… oder: was macht die heilige Inquisition in einem Plattenladen?
Diese Szene spielt nicht in einem dieser neumodischen Plattenläden, die einen hellen Holzfußboden haben und in denen auch gebrauchte, aber gut erhaltene und widmungsfreie Bücher feilgeboten sowie Espressovariationen in großen Gläsern gereicht werden und in denen die Verkäufer immer so freundlich und frisch gebadet sind, dass der Endverbraucher generös darüber hinwegsieht, wenn gebrauchte Silberlinge gelegentlich – vermeintlich versehentlich – mit dem Neupreis ausgezeichnet werden.
Nein, Gregor sitzt, nachdem er sein Germanistik- und Pädagogikstudium im zweiten Semester abgebrochen hat, auch im fortgeschrittenen Alter von 42 Jahren noch immer Tag für Tag als Angestellter in seiner Original-Siebzigerjahre-Trainingsjacke in einem Geschäft für überwiegend aus der zweiten Hand stammende Tonträger, welches sich bereits in der ersten Hälfte der Achtzigerjahre etabliert hat. Unentwegt raucht er selbstgedrehte Zigaretten, während er gelangweilt in der neuesten Ausgabe der Spex, dem Magazin für Popkultur, blättert und nur widerwillig Fragen nach dem Erscheinen des nächsten Kettcar-Albums beantwortet. In diesen Momenten verweist er stets darauf, dass Kettcar wie Pur für junge Leute klängen und dass eben diese jungen Leute wieder mehr Joy Division auf Vinyl kaufen sollten, womit er zweifelsohne einen eindrucksvollen musikalischen Geschmack, für jemanden, der von seiner New-Wave-Coverband als Schlagzeuger wegen seines nicht vorhanden Rhythmusgefühls im hohen Bogen hinausgeworfen wurde, an den Tag legt. Gregor leidet heute, zwanzig Jahre danach, noch immer sehr darunter. Trost spendet ihm in diesen traurigen Momenten lediglich Iggy Pop, sein treuer Mischlingsrüde, welchen Gregor bei Bedarf gern vor die Tür des Ladens lässt, damit beide unanhängig voneinander ihren jeweiligen Geschäften ungestört nachgehen können. Der Köter ist natürlich strubbelig, riecht sehr streng und ist der beste Beweis für die Theorie, dass sich Herr und Hund im Laufe ihres Zusammenlebens immer ähnlicher werden.
Gregors erste Platte war Pink Floyds „The Dark Side of the Moon“, die er sich bereits im zarten alter von elf Jahren von seinem gesparten Taschengeld leistete. Noch heute denkt er an den Song „Money“, wenn die Ladenkasse klingelt. Einen besseren Verkäufer hat dies allerdings nicht aus ihm gemacht. Nur ungern verkauft er CDs – noch lieber kauft er diese allerdings gar nicht erst an.
Wer denkt, dass das in großen Lettern an der Eingangstür geschriebene „An- und Verkauf von Schallplatten und CDs“ bedeutet, dass diese hier auch wirklich angekauft würden, wird hier eines Besseren belehrt. Genauso leicht könnte man glauben, die heilige Inquisition sei seit fünfhundert Jahren abgeschafft. Sehr, sehr selten werden dem heiligen Gregor, dem gestrengen Kämpfer gegen musikalische Ketzerei, tatsächlich bestens ins Sortiment passende CDs zum Kauf angeboten. Sodann betrachtet er den glänzenden Silberling mit so stechendem Blick, bis jener von dieser Behandlung einen irreversiblen Kratzer davonträgt und aus diesem Grunde leider nicht angekauft werden kann. Offensichtlich triumphierend erlässt er unverzüglich den Bescheid: „Nee, lass mal. Ich kauf’ hier nur einwandfreie Ware.“, um dann – nicht ohne Häme – hinzuzufügen: „An deiner Stelle würd ich’s mal beim Darzoz um die Ecke probieren. Die nehmen da ja alles.“
In diesen Momenten ist Gregor nicht nur froh, sondern schon fast glücklich darüber, dass er sein Studium so frühzeitig geschmissen hat und für einen kurzen Moment pfeift er sogar auf die New-Wave-Coverband-Tage vergangener Zeiten. Diese Machtfülle hätte er weder als Deutschlehrer über Schüler der Unterstufe, welche ihre Hausaufgaben nicht ordnungsgemäß erledigten, noch als Schlagwerker einer regional weltberühmten Musikertruppe über das ihm zu Füßen liegende Publikum gehabt. Gregors wahre Bestimmung ist es, Platten nicht anzukaufen, denn Papst kann er nicht mehr werden. Schließlich ist er Protestant – und zudem bereits vor vielen Jahren aus der Kirche ausgetreten.
Im Hintergrund läuft gerade ABBA: “So I say thank you for the music,/the songs I’m singing/Thanks for all the joy they’re bringing …�?
Mein gutgemeinter Ratschlag: Wenn Du Dich so richtig quälen und erniedrigen lassen möchtest, geh’ nicht zu Gregor in den Plattenladen, sondern verkaufe Deine überzähligen Tonträger bei ebay und lass Dich von dem Erlös von der Domina Deines Vertrauens mal wieder so richtig auspeitschen. Viel Spaß dabei …
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Nachtrag: Auch nicht leicht beim Plattenkauf hat es Herr Paulsen.
5 Antworten auf „Low Fidelity und die ganz dunkle Seite des Mondes“
[…] etwas älterer Beitrag über einen Plattenladen bei Herrn bosch ruft mir eine Situation ins Gedächtnis, die sich […]
[…] “Low Fidelity …” – meine Erfahrung mit einem anderen Plattenhändler […]
[…] (geht überhaupt nicht) und wieder andere wollen uns ein Printerzeugnis verkaufen, das in jedem Plattenladen kostenlos erhältlich ist (das ist überhaupt das […]
[…] (um ihn dann für 7-15 Euro das Stück weiterzuverkaufen). Bosch hat diese Spezies Mensch mal sehr schön beschrieben. Oder man riskiert es, die Scheiben bei einer Internetauktionsplattform anzubieten und sich eine […]
[…] und der Verkäufer Elvis. Er machte einen zumeist zugedröhnten Eindruck und wie alle Plattenhändler schien er nicht seinen Job, wohl aber seine Kunden zu hassen. Bestellungen nahm er nur widerwillig […]