Schlaftrunken

Frühmorgens schlaftrunken nachhause kommen. Auf dem Weg Begegnungen mit Nachtschwärmern und Flaschensammlern. Obschon es taghell ist, überall Suchende. Der eigene Gang so schleppend wie der der anderen. Auf dem Boden der U-Bahn verschüttetes Bier und Kotze. Scheinbar ankommen. In der Küche das restliche Pulver zusammenklauben und den dünnsten Kaffee der Welt kochen. Dann mit letzter Kraft das Hochbett erreichen. Müde sein und doch nicht schlafen können. – Gedankenkreisen. Und was man auch nicht weiß: Wie das alles noch werden soll.

Wer kennt den Weg?

Am allerschönsten war es doch zu Haus,
Und doch zog’s mich einst in die Welt hinaus.
Und in der Ferne suchte ich mein Glück,
Wer kennt den Weg, den Weg zurück.

(Johnny Cash/Günter Loose)

In der U-Bahn neben mir sitzt eine etwas hilflos wirkende alte Frau. In ihrer Hand ein bereits im Ansatz verwelkter Blumenstrauß und ein kleiner Zettel mit ein paar unlesbaren Worten darauf. Sie fragt mich nach dem Weg zu einem Friedhof, aber ich kann sie nicht verstehen.

Sollte ich je wieder in einem Bewerbungsgespräch nach meinen Schwächen befragt werden, so antwortete ich, dass ich die Erläuterung des Liniennetzplanes der Berliner Verkehrsbetriebe auf Griechisch jedenfalls nicht so gut beherrsche.

M10

Die Heizung ist gebändigt und die Raumtemperatur ist mittlerweile konstant angenehm. Aber ich kann nicht immerzu nur im warmen Kämmerlein sitzen. Irgendwann muss man, also ich, auch mal raus: Arbeiten oder Kaffeetrinken – im Idealfall beides gleichzeitig. Der Schnee da draußen wird langsam zu Matsch, trotzdem ist es noch immer sehr kalt. Straßenabahn M10: Vormittags und Abends stehen die Menschen dicht gedrängt und riechen oft genau wie sie gestimmt sind: übel. Ein Paradies nur für Frotteure. Gäbe die BVG ihren Zügen Städtenamen wie die Lufthansa ihren Flugzeugen, könnten sie Sheffield oder Duisburg heißen. Wenigstens hier kann man beim rasanten Anfahren und Bremsen die Trägheit der Masse überlisten und wenigstens einmal im Leben standfest bleiben, denke ich, während ich im Augenwinkel eine gute Bekannte entdecke, die aber zwei Türen weiter steht, und auch deswegen für mich unerreichbar ist. An der Warschauer Straße bin ich froh, endlich aussteigen zu dürfen. Mein Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist nur scheinbar für den Rest des Jahres gedeckt.

Tram

Neben dem Doppeldeckerbus (natürlich oben, ganz vorn sitzend) ist die Straßenbahn das mir liebste Transportmittel im öffentlichen Nahverkehr. In meiner Heimatstadt Hamburg wurde diese leider bereits 1977 eingestellt; mittlerweile denkt der Senat allerdings – trotz Finanzkrise – über die Wiedereinführung nach. Aber intensives Nachdenken schadet nicht – besonders in Krisenzeiten.

Wenn immer möglich, ziehe ich eine Fahrt mit der Tram der S- oder U-Bahn vor. So auch heute. Man sieht so viel mehr vom urbanen Leben. Allerdings musste ich bei meiner heutigen Fahrt unfreiwillig an den notleidenden Autobauer Opel denken. Vor etwa zwei Jahrzehnten warb dieser noch mit dem Spruch „Fährt wie auf Schienen.“ Ein falschparkendes Kraftfahrzeug beendete meine Straßenbahnfahrt jäh und zwang mich, meinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Auch Opel hatte sich seine Fahrt auf Schienen sicher damals ganz anders vorgestellt.