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Editorial

Plan

Ja, mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht
und mach dann noch ’nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.

(Bertolt Brecht, Dreigroschenoper)

Soll: Kindergarten, Schule, Freunde, Tanzkurs, erste Liebe, Ausbildung oder Studium, Zivildienst, Wohnung, Job, Versicherung, Auto, Urlaub, Heirat, Karriere, Altersvorsorge, Kinder, Eigentumswohnung, guter Wein, erfüllender Sex, zweiter Frühling, Opernball, körperliche Fitness durch sportliche Aktivität, Enkelkinder, Rente, Selbstverwirklichung, Seelenheil dank Religion, Bestattung mit Dixieland-Band, gut gepflegtes Familiengrab.

Ist: Praktika, Wohngemeinschaft, prekäre Arbeitsverhältnisse, Psychotherapie, flüchtige Affären, öffentlicher Nahverkehr, billiger Fusel, Nebenjobs, Einsamkeit, Morrissey hören, Zweifel, Midlife Crisis, Thomas Bernhard lesen, Hoffen auf bedingungsloses Grundeinkommen und freien DSL-Anschluss im Alter, Romanfragment verbrennen, Essen auf Rädern, Bestattung mit Musik vom Band und keiner kommt (ohne Butterkuchen), anonyme Urnenbeisetzung.

Wir schmieden Pläne, den Ist-Zustand an den Soll-Zustand anzupassen (zumindest in Teilbereichen). Doch der gesellschaftlich normierte Soll-Zustand lässt uns naturgemäß genauso erschaudern wie der weitgehend selbstverursachte Ist-Zustand. Der absurde Mensch lebt trotzdem weiter. Manchmal kann es sogar ganz schön sein – leider viel zu selten.

17 Antworten auf „Plan“

@franke_v: „Für Camus befindet sich der Mensch in einer absurden Situation. Das Absurde besteht in dem Spannungsverhältnis zwischen der Sinnwidrigkeit der Welt einerseits und der Sehnsucht des Menschen nach einem Sinn bzw. sinnvollem Handeln.“

Ich glaube, meine Eltern haben mich schon viel zu früh die Dreigroschen-Oper hören lassen. Darauf schiebe ich jedenfalls vieles. Wie wäre es denn stattdessen mit:

Ja, renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr
denn alle rennen nach dem Glück
das Glück rennt hinterher.

„Und die Moral von der Geschicht‘, Pläne macht man besser nicht!“

Viel interessanter als die Feststellung, dass es im menschlichen Leben eine große Diskrepanz zwischen IST und SOLL gibt, ist eigentlich die Fragestellung: Wären die Menschen zufrieden, wenn es anders wäre? Was täten wir ohne die Spannung, ohne den Wunsch, etwas zu erreichen, ohne Hoffnung, weil alles schon erfüllt ist? Ist der Weg nicht wichtiger als das Ziel?

Sicherlich ist es problematisch, wenn man sein Glück ausschließlich an Wunschvorstellungen knüpft, aber wären wir ohne bescheuerte Wünsche jemals auf dem Mond gelandet?

Wie gut, dass auch hier das eine das andere nicht ausschließt. So mag man Pläne machen (z.B. auch, um Spaß genau am Plänemachen zu haben). Wenn man die eine oder andere Stufe davon erreicht, mag man innerlich ‚Sternchen setzen‘. So mag man denn trotzdem/geradedrum/nebenher/unbeeinflusst von Plänen im täglichen Leben agieren. Einen guten Kaffee oder Espresso genießen, mit Lektüre von Buch, Zeitung oder Blogs, den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und den Plan just aus dem Augenwinkel lassen. Gerade weil es doch die kleinen Dinge sind, die das Herz erwärmen und den Sinn positiv reizen. Und die Sinne auch.

wie heißt es doch so gleich „leben ist das, was einem begegnet während man auf seine Träume wartet“
wobei ich da dann lieber nicht warte und versuche soweit zu leben, dass ich sagen kann: „ich hätte es genauso auch wieder gemacht“

Der Ist-Zustand ist leider Gottes in den meisten Fällen für uns nicht ausreichend. Die Gellschaft gibt uns einfach erreichenswerte Vorstände vor an denen wir uns messen. Doch leider vergessen wird oftmals den Ist-Zustand zu genießen.

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