transmediale im Haus der Kulturen der Welt, Eröffnungsveranstaltung: Ein Kurzfilm wird gezeigt. Zuerst eine dunkle Leinwand, aus den Lautsprechern ertönt Gewummer. Dann Flimmern und Staub. Ein Insekt taumelt mehr als es fliegt. Regen, ein alter Mann schwebt horizontal durch das Bild. Wieder Staub, Kaulquappen, noch mehr Regen. Verstörung. Der Film scheint länger und länger zu werden, das Gewummer wird stärker und ich denke an des Kaisers neue Kleider. Das Ende.
„Guten Tag, bitte nehmen Sie Platz.“
Der Mann zögerte und schaute sich einen Moment um. War es wirklich der alte Stuhl, der da gerade mit ihm sprach?
„Zögern Sie nicht“, sagte der alte Stuhl jetzt etwas bestimmter.
Der Mann nahm auf dem schon recht heruntergekommenem Stuhl, welcher sich in einem Hauseingang an einer belebten Hauptstraße mitten in Berlin-Neukölln befand, Platz. Natürlich war ihm nicht wohl bei dem Gedanken, dass ihm nun alle vorüberziehenden Passanten dabei beobachten könnten, wie er sich mit einem alten Stuhl unterhielt. Viele Menschen gingen vorbei, aber niemand interessierte sich für ihn und den alten Stuhl und schon gar nicht für ihr Gespräch. Womöglich war es an diesem Ort das Normalste auf der Welt, sich mit einem alten Stuhl zu unterhalten.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte ihn der Stuhl.
„Was sollen Sie schon für mich tun können? Sie sind doch nichts weiter als ein alter Stuhl, ein Stück Sperrmüll, auf dem ich jetzt sitze — und mit dem ich mich unterhalte.“
„Sie sollten mich nicht unterschätzen“, erwiderte der Stuhl. „Ich haben schon vielen Menschen sehr geholfen und bin in diesem Kiez so etwas wie eine Institution. Sie haben genau einen Wunsch frei.“
Der Mann schüttelte den Kopf und wünschte sich, um den alten Stuhl auf die Probe zu stellen, ein Bier. Er schloss kurz seine Augen — und als er sie wieder öffnete, hielt er ein lauwarmes Sternburg in seinen Händen. Er hatte den Stuhl tatsächlich unterschätzt, denn er hätte auch ein kühles Flensburger Pilsener haben können — oder sechs Richtige im Lotto oder einen feuerroten Sportwagen oder seine Traumfrau. Nie wieder, sagte sich der Mann, werde er alte Stühle unterschätzen, und nippte an seinem lauwarmen Sterni, das ihm angesichts der leichtfertig vergebenen Chance noch weniger schmeckte als ein erwärmtes Bier dieser Billigmarke ohnehin schon schmeckt.
Als der Mann das nächste Mal an dem Hauseingang, in dem zuvor der alte Stuhl stand, vorbeikam, war dieser verwaist.
Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.
Unbedingt notwendige Cookies
Unbedingt notwendige Cookies sollten jederzeit aktiviert sein, damit wir deine Einstellungen für die Cookie-Einstellungen speichern können.
Wenn du diesen Cookie deaktivierst, können wir die Einstellungen nicht speichern. Dies bedeutet, dass du jedes Mal, wenn du diese Website besuchst, die Cookies erneut aktivieren oder deaktivieren musst.
Drittanbieter-Cookies
Diese Website verwendet Google Analytics, um anonyme Informationen wie die Anzahl der Besucher der Website und die beliebtesten Seiten zu sammeln.
Diesen Cookie aktiviert zu lassen, hilft uns, unsere Website zu verbessern.
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!
Zusätzliche Cookies
Diese Website verwendet die folgenden zusätzlichen Cookies:
Teilen Buttons für Twitter, Facebook, Pinterest, WhatsApp und E-Mail, Google Web Fonts
Bitte aktiviere zuerst die unbedingt notwendigen Cookies, damit wir deine Einstellungen speichern können!