Vom digitalen Müßiggang

Ich bin ein Blogger. Ein Journalist könnte das an dieser Stelle so nicht schreiben. Nicht allein, weil er Journalist ist, sondern, weil das nicht geht: „Ich bin ein Journalist.“ Generationen von Schreibern hat Journalistenlehrer und „Sprachpapst“ Wolf Schneider das „ich“ erfolgreich ausgetrieben. Das ist nicht schlimm, denn den Leser einer Zeitung interessiert vermutlich oftmals der Mensch, der einen Text geschrieben hat, nicht wirklich.

Bereits eine Woche vor dem Druck dieser Ausgabe hat mich der zuständige Redakteur gefragt, worüber ich zu schreiben gedenke. Nach kurzer Bedenkzeit gab ich zu Protokoll, „irgendwas mit Blogs und Literatur“ zu machen. Dies erschien mir zunächst eine gute Idee zu sein; ein interessantes Thema im Grenzbereich zwischen Feuilleton und Internet: „Von Abfall für alle bis Strobo – eine kleine Geschichte der Netzliteratur“ oder so ähnlich.

Bei näherer Betrachtung jedoch, hielt ich das selbstgewählte Thema für zu „journalistisch“: Ich empfand Rainald Goetz Auftritt in Klagenfurt, bei dem er sich die Stirn aufritzte, aufregender als seine im Internet veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen der späten Neunzigerjahre, die auch als Buch erschienen sind. Die Debatte um Remixkultur und das Versagen der Literaturkritik am Beispiel des Falles Hegemann war für mich interessanter als die Aneinanderreihung von Beschreibungen der Besuche eines Berliner Szeneclubs. Die Kernfragen lauten aber: Was ist eigentlich dazwischen literarisch im Netz passiert oder warum strebt der Autor zum gedruckten Buch?

Das alles klingt nach nach Anstrengung, Disziplin, Recherche, Fleiß; kurzum: nach Arbeit. Ein solcher Artikel lässt sich nicht in einer Stunde nebenbei nach Feierabend bewerkstelligen. Im Rahmen der Scroll-Edition wagt die Welt Kompakt das Experiment, eine Zeitung von Bloggern machen zu lassen. „Schreibe online wie offline: sei wie du bist“, gab man mir vor diesem Tag an die Hand. Da kann es nicht das Ziel sein, einen professionellen Journalisten halbherzig zu imitieren.

Was mich vor nunmehr sieben Jahren dazu gebracht hat, eigene Texte im Internet zu publizieren, war vielmehr die Freude am digitalen Müßiggang. Für mich ist es mehr das Flanieren im Netz, wie es eine Romanfigur von Wilhelm Genazino tun könnte. Alles kann Text sein, wie bei William Eggleston, dem berühmten amerikanischen Fotografen, alles ein Motiv sein kann. In meinem Blog veröffentliche ich Schönschreibübungen jenseits von Relevanz und Reichweite. Wenn ich Lust habe, etwas zu schreiben, dann schreibe ich. Wenn ich keine Lust habe, etwas zu schreiben, dann lasse ich es bleiben.

Selbstverständlich gibt es Blogger mit lauten Meinungen, nach denen zwar niemand fragt, aber in deren Kommentarspalten sich trotzdem täglich große Diskurse abspielen (keine Links), ambitionierte Technik- oder Musikblogger, die sich in ihrer Nische besser auskennen als jeder Journalist, weil sie über das schreiben, was ihnen am Herzen liegt.

Ich bevorzuge zumeist das digitale Flanieren in demokratisierten Kolumnen: Ich mag Texte von Leuten, die Geschichten aus ihrem Alltag erzählen. Diese Blogs sind keine „Tagebücher im Internet“, wie man oft fälschlicherweise hört, sondern es handelt sich oft um axelhackige, haraldmartensteinige oder maxgoldige Seiten, die von ihren Betreibern gehegt und gepflegt werden, wie andere Menschen das vielleicht mit ihrem Garten tun. Ich mag „Das hermetische Café“, Felix Schwenzels lakonische Alltagsbeobachtungen, Sven Dietrichs Hamburg-Berlin-Vergleiche oder Anke Gröners liebenswertes Gemischttexteblog. Es wären zu viele, um sie hier alle zu nennen. Sie alle (und auch ich) schreiben ihre Geschichten ins Netz, weil sie Spaß daran haben, nicht weil sie es müssen.

