Nachruf

„Versuchen wir es mit Ironie:
Das Leben ist schön.“

(@bosch)

Am Rande des Friedhofs der, so groß ist, dass auf ihm Linienbusse verkehren, befindet ein tristes Café. Zwischen Trauerrede, die der Pfarrer mühsam aus dem Gedächtnisprotokoll der Hinterbliebenen zusammengestückelt hat, und der letzten Fahrt mit dem Kombi kommt die Gemeinde noch einmal auf Korn und Butterkuchen zusammen, um der Verstorbenen zu gedenken.

Während für Prominente, bei denen die Redaktionen der großen Medienhäuser davon ausgehen, dass sie in näherer Zukunft das Zeitliche segnen werden, längst wohlformulierte Nachrufe in der Schublade liegen, interessiert sich normalerweise niemand für das Ableben der 98jährigen Rentnerin Erna Müller, die beim Gardineaufhängen von der Leiter gefallen ist.

Obwohl die Nachrichtenlage für den regelmäßigen Leser einer Tageszeitung zu jeder Zeit deprimierend genug sein dürfte, erkennt die Redaktion des Regionalblattes, dass die Zukunft der Zeitung im Lokalen liege. Schließlich interessere einen Menschen ja nichts mehr als den Menschen und man müsse wieder näher ran an das Geschehen im Alltag etc. Und so kam es, dass man beschloss, den Rezipienten fortan jeden Freitag mit Erinnerungen an „Berliner, die in jüngster Zeit gestorben sind“ im Schülerzeitungserzählstil zu konfrontieren.

Und so erfahren wir im Nachruf des Tagesspiegels nicht nur, dass Erna Müller häufig Auseinandersetzungen mit ihren nachts lärmenden Nachbarn, aber trotz allergischer Reaktionen Freude an ihrer Angorakatze hatte. Bei der Beerdigung ihres einige Jahre vor ihr verstorbenen Ehemannes erfuhr sie zufällig von der Existenz seiner frühren Geliebten, da es sich diese nicht nehmen ließ, einen üppigen Kranz zu schicken. Mittags aß sie immer am liebsten Schlemmerfilet á la Bordelaise und hatte sehr gepflegte Fingernägel. Ein Kind war in ihren Lebensplänen nicht vorgesehen, dafür aber regelmäßige Fahrradtouren in der Eifel.

Und das soll nun alles gewesen sein?

Dekorativer Eispickel

Über die zufällige Wahl seines Platzes in dem Café, das er nur gelegentlich zu besuchen pflegte, war er sehr froh gewesen. Stundenlang hätte er der Frau gegenüber beim Trinken ihres Pfefferminztees zuschauen können. Obwohl sie noch jung war, ergraute ihr ansonsten dunkles Haar an einigen Stellen bereits im Ansatz. Man bemerkte dies jedoch nur, wenn man ganz genau hinsah. Ihm gefiel das dezente Frühergrauen, denn es erinnerte ihn an eine Dame, in die er vor langer Zeit einmal verliebt gewesen war.

Wie üblich blätterte er, während er seinen Cappuccino genoss, in der Zeitung. Sein Blick wanderte dabei  unwillkürlich immer wieder zu der Frau gegenüber. Ihr schien das nicht unangenehm zu sein. Wenn sich ihre Blicke trafen, lächelten sie einander etwas verlegen zu, um sogleich wieder abzuschweifen. Dies geschah mehrmals hintereinander — eine Flirtsituation war eingetreten.

Als er jedoch unerwartet bei seiner Zeitungslektüre in einer Reportage über den schleichenden Niedergang des Kreiswehrersatzamtes im oberbayerischen Traunstein über die Wortkombination „dekorativer Eispickel“ stolperte, war er so verstört, dass er daraufhin seine Zeitung zusammenfaltete und das Café umgehend verließ.

