
  • Es gibt einen Cateringservice, der sich tatsächlich Movie Mampf nennt.
  • Für Komparsen entfallen 9,5 von 10 Stunden am Set aufs Warten.
  • Es gibt Menschen, die mit über 40 Jahren noch davon träumen, „ins Schauspielgeschäft reinzukommen“. Zu diesem Zweck bewerben sie sich im Komparsen- und Kleindarstelleragenturen.


Nicolette Krebitz (Regie)

  • Der Movie-Mampf-Stand ist normalweise nicht für Kleindarsteller freigegeben. Drohen diese allerdings angesichts der Kombination aus Wartezeit und Eiseskälte zusammenzubrechen, wird eine Ausnahme gemacht. Die Regisseurin kann dies dann ohne Rückfrage beim Produzenten entscheiden.
  • Regieassistenten mit langen Haaren und Pilotensonnenbrillen bekommen offensichtlich Komplexe davon, dass sie den ganzen Tag Straßen für Dreharbeiten absperren müssen. Diese kompensieren sie damit, dass sie hin und wieder die anwesenden Komparsen grundlos anzuschreien.
  • Hauptdarstellerinnen blicken herrlich indigniert, wenn man sich als Komparse erlaubt, ihnen beim Movie Mampf den letzten Salat vor der Nase wegzuschnappen.
  • Wartezeiten können ganz schön lang sein, besonders bei Kälte.
  • Die Tagesgage in Höhe von 50,- EUR wird von der Produktion einbehalten, wenn jemand seinen Sozialversicherungsausweis vergisst.
  • Die Gnatterigkeit der Kamerafrau nimmt bei sich verschlechternden Lichtverhältnissen überproportional zu.
  • Meine Bestimmung ist es, gelangweilt aus dem Busfenster zu schauen (so meine Regieanweisung).
  • Ein Drehtag dauert etwa zehn Stunden. Ein Film dauert etwa 90 Minuten. Eine Produktion hat 30 Drehtage. Für drei Minuten Film muss man also 10 Stunden drehen – und dann kommt noch die Postproduktion.

Ich bin in dem Film nur etwa drei Sekunden zu sehen. Aber ich kann sagen: ich war dabei.

——————————————————————–

Weiterführende Links:

20 Antworten auf „Das Herz ist ein dunkler Wald – die Wahrheit über das Filmgeschäft“

Mann, mann, mann…. Du erlebst Sachen. In welcher Insiderbar setzen sich nette Filmagentinnen an Deinen Tisch? Ah… ich seh’s schon: „Bar II“ – Interessant, werde ich mir gleich notieren.

Ansonsten sehr informativ und schon beinahe investigatv Deine Enthüllungen. Aber hast Du nicht zu erwähnen vergessen, daß man beim Film die meiste Zeit nur auf seinen Einsatz wartet? Oder hab ich’s überlesen? ;-)

Dann macht das ja nix, dass ich regelmäßig diese affektierten Bubis zur Sau mache, weil sie mit ihrem 200ten Dreh von „Knuffi der Bulle und sein suesses Revier“ meinen schönen Stadtteil belagern und sich wundern, dass ich auf MEINER Straße gehen oder fahren möchte.

Mir fehlt ein bisschen der Hinweis darauf, dass Dreharbeiten ziemlich langweilig sind. ;-)

Aber sonst gefällt mir dein Text. Hält mich wohl davon ab, je einem Komparsen-Angebot zuzusagen.

Ha! Gut, dass ich nie als Komparse gearbeitet habe/arbeite! Aber selbst als Hauptdarsteller musst du die meiste Zeit warten. Da kann man aber auch ganz tolle Sachen machen: Endlich mal die Bücher lesen, die zu Hause rumstehen. Sich vor anderen ungefragt lächerlich machen. Die wichtigen und sooo gestresste Filmmenschen aus Überzeugung provozieren. Schön, so ein Dreh. Und. Warten ist immer noch besser, als Dosen sortieren oder Kugelschrauber zusammenbasteln, finde ICH.

Aber: Toller Film, echt.

Naja … Film hat ja nach wie vor einen glamour Faktor. Sonst würde sich niemand für ein paar Euro stundenlang in die Kälte stellen um ab und zu mal schräg in die Kamera zu schauen …. aber vielleicht wirst du ja entdeckt für verbotene Liebe Teil 9 ;-)

Habe wirklich sehr geschmunzelt, denn genau so ist es. Aber auch als Hauptdarsteller besteht die Hauptaufgabe aus Warten und im Maskenraum sitzen. Wenn dann, nachdem gesagt wurde, man hätte noch eine Stunde Zeit, der Regieassistent nach 3 Minuten hineingestürmt kommt, es ginge jetzt doch los, darf man dann von Null auf Hundert agieren – um dann wieder für die nächsten 2 Stunden im Makenraum in den Tiefschlaf zu verfallen.

Besonders witzig finde ich, die Komparsen zu beobachten: Alle können besser schauspielern, sind eloquenter und waaaaahnsinnig begabt. Und wenn dann noch einer von ihnen eine Sprechrolle vorweisen kann (ein Satz: Tina, was machst Du denn hier?),sieht man in neidische Augen der Restkomparsen.

