Jetzt ist die Jahreszeit, in der Vögel morgens wieder lautstark zwitschern. Missmutige Teenager verabscheuen dies, weil sie sich in ihrem Schlaf gestört fühlen. Alle normalen Menschen mögen Vögel. Zumindest die, die ihnen nicht auf den Kopf kacken.
So auch A. Sie fand die kleine Blaumeise hilflos am Wegesrand und nannte sie Fred. Fred zeigte sich zeigte sich zwar vital, konnte aber nicht fliegen. Was tun?
Der Kleintierambulanz der Universität am anderen Ende der Stadt sind Singvögel zu gewöhnlich, um sie nach den Regeln der Wissenschaft der Veterinärmedizin zu behandeln. Außerdem war Wochenende und am Wochenende behandelt man dort vermutlich nicht einmal vom Aussterben bedrohte Raubvögel des Jahres. Im Internet raten die Expert:innen der Wildtierrettung, das hilflose Gefieder mitzunehmen, es in einem Karton an einem geschützten Ort abzusetzen und zu warten. Nicht füttern, kein Wasser bereitstellen. Häufig kommt das Federvieh innerhalb von vier Stunden ganz von selbst wieder zu Kräften.
Wir pflückten etwas Gras, damit Fred es bequem hat, in seinem Karton auf unserem Balkon. Ein paar Mal flatterte Fred noch, aber es reichte nicht, um sich in die Lüfte zu schwingen. Kurze Zeit später hörte sein kleines Vogelherz auf zu schlagen.
Er hat es nicht geschafft. Am Abend haben wir ihn im Garten hinter dem Haus begraben. Wie leicht Fred war. Keine 20 Gramm. Mach’s gut, kleiner Piepmatz.
Nicht, dass es nichts zu sagen gäbe, in bewegten Zeiten wie diesen. Aber doch nicht unbedingt von jedem und schon gar nicht von mir.
Um in der Seit 2006 andauernden Geschichte dieses Blogs das Jahr 2023 nicht zu dem ersten Jahr werden zu lassen, in dem hier kein einziger Beitrag erschienen ist, blicke ich kurz zurück auf das in wenigen Stunden abgelaufene Jahr. Persönlich und versöhnlich.
Schach
Nicht dass ich eine besondere Begabung für das königliche Spiel hätte. Aber zu meinem Erstaunen habe ich seit Beginn dieses Jahres eine einigermaßen große Faszination entwickelt. Ich weiß nicht mehr, wie es begann, aber es war online und irgendwann zog es mich dann in das Rabbithole und ich schaute eine zeitlang mehr Theorie-Tutorials auf Youtube und Twitchstreams von Schachfluencer:innen als alles andere.
Zufällig entdeckte ich, dass in der Hamburger Zentralbibliothek jeden Montag eine öffentliche Schachrunde, das „Schachdeck“ stattfindet. Da war ich sofort dabei und wann immer ich Zeit habe, gehe ich dort hin. Am Brett ist es doch noch einmal ein ganz anderes Spiel als online. Allein schon, weil alles in vollkommen ungewohnter 3D-Ansicht stattfindet.
Hier habe ich M. kennengelernt, einen pensionierten Mathe- und Lateinlehrer, der früher ein sehr starker Vereinsspieler war. (Er hat alles schon gesehen und mit ihm kann ich während des Spiels mögliche Züge diskutieren.) Und A., der aus Syrien stammt und in der Bibliothek an Deutschkursen teilnimmt. Und Y., der erst 12 Jahre jung ist, aber das Potential hat, eines Tages Großmeister zu werden, wenn er will. Außerdem den Seemann, der früher viel auf dem Schiff spielte, den Onlinespieler, der sich an malignen Fallen erfreut und in seiner Schule Schachtraining gibt, die ältere Dame, die bei einem Ideenwettbewerb zur Stadtverschönerung öffentliche Bodenschachspiele vorgeschlagen hat, aber selbst noch keinen einzigen Zug beherrscht, die Studentin, die alle Schachstreamer:innen bingt, den russischen Obdachlosen, der immer eine Fahne hat, und viele andere Menschen, die oft nur zufällig vorbeikommen, eine Partie spielen und dann nie wieder gesehen werden.
