Foto: Andy Tinkham
„Papageien (Psittacidae) sind soziale Vogelarten, die, mit Ausnahme von Europa, auf allen Kontinenten verbreitet sind“, so steht es zumindest in dem von der Sachverständigengruppe Gutachten über die tierschutzgerechte Haltung von Vögeln herausgegebenen Schriftstück Mindestanforderungen an die Haltung von Papageien. Mein Eindruck ist jedoch ein anderer. Die Zeiten ändern sich; schließlich ist das erwähnte Papier bereits aus dem Jahre 1995 und somit sicher etwas veraltet.
Gestern ging ich durch die Straßen St. Paulis und dachte – wie es bereits Heinrich Heine tat -, was ein junger Mensch zu denken pflegt, nämlich gar nichts. Plötzlich kam ein Mann vorbei, auf dessen Schulter ein Papagei, genauer gesagt ein buntgefiederter hellroter Ara, saß. Wie uns das Merkblatt aus dem Hause Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher weiter lehrt, ist das Bedürfnis dieser Vogelart nach sozialen Kontakten „durch Paarhaltung oder, bei begründeter Einzelhaltung, durch tägliche ausreichende Beschäftigung mit dem Vogel nachzukommen.“ Der Mann, offensichtlich ein gewissenhafter Tierhalter und -freund, schien mit dem Inhalt des Merkblattes bestens vertraut zu sein; jedenfalls erschien mir das Ausführen des gefiederten Freundes die Auflage der ausreichenden Beschäftigung zu erfüllen und das Fehlen eines zweiten Tieres erfolgreich zu kompensieren. Wer einen Papagei besitzt, der muss ihn auf seiner Schulter ausführen; das war schon in den alten Piratenfilmen so. Zwei Papageien gleichzeitig auf den Schultern auszuführen, wäre sicher eine weitaus größere Herausforderung, aber ein derartiger Ausflug wäre obsolet, weil die Vögel sich laut Merkblatt in diesem Falle mit sich selbst beschäftigten.
Das Flugtier wirkte jedenfalls ob seines Singlelebens nicht sonderlich vernachlässigt, schließlich genoss er zufrieden die Aufmerksamkeit der vorbeiströmenden Passanten. Der Mann erweckte aus der Ferne jedoch einen alkoholisierten Eindruck, was sich durch seinen leicht schwankenden Gang bemerkbar machte, und sich aus der Nähe durch olfaktorische Eindrücke bestätigte. Seinen Papagei schien dies nicht zu stören, er hielt standhaft das Gleichgewicht, indem er den Schwankungen seines Halters entgegenwirkte. Der Mann war sicher froh, nicht in einem alten Piratenfilm mitzuspielen, sonst hätte er statt der linken Hand lediglich einen Haken, der den Transport von Bierflaschen maßgeblich behinderte. Auch der ausströmende Atemalkohol schien den Vogel nicht weiter zu beeinträchtigen. Mich wunderte dies nicht, schließlich kommt der Gutachterausschuss zu der Erkenntnis, dass Papageien „mit einer Reihe anderer Tierarten vergesellschaftet werden (können); auf Verträglichkeit ist zu achten.“ Der Papagei vertrug sich bestens mit dem komischen Vogel.
Gestern noch dachte ich, dies sei ein Einzelfall. Vorhin allerdings sah ich am Winterhuder Marktplatz eine etwas verwahrlost wirkende Frau – sie hatte einen weißen Papagei auf ihrer Schulter.
11 Antworten auf „Modetrend Papagei“
Das ist aber ein komischer Trend.
In Berlin habe ich neulich eine Frau mit Kakadu auf dem Arm an der Tramhaltestelle gesehen.
http://flickr.com/photos/svensonsan/461969366/
[…] Und mit etwas Phantasie könnte man die Flatterbänder an Eugene Hützens Oberarm auch für einen Papagei […]
In der Stuttgarter Königsstraße steht immer ein Saxophonspieler. Er trägt immer einer Hut. Darauf sitzt ein ganz braver Ara.
[…] Sätzen wie diesen liebe ich die Blogartikel von bosch: Gestern ging ich durch die Straßen St. Paulis und dachte – wie es bereits Heinrich Heine tat -, […]
Ich frage mich, wie man die Viecher davon abhält, gewisse ähm… Dinge fallenzulassen. Weiße Streifen hinten auf dem Jackett sind jedenfalls nicht sehr kleidsam…
Der Trend zu ungewöhnlichen Haustieren hat heute auch Berlin erreicht: Im Kreuzberger Viktoriapark wurde vorhin eine Ziege an der Leine ausgeführt.
Ich finde solange die Halter die Papageien vernünftig behandeln und artgerecht halten, sollen Sie es ruhig tun, sieht ja auch ganz lustig aus.
Ein Vogel läßt sich nicht „artgerecht“ halten. Ein Papagei z. B. fliegt im Freileben ca. 30 bis 50 km täglich – dadurch werden die Luftsäcke, die jeder Vogel hat, gut durchlüftet. Das kann keine Haltung bieten und aus diesem Grund erkranken die meisten Papageien in Gefangenschaft.
Des weiteren sind Papageien hochintelligente Lebewesen (gleichzusetzen mit Menschenaffen und Rabenvögeln), die durch das Gefangenschaftsleben an Verhaltensstörungen erkranken.
Zu all dem kommt hinzu, daß Papageien soziale Lebewesen sind. Sie gehen Paarbindungen ein und leben in sozialen Gruppenverbänden. Ein Mensch kann niemals einen Artgenossen ersetzen und spätestens ein paar Jahre nach der Geschlechtsreife des Vogels macht sich das durch Aggressionen zum Halter hin bemerkbar.
Das alles sind die Gründe, warum gerade Großpapageien (Amazonen, Kakadus, Graupapageien, Aras) auf ihrem langen Lebensweg (sie können teilweise ein Menschenalter erreichen) zu „Wandervögeln“ werden = sie wandern von Halter zu Halter.
Papageien sind nicht domestiziert, d. h., sie sind keine Haustiere, sie sind immer noch Wildtiere. Papageienhaltung ist eine Qualhaltung.
Long live Robert! Habe von dem Artikel nicht gewußt…der Text war köstlich…thanks to Bosch. War wirklich gut, denn Themen wie LKW Maut, Austrocknung von Steueroasen etc. werden zur Zeit heftig diskutiert….Toll! Ich sitze zur Zeit an meinem Skript: Vom Tellerwäscher zum Arschloch….na ja, das bringt die Zeit mit sich…irgendwie finde ich meine Balance wie du den Papagei beschrieben hast. Klasse!
Was man alles bei beruflicher Recherche so herausfindet …
Ein schöner Text, Herr Bosch, aber BERLIN übertrumpft natürlich wieder mal alles: https://awesomatik.files.wordpress.com/2012/09/paradiesvogel-cc-httpawesomatik-wordpress-com.jpg
Besten Gruß!
Florian
@Florian: Großartig. Dass ein so alter Text wieder ausgegraben wird, wundert mich selbst naturgemäß am meisten. Und mich betrübt, dass das Bild vom Urheber gelöscht wurde. (Allerdings war das die Zeit, in der ich schließlich aus ebendiesem Grunde begann, mich selbst mit der Aufnahme von Bildmaterial zu beschäftigen.)
Und dieses Berlin. Ach …