Ich finde all das sind doch 50 Euro (vormals 50 DM) wert, oder?

@Marc: Falls Du mal in Hamburg bist: Saal II, Saal und nicht Bar.

@Erik: Du Armer. Musstest Du schon einmal als Pilz herhalten? Dann hattest Du wenigstens keine unangenehme Wartezeit.

@Paddy: Ja, ist schon langweilig, aber einmal kann man sich das ansehen.

@Holger: Wusste ja auch nicht, dass das so eine Volltagesbeschäftigung wird. Aber ich habe es natürlich für die Kunst gemacht – und nicht fürs Geld. Das hätte sich nicht gelohnt.

@Stef: Ja, aber als Hauptdarsteller wirst Du die ganze Zeit von irgendwelchen Leuten betüddelt, geschminkt, becatert und was weiß ich. Da wird einem sicher nicht so schnell langweilig. Nina Hoss musste sich übrigens ständig dicke Jacken an- und ausziehen. Erwähnte ich, dass es am Drehtag bitterkalt war?

@Stefan: Den Glamour gab es vermutlich nur auf der Premierenparty, zu der ich übrigens nicht geladen war. So ein Dreh ist weit von dem entfernt, was man als glamourös bezeichnen würde. VL ist immer noch besser als Pornonebendarsteller – ich würde allerdings beide Rollen ablehnen.

@rob: Na ja, die Komparsen, mit denen ich am Start war, konnten auch nichts. Auch besagter Kleindarsteller, welcher von „seiner Agentur“ vermittelt wurde. Es war schon okay, sich soetwas mal einen Tag lang anzusehen. Die Gage habe ich im Anschluss an meine schauspielerische Tätigkeit sofort verheizt, denn es war bitterkalt.

@creezy: Wichtig zu sein ist beim Film überhaupt das allerwichtigste. Angenehem unprätentiös waren allerdings die wirklich wichtigen Leute. Nina Hoss und Nicolette Krebitz sind mir, im Gegensatz zu mach einem kaffeekochenenden und straßenabsperrenden Assistenten, nicht negativ aufgefallen.

@bosch: Von (betontem) Glamour war auf der Hamburger Premierenfeier wenig zu sehen. Waren überwiegend nette, angenehm normale Leute im Zeise. Es wäre sicher auch Platz für Dich gewesen. Hättest Dir z.B. mit mir in Reihe 3 den Hals verbiegen können, um was vom Film zu sehen ;-)
In Berlin waren es dann vor allem die Horden räudiger Boulevardfotografen, die jeglichen Versuch von Glamour ad absurdum geführt haben.

@Marcel: Dann habe ich ja nichts verpasst. Ich habe den Film ganz regulär im Abaton gesehen. Irgendwer muss ja schließlich auch Eintritt bezahlen und so diese doch relativ kleine Produktion unterstützen.

Mann, da lerne ich dich auf dem Wordcamp kennen und du erzählt mir nicht, dass du ein Komparsen-Star bist? Ich habe den Film erst gesehen. Da wird mir einiges klar, woher ich dein Gesicht kenne ;-)

Bye,
Nils

@Nils: Ja, ich werde jetzt häufiger auf meinen großen Auftritt angesprochen. Das sind drei Sekunden, die man nicht mehr vergisst. Den Druck der Autogrammkarten habe ich auch bereits in Auftrag gegeben …

Haha, liest sich sehr schön und es ist auch sehr viel wahres dran. Will sagen, keinesfalls übertrieben.
Auf die groben Untertreibungen muss ich aber dennoch hinweisen (und ich hab reichlich Filmerfahrung, wenn auch hinter der Kamera, das hat seine Vor- und seine Nachteile)
Würde man mir eine Produltion abieten, die 30 Drehtage (an einem Fernsehfilm) herumdreht, und jeder Drehtag würde 10 Stunden dauern. ich glaube ich würde zusagen.
Wenn dann noch Movei Mapf das Catering übernimmt, bitte sehr
Die Realitiät sieht allerdings zwischen 19 und max. 25 Drehtagen für einen Fernsehfilm vor, ein Drehtag, bzw. Arbeitstag hat gerne mal 16 Stunden, manchmal auch nur 14.
Dann geht man noch ins Kino vor lauter Freizeit.
Jeden Abend, oder wahlweise morgens, geht die Sonne auf und unter wie sie will. Das kommt stets überraschend für die Kameraleute, so dass sie darauf oftmals nur mit geschrienen Kommandos zu reagieren wissen.
Hektischer Aktivsimus setzt im ganzen Team ein, außer natürlich bei denen, auf die man gerade wartet, finden zumindest die verantwortlichen Setaufnahmeleiter und üben nun ja… Druck aus.
3 Minuten an einem Tag zu drehen bedeutet entweder dass alles so genommen wird, wie es gerade eben passiert, oder aber, bei wünschenswertem Qualitätsanspruch einen Mordsstress für das ganze Team.
Außer vielleicht man dreht nur einen einzigen Dialog am Tisch mit 2 Personen im Studio. Und nur einer spricht.

Tja, also, da hast du aber jetzt voll ins Schwarze bei mir getroffen mit deinem Post.
Überlege dennoch einen Film für Herbst zuzusagen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert