Propeller

Jorinde Vogt, Concept Grammar

In dem etwas verwunschenem Gebäude, einem ehemaligen Krankenhaus in Kreuzberg, befindet sich das Kunstquartier Bethanien. „Alles, was Sie über Chemie wissen müssen“, lautet der Name der Gruppenausstellung: Gezeigt werden Video- und Klanginstallationen, Zeichnungen und Performances.

„Konzept Grammatik“ von Jorinde Vogt. Acht Flugzeugpropeller aus Carbon. Auf den Flügeln geschrieben: Wer wen liebt – wer wen nicht liebt. „Sie liebt mich – sie liebt mich nicht“ etc. 64 mögliche Deklinationen, aber keine Antwort darauf, wo sich die anderen 56 befinden. Stattdessen unten in der Ecke ein Schaltkasten, mit dem Drehrichtung- und Geschwindigkeit der Propeller reguliert werden kann.

Ansonsten: Neun rotierende Pingpongbälle, deren Drehung von einer Kamera aufgenommen und auf neun Monitore übertragen wird. Eine Art unförmige Sonnenuhr. Die großformatige filigrane Kugelschreiberzeichnung einer futuristischen Stadt. Eine Antenne, die ein Brummen auslöst, sobald man sich ihr mit der Hand nähert. Naturgemäß unvermeidlich Videoinstallationen: U. a. ein Video, in dem gerannt wird, ein Video in dem sich eine Frau einen Schnorchel in das Gesicht zementiert, und ein Video, in dem geschrien wird.

Überhaupt hat bildende Kunst, die mit Geräusch verbunden, meist etwas Enervierendes. Dennoch bin ich an diesem regnerischen Tag dankbar für zweieinhalb Stunden der angenehm inspirierenden Zerstreuung.

Himalaya Variations

Tina Tonagel, Himalaya Variations

Da steht sie nun, die sehr dünne Frau in ihrem sehr grünen Cocktailkleid. Es ist eher grün-blau, auf der Fashion Week sagte man sicher, es sei aquamarin. Aber das ist egal. Wichtig sind die zwei Overheadprojektoren, die vor ihr aufgebaut sind. Darüber gespannt: drei Saiten zur Tonerzeugung. Diese werden abwechselnd mit einem Geigenbogen oder Murmeln zum Schwingen gebracht. Auf der Leinwand: rote, weiße und grüne Farbfelder. Es ist eine Performance, es oszilliert, die Frau bearbeitet die Saiten mit Trommelstöcken. Meditative Stimmung: Gern rauchte man jetzt einen Joint, aber es ist gerade keiner zur Hand und außerdem raucht man ja gar nicht. Xylophonartiges Geklöppel unterlegt mit elektronischen Beats, alle starren die Frau an, ein Apparat mit rotierenden Scheiben bringt nun die Saiten zum Schwingen. Auf der Leinwand psychedelische Muster. Der Sound: eine Mischung aus traditionellem chinesischen Obertongesang und Kermit der Frosch. Wabern. Ende, Applaus, kerzengerade steht die Frau vor ihren Overheadprojektoren: schüchtern und verloren.

Schwangere Auster

Kongresshalle, Berlin-Tiergarten

Mindestens so interessant wie das Festival selbst ist das Gebäude, in dem es stattfindet. Der Architekt Hugh Stubbins hat die Kongresshalle als amerikanischen Beitrag zur Bauausstellung Interbau 1958 konstruiert: Auf einem künstlichen Hügel stehend sollte ihre beleuchtete Silhouette als „Leuchtturm der Freiheit“ in den Osten strahlen, 1980 ist die Dachkonstruktion pfuschbedingt eingestürzt, hin und wieder wurde die Halle ob ihrer futuristischen Anmutung in Science-Fiction-Filmen gezeigt.

„In Berlin sagen immer alle, das Gebäude wird »Schwangere Auster« gennant“, sagen in Berlin immer alle. Dabei nennt es in Wahrheit niemand so: Alle behaupten nur immerzu, dass es so genannt werde.

Das Kapital

Macht Geschenke: The Making of Capital, Christin Lahr

Tag für Tag sitzt die Künstlerin Christin Lahr seit dem 25. Mai 2009 an ihrem Schreibtisch aus massivem Eichenholz, um dem Bundesminesterium für Finanzen mittels Banküberweisung einen Cent zukommen zu lassen.  Als Verwendungszweck zitiert sie dabei 108 Zeichen aus Karl Marx Das Kapital. „Gelänge es, die momentane Staatsverschuldung von 1.746.599.197.210 EUR einzufrieren, wäre Lahrs Geschenk aufgrund der exponentialen Effekte von Zins und Zinseszins in der Lage, diesen Betrag innerhalb von ca. 300 Jahren zu tilgen“, heißt es im Katalog der Ausstellung. Der Inhalt des Buches ist bei dieser Vorgehensweise bereits nach 43 Jahren übertragen; das Voranschreiten des Projekts wird mit Screenshots dokumentiert.

Ebenso wichtig wie die Geste des Geschenkes an das gesamte Volk ist der in der Ecke wie zufällig angelehnte Zollstock. Unserem aufmerksamen Blick ist selbstredend nicht entgangen, dass die Künstlerin ein bißchen schummelt: sie verwendet vordatierte Terminüberweisungen. Natürlich könnte man auch das ganze Buch per Post schicken und die 1.746.599.197.210 Euro in einer Summe überweisen. – Dann wäre es wohl aber keine Kunst mehr.

boschblog.de
Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir dir die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in deinem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen von dir, wenn du auf unsere Website zurückkehrst, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für dich am interessantesten und nützlichsten sind.