Natürlich ist es schön, auch gelesen zu werden. Aber so wichtig ist das nun auch wieder nicht. Wolf Schneider, der mit dem Internet auf Kriegsfuß steht, beklagt „das Geschwätz in Blogs“. Vielleicht fehlt ihm einfach nur die Muße fürs digitale Flanieren – er lässt sich von seiner Frau täglich „mindestens zwei Blogs ausdrucken“.

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Diesen Text habe ich ursprünglich für die Scroll-Edition der Welt Kompakt geschrieben. In dieser ist er leider nur stark gekürzt unter der Überschrift „Von wegen Geschwätz im Netz“ als eine Art Serviceteil für Blogempfehlungen erschienen.

Journalisten sind auch nur Menschen

Früher hieß es „enteignet Springer“. Am vergangenen Mittwoch jedoch begaben sich etwa 20 Blogger in die Redaktion der Welt Kompakt. Von der Höhle des Löwen mag man kaum sprechen, zeigt sich doch das zu einem großen Teil von Schülern der hauseigenen Journalistenschule gemachte Blatt eher zahnlos: Die großen Nachrichten werden gebracht, ein paar Agenturmeldungen zusammengeschrieben und das ganze wird mit ein paar Themen aus dem Internet angereichert. Kurzum: 32 Seiten Zeitung im handlichen Format, die sich schnell auf dem Weg zur Arbeit verdauen lassen. Eine Zeitung für Menschen, die eigentlich gar keine Zeitung mehr lesen –  zwar aus dem gleichen Hause, aber doch fernab jeglicher Bildallüren.

Zu pointierten Überschrift neigt man aber auch bei der kleinen Schwester des konservativen Flaggschiffs des Konzerns: „Blogger kapern die Welt Kompakt“, hieß es hier im Vorfeld. Eine Einladung, bezahlte Anreise und Übernachtung sowie ein kleines Honorar lassen jedoch bei genauerer Betrachtung nicht auf eine Bemächtigung der Netzgemeinde schließen.

Im Vorfeld der Entstehung der Scroll-Edition gab es große Diskussionen, die hauptsächlich um das Thema „Honorar“, aber auch um die Kommunikation seitens des Verlages kreisten. Aus meiner Sicht wurde hierbei zu wenig zwischen professionellen Medienmachern, die freiberuflich tätig sind, und Bloggern, die das Ganze mehr oder weniger zum Spaß machen, differenziert. Erste erheben natürlich zu recht Anspruch auf ein angemessenes Honorar, während Letztere vielleicht doch eher mal in das Zeitungsmachen hineinschnuppern wollten. Mein halbes Leben lang lese ich nun fast täglich eine Tageszeitung – bei mir stand das Interesse, zu sehen, wie eine solche gemacht wird, dann auch bei meiner Zusage, an diesem Experiment teilzunehmen, im Vordergrund.

„Möglicherweise erinnern Sie sich an unsere Werbekampagne aus 2009, in der wir über Internetphänomene wie »Wir haben online so viele Freunde, dass wir ein neues Wort für die echten brauchen“«, nachgedacht haben. Nun wollen wir in dieser Auseinandersetzung mit dem Internet einen Schritt weitergehen, indem wir für eine Sonderausgabe die Redaktion durch Online-Publizisten austauschen und damit die Schreibe des Internet mit dem Medium Papier verbinden –– was auch immer dabei herauskommt“, hieß es in der Einladung des stellvertretenden Chefredakteurs der Welt-Gruppe, Frank Schmiechen. Gerade der letzte Halbsatz „was auch immer dabei herauskommt“ war jedoch vielen der Beteiligten dieser Versuchsanordnung nicht klar.

Nachdem man sich erst um 11 Uhr zunächst zu einem kleinen Stelldichein bei einem Gläschen Sekt zusammengefunden hat, wurde eine Redaktionskonferenz abgehalten. So geht also Zeitungmachen, dachte ich. Nur wenige der beteiligten Blogger haben je an einer solchen teilgenommen. Die Journalismuserfahrenen waren vorbereitet und hatten zuvor in Google News ein paar nachrichtenrelevante Meldungen in Erfahrung gebracht – neben der an diesem Tage natürlich alles dominierenden Wahl des Bundespräsidenten war die Lage jedoch eher ruhig.