Manchmal spiele ich in Parks oder vor einem Berliner Späti. Überall auf der Welt kann man sich mit Menschen einen Tisch setzen und eine Partie spielen. Die Regeln sind einfach zu lernen. Und doch ist die Komplexität des Spiels schon nach ein paar Zügen für mich oft kaum noch zu durchdringen. Meistens verliere ich. Obwohl prinzipiell alle Spieler:innen dieselben Chancen haben; alle Informationen zur Verfügung stehen. Das Scheitern an der eigenen Dummheit macht demütig. Ich spiele weiter.
Spaghetti, Omlette und Apfelkuchen
Nicht dass ich ein besonders guter Koch geworden bin. Denn eigentlich esse ich lieber als am Herd zu stehen. Aber die einfachen Dinge haben es mir in diesem Jahr angetan: Spaghetti Carbonara. Und Cacio e Pepe, was sogar noch einfacher ist.
Das Tolle daran: man braucht nur wenige, aber gute Zutaten. Und ein bißchen Inspiration von TikTok und YouTube.
Sogar einen Apfelkuchen habe ich dieses Jahr ein paar Mal erfolgreich gebacken. Und Pancakes werden mit Buttermilch am fluffigsten. Hurra.
Kino
Nicht dass ich mich als Cineast bezeichnen würde. Aber in diesem Jahr war ich wohl so oft wie nie zuvor im Kino. Das war meistens schön, vor allem, weil man für zwei bis drei Stunden komplett abschalten kann. Auch die Verbindung zum Internet.
Notiz an mich selbst: Weiter antizyklisch ins Kino gehen. Kinotage mit Rabatten und Stoßzeiten an Wochenenden sind unbedingt zu meiden.
(Und: Oppenheimer > Barbie.)
Ein Hund namens Willy
Nicht dass ich je das Bedürfnis hatte, einen Hund haben zu wollen. Aber nun ist er da und das ist dann doch ganz schön. Meistens jedenfalls.
Willy ist nun fünf Monate alt. Seitdem er da ist, gehe ich zu Zeiten und/oder Wetterlagen aus dem Haus, die mir sonst im Leben nicht eingefallen wären. Meine Jackentaschen sind ausgebeutelt von Leckerlis, Kackbeuteln und Taschenlampe. Zum Dank schleckt Willy mir als Zeichen seiner Zuneigung sanft die Hand. Hach.
Häufig schaue ich nun Hundetrainervideos und denke oft an Harmtut Rosas Resonanzgedöns.
Ausblick 2024
Wie soll das alles weitergehen? Ich weiß es doch auch nicht.
Zu einem ganz unvermuteten Anlass einen alten Freund wiedererkennen, den man nun schon über zwanzig Jahre nicht mehr gesehen hat. Nicht ganz sicher sein, ob er es wirklich ist, dann aber doch dazu tendieren, dass es sich bei dem bekannten Gesicht, das naturgemäß deutlich gealtert ist, tatsächlich um ihn, den alten Freund handelt. Dann so lange darüber sinnieren, ob und wie man den Kontakt aufnehmen solle, bis dann das gemeinsame Ereignis endlich vorüber ist. Schließlich sehr froh sein, dass die an dieser Stelle übliche verdruckste Und-was-machst-Du-so-Konversation mit anschließender niemals zustandekommender Verabredung zu einem Heiß- oder Kaltgetränk nicht stattgefunden hat. Man hat einander doch nichts mehr zu sagen. Alles richtig gemacht.
Schon lange treibt mich der Gedanke um, ein Getränkeblog aufzumachen. Da ich aber schon an dieser gewohnten Stelle kaum zum Schreiben komme, platziere ich meine Trinkerlebnisse einfach hier, in der Hoffnung, niemanden damit zu langweilen, aber trinken müssen wir ja irgendwie alle.
