Bahnsteig

Auf dem Bahnsteig steht eine Bank. Auf der Bank sitzt ein Mädchen. Neben ihr steht ein kleiner Rollkoffer. Das Mädchen weint. Ein Zug fährt ein. Ich frage, ob ich etwas für sie tun könne. Sie verneint und will nicht springen. Schubsen solle ich sie auch nicht. Allenfalls traut sie sich nicht, diesen Wunsch zu formulieren. Ich reiche ihr ein Papiertaschentuch. Ich kann nichts weiter tun, wie man überhaupt nie irgendetwas tun kann.

Fußmatte

Einmal wöchentlich kommt der Putzmann, um das Treppenhaus zu reinigen. Mit seinem Mundschutz sieht er aus wie ein Kammerjäger. Er sagte mir, er habe eine Putzmittelallergie. Der Putzmann ist ein angenehmer Mensch, gern wechsle ich ein paar Worte mit ihm. An besseren Tagen bleibt dies die einzige Unterhaltung.

Zur Verrichtung seiner Tätigkeit, stellt er die Fußmatten senkrecht an die Wohnungstüren. Er ist gründlich. Die Fußmatte der Wohnung unter mir bleibt danach manchmal mehrere Tage unberührt. Solange zu fast jeder Tages- und Nachtzeit das lautstarke Schnarchen aus der Wohnung zu vernehmen ist, sorge ich mich nicht um den Nachbarn. Dennoch frage ich mich: Was tut dieser Mensch, wenn er nicht schläft?

Sommer, Winter

Nie gäbe man es zu, aber im Grunde ist man doch Romantiker. Wenn der Kitsch der untergehenden Sonne aber zu viel wird und nicht mehr zu ertragen ist, muss man sich einen geschlossen Raum suchen. Am besten eignen sich nicht klimatisierte Räumlichkeiten ohne jegliche Frischluftzufuhr. Dicht gedrängt sitzen hier schwitzende Menschen und lauschen Mädchen, die aus vollkommen zu recht unveröffentlichten Romanmanuskripten lesen, oder Politikern, die mit dem Internet hadern. Selbstkasteiung und Weißweinschorle.

Sich dann nach knrischendem Schnee unter den Füßen sehnen, wohl wissend, dass der Winter naturgemäß auch nicht besser ist, weil ja auch der Kitsch der Winterwunderwelt unerträglich ist. Auf der Flucht vor glühweintrinkenden Massen erneut Räume aufsuchen, die nun überheizt sind, und verzweifeln, weil Menschen auch im Winter immerzu schwitzen müssen. Andere Mädchen lesen aus neuen Romanmanuskripten, die auch nicht besser sind, und die Politik dreht sich immerzu im Kreise.

Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.

Doppeldeckerbus

And if a double-decker bus
Crashes into us
To die by your side,
Is such a heavenly way to die

(The Smiths)

Sinnlos mit dem Doppeldeckerbus durch die halbe Stadt fahren. Es regnet; durch die Kopfhörer fließen Bachs Goldberg-Variationen direkt in das Gehirn. In seinen Händen ihr Brief – von nah und doch weit weg. Darin das Bild eines Dinges, das ihre Wohnung zierte, und das er manchmal belächelt hat. Unzählige Fragen, aber keine Antworten. Stattdessen ein Thema mit Variationen. Gedankenverloren versäumt er, seinen Haltewunsch anzumelden …