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Editorial

Distanzschule

Kuss
Prater, Kastanienallee, Berlin-Prenzlauer Berg

Man braucht nicht viel davon, um glücklich zu sein.
Wir küssen uns im Sonnenschein.
Das dunkle Königreich wird nicht mehr aufzuhalten sein.
Das Schlechte in der Welt bricht nunmehr über uns herein.

(Tocotronic)

Wir sitzen in einer Bar und das nicht zum ersten Mal. Sie ist eine kühle Blonde mit einem sehr norddeutschen Namen. Während wir uns angeregt über dieses und jenes unterhalten, kommen sich unsere Lippen plötzlich sehr nahe etc. Als ich dazu ansetze, meine Augen zu schließen, zischt sie mir leise zu: „Denk nicht einmal daran.“

Vielleicht hätte ich es trotzdem versuchen sollen. Dann hätte sie mir eine schallende Ohrfeige verabreicht, um mir sofort darauf in die Arme zu fallen und mich leidenschaftlich zu küssen, wie es in Hollywood üblich ist. Vielleicht wäre dabei aber auch nur meine Brille zu Boden gefallen und in tausend Scherben zerborsten, wie es in Hamburg-Altona üblich ist.

Als sei selbstverständlicher nichts auf der Welt, justiere ich binnen Bruchteils einer Sekunde unseren Distanzbereich auf ein übliches Maß. Als wäre nichts geschehen, nippen wir weiter an unseren Getränken und fahren mit der Konversation fort.

Viele Jahre später dann in denkbar unpassenden Situationen immer und immer wieder die aufkommende Frage, ob die kühle Blonde damals wirklich gezischt hat oder ob es ausschließlich in meinem Kopf stattfand.

3 Antworten auf „Distanzschule“

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