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Schwangere Auster

Kongresshalle, Berlin-Tiergarten

Mindestens so interessant wie das Festival selbst ist das Gebäude, in dem es stattfindet. Der Architekt Hugh Stubbins hat die Kongresshalle als amerikanischen Beitrag zur Bauausstellung Interbau 1958 konstruiert: Auf einem künstlichen Hügel stehend sollte ihre beleuchtete Silhouette als „Leuchtturm der Freiheit“ in den Osten strahlen, 1980 ist die Dachkonstruktion pfuschbedingt eingestürzt, hin und wieder wurde die Halle ob ihrer futuristischen Anmutung in Science-Fiction-Filmen gezeigt.

„In Berlin sagen immer alle, das Gebäude wird »Schwangere Auster« gennant“, sagen in Berlin immer alle. Dabei nennt es in Wahrheit niemand so: Alle behaupten nur immerzu, dass es so genannt werde.

17 Antworten auf „Schwangere Auster“

Nee nee nee, das ist so nicht richtig! Der Westberliner sagte immer zur Kongresshalle „Schwangere Auster“, das stimmt sehr wohl. Das Ding lief vor dem Mauerfall hier nie umgangssprachlich unter einem anderen Begriff. Diese Namensgebung hat sich erst „aufgelöst“, als die Kongresshalle dann 1989 zum „Haus der Kulturen“ wurde. Zum einen hat diese neue Namensgebung gut funktioniert, weil die Kongresshalle ja 1980 nach dem Dacheinsturz schlicht längere Zeit bis Wiederherstellung brach lag und im öffentlichen Geschehen wenig wahrgenommen wurde (auch geprägt durch den Bau des ICC.) Und zum anderen hat’s super funktioniert, durch die sprachliche Umwälzung aufgrund des Zustromes von „Wessis“ oder „Ossis“ in die Stadt nach dem Mauerfall. Ich, als Westberlinerin mit Baujahr 1965, habe zum Beispiel sehr lange gebraucht, bis ich realisiert habe, wovon diese ganzen kulturbeflissenen nicht aus Berlin stammenden Heinis eigentlich reden, wenn sie vom Haus der Kulturen der Welt sprachen. Und für mich ist da auch nach wie vor klare Trennung: das Haus ist immer die „Schwangere Auster“ und nur der Veranstalter das Haus der Kulturen. Übrigens, bei den meisten meiner Freunde, die schon lange Zeit vor dem Mauerfall aus Westdeutschland nach Westberlin rüber gemacht haben, heißt die junge Dame übrigens: „Schwangere Auster.“

Wir haben im Westen auch zum Funkturm immer „Langer Lulatsch“ gesagt. Ich glaube, das erste Gebäude, das nicht offensiv mit einem „Nickname“ im Westteil der Stadt bedacht wurde, war das ICC. Was mit daran lag, dass die Zeitungen zu offensiv einen Namen herbei schreiben wollten. Die Etablierung der liebevollen Umschreibungen lag früher auch in der Kommunikation von „Berliner Abendschau“ oder dem Lesen des „Berliner Abendblattes“ begründet, das waren die Medien, die im Berliner Sprachgebrauch kommunizierten und wo solche Begriffe schnell übernommen wurden vom Bürger. Und es lag natürlich auch mit daran, dass die Berliner Bürger früher eine ganz andere Identität mit ihren Bauten hatten, ja, wir waren früher nämlich sehr stolz auf solche, unsere, Architekturen!

Natürlich hat die zärtliche Umschreibung solcher Gebäude auch immer etwas mit Familientraditionen zu tun; sprich, wird umgangssprachlich kommuniziert, wird berlinert etc.

Und ja, die Ossis, die ich nach Mauerfall kennen gelernt habe, für die war der Palast der Republik tatsächlich „Erichs Lampenladen“ (ich kenne auch den Begriff „Erichs Spielwiese“). Ich wäre wirklich froh, wenn uns an dieser Stelle Wikipedia unseren Berliner Sprachduktus nicht immer weg schreiben würde, nur weil die dortigen Autoren eigentlich zu jung sind, um diesbezüglich wirklich noch mitreden zu können. Sprachkultur ist eben immer auch ein Generationsthema.

@creezy: Vielen Dank für Deine Einschätzung. Ich freue mich ja immer über Kommentare, die länger sind als meine Artikel. Vielleicht könnten wir ja demnächst auch noch einmal über die „Protzkeule“ sowie „Lippenstift und Puderdose“ diskutieren? Es wäre mir eine Freude.

Es steht dir ja frei, dies bei wikipedia zu korrigieren. Es sind wohl auch deswegen „soviele“ jüngere wikipedia-Schreiber, weil sich die älteren einfach nicht involvieren.

am bonner rheinufer steht seit den 70/80ern ein hochhaus, ich glaube von der telekom, damals noch deutsche post. und das nennen alle „langer eugen“. das fand ich als kind toll, daß das so heißt. das ist eigentlich auch schon alles, was ich dem thema hinzufügen kann.

Der „Lange Eugen“ ist das ehemalige Bundeshaus. Dort waren die Abgeordnetenbüros drin. Heute befindet sich in dem Gebäude der UN-Campus. Architekt war übrigens Egon Eiermann – der hat auch Lippenstift und Puderdose entworfen :-)

Ah! DSL funktioniert wieder. Auch wenn sich mein Kommentar nun fast schon erledigt hat:

„Schwangere Auster“ ist ja noch die geläufigste aller Gebäudebezeichnungen. Die abgefahrensten, die ich tatsächlich nur von Stadtwerbern kenne sind Lippenstift und Puderdose. Da weiß mit Sicherheit kaum ein Berliner, was gemeint ist. Mein persönliches Highlight ist jedoch der „Achtzylinder“. Das habe ich mal in einem ADAC-Führer gelesen, aber tatsächlich noch nie gehört (http://berlin.metropolen.de/se.....e-haus.php).

Bin Baujahr 1952 (so alt wird bekanntlich kein Schwein 😉). Geboren in Lichtenrade, aufgewachsen in Mahlow. Auch ich kenne die Berliner Kongresshalle zwar mit ihrem offiziellen Namen, bekannter war und ist sie allerdings als schwangere Auster!

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