Journalisten sind auch nur Menschen

Früher hieß es „enteignet Springer“. Am vergangenen Mittwoch jedoch begaben sich etwa 20 Blogger in die Redaktion der Welt Kompakt. Von der Höhle des Löwen mag man kaum sprechen, zeigt sich doch das zu einem großen Teil von Schülern der hauseigenen Journalistenschule gemachte Blatt eher zahnlos: Die großen Nachrichten werden gebracht, ein paar Agenturmeldungen zusammengeschrieben und das ganze wird mit ein paar Themen aus dem Internet angereichert. Kurzum: 32 Seiten Zeitung im handlichen Format, die sich schnell auf dem Weg zur Arbeit verdauen lassen. Eine Zeitung für Menschen, die eigentlich gar keine Zeitung mehr lesen –  zwar aus dem gleichen Hause, aber doch fernab jeglicher Bildallüren.

Zu pointierten Überschrift neigt man aber auch bei der kleinen Schwester des konservativen Flaggschiffs des Konzerns: „Blogger kapern die Welt Kompakt“, hieß es hier im Vorfeld. Eine Einladung, bezahlte Anreise und Übernachtung sowie ein kleines Honorar lassen jedoch bei genauerer Betrachtung nicht auf eine Bemächtigung der Netzgemeinde schließen.

Im Vorfeld der Entstehung der Scroll-Edition gab es große Diskussionen, die hauptsächlich um das Thema „Honorar“, aber auch um die Kommunikation seitens des Verlages kreisten. Aus meiner Sicht wurde hierbei zu wenig zwischen professionellen Medienmachern, die freiberuflich tätig sind, und Bloggern, die das Ganze mehr oder weniger zum Spaß machen, differenziert. Erste erheben natürlich zu recht Anspruch auf ein angemessenes Honorar, während Letztere vielleicht doch eher mal in das Zeitungsmachen hineinschnuppern wollten. Mein halbes Leben lang lese ich nun fast täglich eine Tageszeitung – bei mir stand das Interesse, zu sehen, wie eine solche gemacht wird, dann auch bei meiner Zusage, an diesem Experiment teilzunehmen, im Vordergrund.

„Möglicherweise erinnern Sie sich an unsere Werbekampagne aus 2009, in der wir über Internetphänomene wie »Wir haben online so viele Freunde, dass wir ein neues Wort für die echten brauchen“«, nachgedacht haben. Nun wollen wir in dieser Auseinandersetzung mit dem Internet einen Schritt weitergehen, indem wir für eine Sonderausgabe die Redaktion durch Online-Publizisten austauschen und damit die Schreibe des Internet mit dem Medium Papier verbinden –– was auch immer dabei herauskommt“, hieß es in der Einladung des stellvertretenden Chefredakteurs der Welt-Gruppe, Frank Schmiechen. Gerade der letzte Halbsatz „was auch immer dabei herauskommt“ war jedoch vielen der Beteiligten dieser Versuchsanordnung nicht klar.

Nachdem man sich erst um 11 Uhr zunächst zu einem kleinen Stelldichein bei einem Gläschen Sekt zusammengefunden hat, wurde eine Redaktionskonferenz abgehalten. So geht also Zeitungmachen, dachte ich. Nur wenige der beteiligten Blogger haben je an einer solchen teilgenommen. Die Journalismuserfahrenen waren vorbereitet und hatten zuvor in Google News ein paar nachrichtenrelevante Meldungen in Erfahrung gebracht – neben der an diesem Tage natürlich alles dominierenden Wahl des Bundespräsidenten war die Lage jedoch eher ruhig.

Gerhard Schröder: gefragt wie selten


(aus „Welt am Sonntag“ vom 14. September 2008)

Die meisten Sonntagszeitungen haben einen eher unterhaltenden Charakter, sind jedoch meist überflüssig. Das Springer-Blatt „Welt am Sonntag“ war gestern sogar unschlüssig:

Während auf der einen Seite sowohl Sozialdemokraten als auch Bosse und Stars den Altkanzler umjubeln und vor dessen „unheimliche Rückkehr“ gewarnt wird, ist er ein paar Seiten später längst in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken.

boschblog.de meint: Die „Welt am Sonntag“ brauchen wir noch weniger als eine Rückkehr des Gerhard S. Wen wundert es, dass sich vor allem die jungen Leser von Zeitungen abwenden.