Myll, 14. August 2012 – Teil 2

1802. Der Freund und ich beschließen, uns heute Abend der Spielsucht hinzugeben. Wir erwerben jeweils fünf Rubbellose. Ich gewinne zwei Mal einen Euro, den ich wiederum in neue Rubbellose investiere. Pech im Spiel, Pech in der Liebe.

1852. Wir erhöhen die Dosis und betreten ein Automatencasino. „Guten Tag, wir möchten gerne spielsüchtig werden“, und wechseln Scheine in Münzgeld. Außer uns sind ein paar knapp Erwachsene Jugendliche mit Migrationshintergrund und Baseballmützen anwesend. Sie sind Profis und spielen an mehreren Automaten gleichzeitig. Wir stellen uns an einen der für uns nicht erkennbar belegten Automaten. „Weg da!“ und „Die sind neu“, nimmt uns die Spielhallenaufsicht in Schutz. Während ich über das Ziel des Spiels grüble, erinnere ich mich an meine Großmutter, die auf Butterfahrtsdampfern regelmäßig Automaten plünderte. Ich kapiere nichts und drücke wahllos auf irgendwelche Tasten, bis mein gesamter Münzgeldbestand endlich versenkt ist. Keine Ahnung, wie man davon süchtig werden kann. Morgen wird nicht wie heute sein.

1927. Zum Glück noch ein paar Münzen für ein Wegbier übrig. Ist kühl, schmeckt gut. „Man sagt ja heute Fußpils. Haha.“

2043. Jetzt doch das richtige Casino, Reperbahn. Einen Euro Eintritt zahlen, Ausweis vorzeigen, nicht in der Sperrdatei stehen, reinkommen. Freund wechelt 50 Euro in Jetons. Black Jack oder 17+4, wie man hierzulande gern sagt. Nach einem sogenannten System zählt der Freund Karten, erhöht seinen Einsatz, nimmt eine weitere Karte etc. In seiner Pinkelpause vertrete ich ihn kurz am Tisch, erhalte das Kapital. Gar nicht übel. Freund gewinnt nach Abzug von zwei überteuerten Weizenbieren und Trinkgeld für die Croupieuse 50 Euro. Ich bin begeistert und möchte mich beim Rausgehen auf die Sperrdatei setzen lassen. Der Mann hinter der Theke warnt mich, das gelte für 101 Jahre und es gebe kein Zurück. Dann eben nicht.

2300. Kino: Prometheus. Trotz Gin Tonic unerträglich, weil zu viele Aliens und deren Gedärm. Dietmar Dath hat das Machwerk letzte Woche in der FAZ gelobt, aber das heißt ja nichts. Vermutlich habe ich den Subtext nicht erkannt. Vielleicht war der Film aber auch einfach nur eklig.

0137 Im Taxi nicht angeschnallt.

Myll, 14. August 2012

1055. Bernd schreibt SMS aus dem Café. Eine bildhübsche Frau lese gerade mein Twitterbuch, ich solle schnell kommen. Schlafe aber noch halb und wenn ich mich richtig erinnere, hat dieses Buch nie einen Groupie gebracht.

1201. Freundin fragt, ob ich jemanden für irgendwas empfehlen kann. Eine Podiumsdiskussion zu Thema XY. Empfehle guten Gewissens Ex-Freundin, trotz allem. Sie kann das sicher wunderbar.

1247. Gemeinsames Lesen am offenen Fenster, sie Max Frischs „Stiller“, ich Rainald Goetz‘ „Abfall für alle“, noch immer. Habe Stiller zwei Mal angefangen, zwei Mal abgebrochen. „Ich bin nicht Stiller!“ Lag vermutlich an mir, werde dem Buch eine dritte Chance geben, falls genug Zeit bleibt.

Kurz an das wunderbare Interview mit Paul Nizon aus dem SZ Magazin von vor einigen Monaten gedacht; er über Ingeborg Bachmann und Frisch: „Sie war keine Schönheit, sondern wirkte eher wie ein kräftiges, robustes Bauernkind. Andererseits hatte sie diesen merkwürdig verhangenen Blick und konnte bei Lesungen ausfallen vor Sensibilität und Schwäche. Ich hatte schon damals den Verdacht, dass sie viel interessanter ist als Frisch. Den Schriftsteller Frisch fand ich nicht überwältigend. Stilistisch und dramaturgisch konnte er schon was, aber dieses Gantenbein-Gewäsch mochte ich nicht. Da ist er auf manchen Seiten ein moralisierender Ratgeberonkel.“

Robuste Bauernkinder sind nicht die Schlechtesten. Milchkaffee aus der Thermoskanne. Kein Third-Wave-Kwatsch. Schmeckt trotzdem.

