Auch dieser Tag ist kein besonders guter und somit fügt er sich nahtlos in mein restliches Leben ein. In einer wichtigen Angelegenheit gescheitert zu sein, ist nicht sonderlich angenehm. Alles was bleibt, passt in eine kleine Plastiktasche. Den Tag rundet ein körperlicher Schmerz ab. Es beginnt meist ganz leicht mit einem Ziehen in der Nierengegend. Ich kenne das schon: Ein Nierenstein geht ab; Männer in meinem Alter haben das schon mal. Beim ersten Mal wundert man sich, dass ein Mensch solche Schmerzen haben kann. Mal dauert es ein paar Stunden, in ungünstigeren Fällen kann man sich ein paar Tage damit vergnügen. Eine Zertrümmerung lohne nicht, sagt der Urologe, es sei ja nur etwas Gries auf dem Ultraschallbild zu sehen. Man krümmt sich, streckt sich, trinkt Bier und hüpft; wohl wissend, dass es natürlich zu spät dafür ist, wenn man den Schmerz erst einmal zu spüren bekommen hat. Ich nehme Metamizol in Form von Tropfen ein; wohl wissend, dass eine Infusion jetzt das probatere Mittel wäre. Ich bin froh, dass mich in diesem Moment niemand sieht und denke, wenigstens spürst du jetzt, dass du noch lebst. Ich ahne, dass es davon kommt, in den letzten Tagen zu wenig Flüssigkeit zugeführt zu haben und erfreue mich ein wenig an der Erkenntnis, dass es gelegentlich viel unangenehmer sein kann, zu wenig zu trinken als zu viel.
Die Heizung ist gebändigt und die Raumtemperatur ist mittlerweile konstant angenehm. Aber ich kann nicht immerzu nur im warmen Kämmerlein sitzen. Irgendwann muss man, also ich, auch mal raus: Arbeiten oder Kaffeetrinken – im Idealfall beides gleichzeitig. Der Schnee da draußen wird langsam zu Matsch, trotzdem ist es noch immer sehr kalt. Straßenabahn M10: Vormittags und Abends stehen die Menschen dicht gedrängt und riechen oft genau wie sie gestimmt sind: übel. Ein Paradies nur für Frotteure. Gäbe die BVG ihren Zügen Städtenamen wie die Lufthansa ihren Flugzeugen, könnten sie Sheffield oder Duisburg heißen. Wenigstens hier kann man beim rasanten Anfahren und Bremsen die Trägheit der Masse überlisten und wenigstens einmal im Leben standfest bleiben, denke ich, während ich im Augenwinkel eine gute Bekannte entdecke, die aber zwei Türen weiter steht, und auch deswegen für mich unerreichbar ist. An der Warschauer Straße bin ich froh, endlich aussteigen zu dürfen. Mein Bedürfnis nach menschlicher Nähe ist nur scheinbar für den Rest des Jahres gedeckt.
Samstag und Sonntag: Zustand nach Party. Viel zu spät und zu wenig geschlafen, vor allem aber zu schlecht. Mangelnde Schlafhygiene würde mein Arzt dazu sagen. Draußen ist tiefster Winter. Im Zimmer ist es mal zu kalt und mal zu warm. Ich drehe den Temperaturregler herauf, schwitze, lüfte, drehe ihn herunter, friere etc. Ich sitze auf dem Sofa und schaue einen Film. So ein Sofa ist eine gute Sache, wenn man sonst kaum Freude hat im Leben, denke ich mir. Musik: Morrissey und Blumfeld: Verstärker. „Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg.“ Mozarts Requiem wäre jetzt schön, klassische Musik fördert jedoch die Unzulänglichkeit digitaler Komprimierungsprozesse zu stark zu Tage. Wenn auch nur zum Teil von Mozart ersonnen, zeigt dieses Werk (KV 626) doch ganz besonders, dass der für seine leichte Kost bekannte Komponist zur größten Ernsthaftigkeit im Stande war. Darüber nachdenkend, ob der Humor bei Thomas Bernhard oder Heino Jaeger einer innerlichen Tragik entwachsen ist, fahre ich fort, den Heizkörper zu bändigen. Sonntagabend, während des furchtbar langweiligen Kölner Tatorts fällt mir ein, dass ich seit zwei Tagen keinen Fuß aus dem Zimmer gesetzt und auch nichts gegessen habe. Dann beiße ich in einen sehr vitaminarmen grünen Apfel, der sicher nichts weiter mit meinem Körper tut, als meinen Zahnschmelz zu zersetzen. Es ist die vollkommene Desolation.