Und weil dies hier kein richtiges Getränkeblog ist, fasse ich mich einfach kurz. Egal, wo man ist auf der Welt, bestellt man in einer Bar einen Negroni, so blamiert man sich nie. Selbst in ganz normalen Restaurants ist man oft in der Lage, einen doch ganz anständigen Negroni zu mixen. Der Aperitif-Cocktail besteht zu gleichen Teilen aus Gin, rotem Wermut und dem italienischen Bitter-Likör Campari, die auf Eis kaltgerührt werden. Ganz einfach, da kann man nicht viel verkehrt machen, möchte man meinen, was so natürlich auch nicht stimmt.
Jedenfalls ist der Negroni einer der wenigen wirklich großen Klassiker, den Europa auf die Weltkarte der guten Liquide gesetzt hat. Seinen Ursprung hat der Negroni im Americano, der möglicherweise ursprünglich nach seinen Zutaten Milano-Torino hieß. Aus Mailand kam der Campari, der Cinzano aus Turin – beide zusammen wurden mit einem Spritzer Soda aufgefüllt. Alle Quellen widersprechen einander, aber der Ursprung des Namens hat nicht einmal James Bond interessiert, bevor er der Einfachheit halber irgendwann auf Martini umgestiegen ist.
Der Negroni wiederum, da ist sich die Spirituosengeschichtsschreibung weitgehend einig, entstand etwa 1920 im Florenzer Caffè Casoni. Dort bestellte Graf Camillo Negroni einen starken Americano, bekam einen solchen – mit Gin aufgefüllt – und geboren ward der Negroni.
Negroni
Und warum jetzt nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, dachten sich im Jahre 2013 das Magazin Imbibe und die Firma Campari und ersannen sodann die Negroni Week. Das Prinzip ist schnell erklärt: Auf der ganzen Welt nehmen Bars teil, mixen Negronis und Negroni-Varianten und spenden einen Teil der Erlöse für einen guten Zweck ihrer Wahl. Im vergangenen Jahr haben weltweit rd. 7.700 Bars und Restaurants mitgemacht und seit Beginn der Aktion mehr als 1,5 Millionen US-Dollar für wohltätige Zwecke gesammelt.
In Hamburg beteiligt sich unter anderem meine Lieblingsbar Le Lion, wo ich an diesem Freitag das Vergnügen und die Ehre habe, als Mit-Gastgeber eines halboffiziellen Einschwingens zu wirken. Es gibt die wohl besten Negronis der Stadt und ganz zauberhafte Varianten, die dann vom 4.-10. Juni 2018 auch ganz offizell auf der Karte stehen (wer nicht in Hamburg ist, findet hier ganz sicher auch eine teilnehmende Bar in seiner Nähe).
Welche Varianten mir am besten gefallen haben und warum ich empfehle, zur Kalibrierung mit einem klassischen Negroni aka
#kalibrierungsnegroni zu beginnen, erzähle ich in Jörg Meyers
Podcast Emfehlungen eines Trinkers in Folge 69.
Wer Lust hat, am Freitag, den 1. Juni 2018 um 17 Uhr im Le Lion beim Warm Up zu Negroni Week 2018 dem #daydrinking zu frönen, hat die Chance, unter dem folgenden Link eines der streng limitierten Tickets zu ergattern:
Das Le Lion lädt auf einen sommerlichen Sloegroni ein. Danach gibt es alle weitere großartige Variationen zu erschwinglichen Preisen. Alle Einnahmen dieses Abends gehen zu 100 % an das Hamburger Spendenparlament, das sich lokal, ehrenamtlich und sehr transparent für Menschen in Not einsetzt. Und weil das eine gute Sache ist, die auch ich gern unterstütze, spende ich ebenfalls mein gesamtes Honorar aus dieser Kooperation mit Campari.
Also, trinken Sie nicht nur gut – wie es im Podcast so schön
heißt –, sondern trinken Sie auch für einen guten Zweck. Cheers!
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Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung von Campari Deutschland.