Mein gesamtes Abfall-Buch ist voller Lesezeichen, die ständig herausfallen. Muss mir einen Bleistift kaufen, bevor ich davon noch so verrückt werde wie Rainald Goetz, der in Gedanken von der Beerdigung Ernst Jüngers einen Sprung zu Falco macht. Vielleicht wird man so, wenn man ständig Postkarten von Frau Radieschen, die einen Dachschaden hat, bekommt.

1402. Ich gehe ins Café. Die bildhübsche Twitterbuchleserin ist naturgemäß bereits verschwunden. Mache mir einen Espresso, muss aber feststellen dass der Behälter für den Kaffeesatz nicht an seinem Platz ist. Allergrößte Verzweiflung, stehe hilflos mit dem Siebträger in der Hand mitten im Café. Nehme beim Gehen Bernds FAZ mit.

1458. Traumberuf FAZ Technik-und-Motor-Redakteur. Dann könnte ich den ganzen Tag mit Bentleys durch die Gegend fahren und Reinigungsroboter für Swimmingpools testen. Toll.

1521. Pläne für neues Sachbuch: „Generation GenerationsbuchautorIn“. Auszug aus dem Klappentext: „Wir 20-30 Jährigen kommen gar nicht mehr dazu zu leben, weil wir ständig damit beschäftigt sind, das Verhalten unserer Altersgenossen in neue Generationsbücher zu verpacken. Anschließend touren wir durch die allabendlichen Talkshows der Republik und verkaufen die Mär vom X, dem Golf, dem Internet oder dem Schmerzensmann. Dabei wollen wir eigentlich nur eines sein: die Generation Generation.“

1528. Finde Kuhbonbon in der Hosentasche. Das ist nicht schön bei diesen sommerlichen Temperaturen.

Sprudel

An einem lauen Sommerabend sitzen wir zusammen im Café und bestellen eine Flasche Wein und eine Flasche Wasser. Während beim Wein die größte Einigkeit besteht – wir trinken Weißwein, kein ausgezeichnetes Spitzenprodukt, aber immerhin den teuersten, der auf der Karte steht – diskutieren wir über das Wasser und bestellen schließlich, weil sie es so möchte, Wasser mit Kohlensäure. Leider schmeckt der Wein nicht, wir können es nicht genau beschreiben, aber er ist zu warm und verfügt über eine muffige Beinote. Hätten wir nur ein Glas des schlechten Weines klaglos heruntergespült, so ist uns dies mit einer ganzen Flasche unmöglich, und so veranlasst sie mit ihrem ganzen Charme, uns eine neue Flasche bringen zu lassen. Abgesehen davon, dass der Wein zu warm sei, hat er einen unschönen Geschmack, so sie, die im Gegensatz zu mir über einen ganz ausgezeichneten Geschmackssinn verfügt, zu der etwas ungläubigen Kellnerin. Wir hätten schon eine Menge Grauburgunder getrunken, aber keiner war so unzulänglich wie dieser, woraufhin uns die Bedienung eine neue Flasche an den Tisch bringt. Auch dieser Tropfen ist wahrlich kein Katapult in den Weinhimmel, aber immerhin wohltemperiert und trinkbar. Und so trinken wir und reden über dieses und jenes, wie man es zu tun pflegt, wenn man bei einer Flasche Wein beieinander sitzt. Ist mir nach diesem Abend weniger der Wein erinnerlich, so möchte ich, nachdem ich Wasser mit Kohlensäure jahrelang mit der größten Verachtung gestraft habe, seitdem immerzu kühles Sprudelwasser trinken.

Wohin?

Whereto?

Hinter der Wand befindet sich eine Treppe. Die Treppe führt ins Nichts. Auf der Wand steht: „Wohin?“ Ich habe keine Antwort darauf, wie ich auch auf alle anderen W-Fragen keine Antwort habe.