Man kann es nicht so recht erklären: Es war mitten in der Woche und bereits tief in der Nacht, als er bemerkte, dass die Frau, die sonst immer neben ihm lag, nicht da war. Nur einen Absacker wollte sie zusammen mit dem Kollegen aus der Redaktion trinken. Nach einigen alkoholhaltigen Getränken küssten sich die Kollegen. Danach wurde alles anders.
Ein Jahr später erhielt er morgens einen Anruf. Daraufhin stellte er sein Mobiltelefon ab und kam an diesem Abend nicht wie üblich nach Hause. Während er ziellos durch die kalte Nacht streunte, machte sie sich die allergrößten Sorgen um ihn, den sie vielleicht damals noch liebte. Danach wurde alles anders.
Überforderung und Sprachlosigkeit machten, dass die Dinge, die ohnehin schon kompliziert genug waren, vollends aus den Fugen gerieten. Es kann immer wieder passieren.
Nichts zu verlieren,
Das ist der Stand.
Der Kummer frisst das Glück
Uns aus der Hand.
Obwohl vielleicht,
Wenn uns das nicht schert,
Ist es für uns
Bis morgen umgekehrt.
(Erdmöbel)
Zeitlebens wunderte er sich über Paare, die in der Halböffentlichkeit problemorientierte Trennungsgespräche führten. Nun sitzt auch er mit seiner frisch Getrennten in der Kneipe mit dem Kamin und ringt einmal mehr um Worte und ein bißchen auch mit Tränen. Obwohl er wusste, dass sie nichts mehr gewinnen konnten, beraumte er diesen Termin an, der eine Woche lang wie ein Mühlstein auf ihm lastete. Kurz zuvor ebnete sie ihm noch den Weg für einen eleganten Rückzieher, aber er wollte einen letzten Versuch unternehmen, sich zu erklären und das Geschehene besser zu verstehen, obwohl er ahnte, dass es keinen Sinn haben würde. Während er es früher liebte, tief in ihre dunklen braunen Augen zu schauen, weicht er heute ihren Blicken aus, weil er glaubt, sich so besser auf die Worte konzentrieren zu können. Dann sagt er ihr ein letztes Mal die Dinge, von denen sie sagt, dass sie sie alle schon gehört habe. Was ihm bleibt, ist die endgültige bittere Erkenntnis, dass die Liebe, an die er bis zuletzt geglaubt hat, nicht groß genug gewesen sei. Ein letztes Mal umarmen sie einander, bis sie sich schließlich am Bahnsteig gegenüber stehen, um in entgegengesetzte Richtungen zu fahren.
Auf dem Heimweg strömt Musik in seinen Kopf, die so leicht und traurig zugleich ist: Die wunderbare Erdmöbel-Fassung des Henry-Mancini-Klassikers „Nothing to lose“.
[podcast]http://posterous.com/getfile/files.posterous.com/temp-2011-02-18/pIdJuADurirFlqHhpaChJBzvvEnHqGGeFgGshDJGJdeJdmDkmrDsvkyrIFvw/02_Nichts_Zu_Verlieren_Nothing_To_Lose.mp3[/podcast] Erdmöbel – Nichts zu verlieren
Plötzlich wacht man auf und es ist schon wieder Valentinstag. Man kann nicht jedes Jahr einen Wurstbrief erhalten, denke ich, und hinterlasse im Twitteraturkritikblog ein paar flüchtige Zeilen über Fesselspiele und Kopflosigkeiten.
Das Internet gibt nicht viel her heute: Das Stimmungsbild in diesem Twitter schwankt zwischen Zynismus und Resignation, die Blogs schweigen sich aus (lediglich auf fnart.org finden sich ein paar ganz okaye Gedanken über den Zusammenhang von Sex und Liebe) und Flickr preist Herzchen auf Lebensmitteln an.
Es gehört zu meinen Pflichten
Schönes zu vernichten. –
Als Musikkritiker.
(Georg Kreisler)
Schon damals in der Bar war ihm das Erscheinen des Musikkritikers suspekt. Zwar wurden sie einander nie vorgestellt, doch erkannte er den Musikkritiker sofort. Ein paar Wochen später begegneten sie sich zufällig auf der Straße. Ganz nah gingen sie aneinander vorbei – fast konnten sie gegenseitig ihren Atem spüren. Der Musikkritiker wusste vermutlich nicht, wer er war. Obwohl er noch nie in seinem Leben die Hand gegen irgendjemanden erhob, hätte er dem Musikkritiker damals am liebsten so richtig eins auf die Fresse gehauen.
Er musizierte zwar nur leidlich und der Musikkritiker hat nie auch nur einen Ton von ihm gehört, geschweige denn ein Wort über ihn geschrieben. Trotzdem glaubte er, gute Gründe gehabt zu haben, den Musikkritiker zu verprügeln. Noch lange danach, meistens dienstags, bereute er ein wenig die verpasste Chance. Geändert hätte es damals aber auch nichts. – Zumindest nicht zum Guten.
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