Freitag zwei Feiern. Party 1: Zunächst die Weihnachtsfeier einer Agentur in einer Bar im Osten der Hauptstadt. Der spröde Charme der sozialistischen Architektur, in deren Umfeld das gemäßigte Spektakel stattfindet, ist abstoßend und anziehend zugleich. Bei Flying Buffets hat man anfangs immer etwas Angst, nicht genug abzubekommen – die Erfahrung hat einen indes gelehrt, dass man am Ende immer satt wird. Mit „man“ meine ich natürlich „ich“, denn schließlich ist Buffetgier allgemein nicht sonderlich anerkannt. Aus den Lautsprechern tönt launige Musik, die zum Tanzen einlädt. Ich bleibe jedoch Eckensteher (wenngleich ich mich gegen ein gelegentliches Beinzucken nicht erwehren kann), obwohl im Laufe des Abends auch härtere alkoholische Getränke zum Ausschank freigegeben werden. Auch die dem Tanze zugeneigteren Gäste machen von dieser Möglichkeit nur sparsam Gebrauch. Ich überlege, ob ich jemand Bestimmtes Anrufen, eine SMS, eine Twitter-Nachricht, eine Mail oder einen Facebook-Anstupser senden soll, fühle mich dafür allerdings nicht betrunken genug. Rechtzeitig bin ich auf Wasser umgestiegen, denn auf dieser Veranstaltung bin ich nicht nur Gast, sondern auch als Fotograf engagiert. Obwohl ich nicht allzu gern Menschen fotografiere, ist es in diesem Falle eine eher angenehme Rolle: teilnehmende Beobachtung. Man schweift umher und die Kamera in der Hand gibt einem die Gelegenheit, sich unliebsamen Gesprächssitationen elegant zu entziehen. Schließlich müsse man „arbeiten“. Die Lichtsituation ist natürlich schwierig, aber auf welche Situation träfe das nicht zu? Gegen 3 Uhr Aufbruch.
Party 2: Taxifahrt nach Prenzlauer Berg, Alkoholbesorgung beim Spätkauf. Letzteres lediglich als Alibi: ein Sixpack Bier ist nicht viel für drei Personen, aber so stehen wir wenigstens nicht mit leeren Händen da. Die Treppe: unzählige Stufen, zwei Hübe Salbutamol machen den Aufstieg erst möglich. Wir erreichen die mondäne Wohnung mit großzügiger Dachterasse, die allerdings aus Schneematschgründen keinesfalls betreten werden soll. Ich bin langsam komplett nüchtern. Das ist keine gute Voraussetzung für eine bereits so weit fortgeschrittene Party. Man findet sich ohnehin schlecht ein, wenn der Zenit bereits überschritten ist. Junge Mädchen im zarten Führerscheinalter (Klasse III) küssen ausgelassen Männer, die ihre Väter sein könnten, wenn diese rechtzeitig mit der Nachwuchsförderung begonnen hätten. Mir wird vorgeworfen, griesgrämig dreinzuschauen, was sicher zutreffend ist. Ich bin zu nüchtern für diese Veranstaltung und fühle mich weder alt noch erfolgreich genug, um mit fünfzehn Jahre jüngeren Frauen anzubandeln. Ich trinke ein Glas Spezi, obwohl noch reichlich Alkoholika vorhanden sind. Nur 900 m entfernt wohnt die Frau, die ich liebe. Ich schreibe ihr noch immer keine SMS, weil ich weiß, dass es keinen Sinn hat, und ich mich tags darauf sicher darüber ärgerte. Ich frage mich, was sie wohl gerade macht, trinke ein weiteres Glas Spezi und manipuliere die Playlist, während zwei Mädchen miteinander im Schlafzimmer verschwinden und die anderen reihum einander ihre Zungen in den Hals stecken. Die Musiksammlung auf der Festplatte entspricht nicht meinem Geschmack und ich komme mir deplaziert vor. Gegen 6 Uhr Aufbruch: Schienenersatzverkehr.
Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.
Unbedingt notwendige Cookies
Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.
Wenn du diesen Cookie deaktivierst, können wir die Einstellungen nicht speichern. Dies bedeutet, dass du jedes Mal, wenn du diese Website besuchst, die Cookies erneut aktivieren oder deaktivieren musst.
Drittanbieter-Cookies
Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.
Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!
Zusätzliche Cookies
Diese Website verwendet die folgenden zusätzlichen Cookies:
Teilen Buttons für Twitter, Facebook, Pinterest, WhatsApp und E-Mail, Google Web Fonts
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!